Kinder des Basses

Am Donnerstag spielten Modeselektor in der Ottakringer Brauerei, inklusive ihrer Doku „We Are Modeselektor“ im Gepäck. Schnappschüsse vom Konzert der "Live-Band" (Szary) gibt es in der Gallery zu sehen. Warum DJing wie Kochen ist und wie authentisch die beiden den Film selbst finden, erfahrt ihr im Interview.

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Sebastian Szary und Gernot Bronsert kommen in einem weißen Kleinbus ans Set gefahren, kurz nach 17 Uhr – kurz nachdem das Interview hätte beginnen sollen. „Gernot? Kaffee? Essen?“ Klar, das muss auch noch drin sein. Und eine Kippe natürlich. Wir stehen in der prallen Sonne auf glühend heißem Asphalt zwischen den alten Speicherhallen der Brauerei und rauchen. Gernot will kein Interview, wie er humorig betont, er will zum Soundcheck und dann ist er auch erstmal kurz weg. Immer schön gelassen bleiben…

Die beiden Techno-"Veteranen" – muss man fast schon sagen – bringt nichts mehr so schnell aus der Ruhe; keine aufgeregten Event-Managerinnen, keine aufgehaltenen Journalisten. Vermutlich haben sie diese Geduld bei der Arbeit zum kommenden Moderat-Album gelernt, von der sie uns erzählten. Fest steht aber auch, als Modeselektor sind sie die Köche ihres eigenen Geschmacks, z.B. wenn aus "Kraut-Techno"-Eintopf mit Thom Yorke IDM-Parfait ensteht…

The Gap: Szary, ähnliche Anzüge trugen deutsche Acts, wie Neu! oder Kraftwerk – klare, harte Musik wie eure …

Szary: Es ist ein Arbeitsanzug und irgendwie ist es ja auch Arbeit, die wir da machen. Und wenn wir auf Tour gehen, hat jeder seine Arbeitssachen an.

Tja, ihr seid ja schon extrem vielseitig, v.a. auf eurem letzten Album, „Monkeytown“.

Gernot: Wir haben ja den Song „Shipwreck“ mit Thom Yorke gemacht. Den habe ich Mark Ernestus vorgespielt – ich habe ja im Hard Wax gearbeitet, daher die Connection – und er ist so etwas wie mein Mentor. Ihn hat der Song total an ein Can-Stück erinnert, ich weiß nicht welches, ich kenne keine Can-Platten. Aber er hat es raus gekramt und so verglichen, dass ich glaube, wir sind Krautrocker! Und das Urdemo von „Shipwreck“, das wir Thom Yorke schickten, war ein File von drei Minuten, in dem sich die Parts nur wiederholt haben und das war … mhhh, wie nennt man das … wohl Kraut-Techno.

Wie ihr eure Musik produziert, das klingt, als würdet ihr euch auf einem Kutter treiben lassen und wer euch begegnet und wer was machen will, der macht eben was. Wo bleibt da die Linie und woher nehmt ihr eure Einflüsse?

S: Wir sammeln immer schön ein. Wir nehmen immer was mit, wir sind wirklich Seefahrer und fahren so verschiedene Häfen an. Wir schmeißen auch viel weg, aber die wichtigsten Sachen behalten wir an Board.

Und was heißt „die Wichtigsten“?

G: Es gibt keine Wichtigkeit. Musik ist das Wichtigste. Wir hatten immer eine Überdosis an Musik, sind gerade dabei, eine Radiosendung zu machen und pumpen uns so mit noch mehr Musik voll und da gibt es keine Grenzen.

Ist es das Gefühl, das ihr in „We Are Modeselektor“ mit „Autobahn“ beschrieben habt?

S: Ähnlich, ja.

… auf der ihr „immer zu schnell unterwegs“ seid. – Heißt das, die musikalischen Einflüsse treffen euch zu schnell?

G: Die sind schnell, ja, aber man erkennt auch viel schneller, was in der Musik passiert und dann macht man es und dann hat man es schon wieder vergessen und dann zwei Jahre später ist es total populär. Solche Augenblicke hatten wir schon ein paar Mal. Bei uns passiert die Verarbeitung musikalischer Einflüsse direkt. Es geht nur um Inspiration und die könnte auch mit etwas anderem, als Musik funktionieren. Würden wir beide uns jetzt entscheiden, etwas anderes zu machen, das wir genauso gut könnten … Naja, eigentlich können wir gar nix anderes. Oder, Szary?

S: Mhhh. Ein ziemlich naher Vergleich, wie das mit der Musik funktioniert, wäre Kochen.

Kochen?

S: Wir sind schon Feinschmecker. Wir experimentieren und irgendwann fangen wir halt an, selber etwas zu machen.

Ihr sammelt die „Zutaten“ und vermischt sie neu?

G: Nee, wir machen Gerichte! Wir sind eher auf der Suche nach Gerichten und tragen die zusammen. Was sich stetig durchzieht, ist die Hausmannskost, die Verbindung an den heimatlichen Gartenzaun, damit man nicht vergisst, was Mama immer gekocht hat.

Und die Entscheidung, welches „Gericht“ und wie es auf dem „Teller“ drapiert ist – wo ist der Funke, die Idee? Ist es eine bestimmte Stimmung und von innen heraus?

G: Nein, es ist Kunst. Es muss halt alles stimmen.

"We Are Modeselektor“ geht sehr nah an euch als Menschen heran …

Gernot: Na, wir sind ja Menschen. Warum sollten wir uns kostümieren, wenn die Kamera läuft? Wir wollten ja diese Dokumentation gar nicht machen, wir sind ja gar nicht gefragt worden. Die wurde uns quasi „aufgehalst“. Wir haben uns auch nicht dagegen gewehrt, nur gesagt: „Macht mal!“. Wir hatten auch keine Eingriffsmöglichkeiten in die Erzählung. Und letztendlich ist genau das erzählt worden, was wir sind.

Ist das ein guter Weg – die Privatssphäre schützen, indem man sie offen legt?

G: Absolut! Denn man weiß ja eigentlich immer noch nichts von uns. Man weiß schon, wie wir als Menschen sind, aber nur in der Modeselektor-Welt. Man weiß nicht, wie wir wohnen, wir unsere Kinder aussehen; man weiß nicht, was wir in unserem Leben noch so nebenbei machen.

Habt ihr euch denn schlussendlich in den Bildern wieder erkannt?

G: Auf jeden Fall. Wir haben aber auch kontrolliert, dass es wirklich authentisch ist. Wir haben die Rohversion gezeigt bekommen und hatten die Möglichkeit, zu sagen, was raus soll oder noch rein muss. Wir haben halt das Name-Dropping raus gelassen und nur unsere Freunde befragt. Wir wollten keine „Angeber-DVD“ machen oder auf dicke Hose, um noch mehr Gage zu bekommen. Wie in der Musik, läuft es bei uns immer so: Wenn wir Musik machen, muss die eben da sein und dann wird‘s gemacht und wir bringen es raus.

…also „zugänglich und radikal“ wie Thaddeus Herrmann von der De: Bug euch beschrieb?

G: Genau! Im Hinterkopf haben wir die Live-Shows, die sind unser Element.

Szary: Wir sind eine Live-Band.

Fühlt ihr euch als Teil der Crowd?

G: Natürlich, anders geht es nicht. Ich weiß genau, was die wollen, weil ich genauso drauf bin, wie die da unten. Ich kenne diese Situation ja genauso von Konzerten, auf die ich gehe. Ich weiß genau, worauf ich abfahre und wenn es rockt, dann wird nicht mehr gequatscht. Dann heißt es: „Augen zukneifen und kucken, dass man sich nicht verletzt.“

Berlin, 90er Jahre… Ist euer Sound ein Spiegel der Gesellschaft?

G: Naja, Berlin war schon immer Techno-City. Heute nennt man es Minimal, früher hieß es Techno, ansonsten hat sich nichts geändert, v.a. nicht die Idee dahinter. Wir sind Kinder des Technos.

S: Wir sind v.a. Kinder des Basses. Wir finden einfach dieses physikalische Phänomen, wenn die Luft eine Welle überträgt und man die hier und hier [Anm. d. Redaktion: zeigt auf die Brust und dann auf den Kopf] aufnimmt. Es war einfach der Beat.

Noch einmal zurück deiner Zusammenfassung eures Projekts, Gernot, als „Autobahn“; auf der ihr an „einer Menge Baustellen“ vorbei fahrt in eurem „lustigen Auto“…

G: Ernsthafte Baustellen sind unsere Labels, 50Weapons und Monkeytown; die Doku jetzt und unsere Band, Moderat, mit Sascha [Anm. d. Redaktion: Sascha Ring aka. Apparat]. Dies ist vielleicht die größte Baustelle, die wir bis jetzt hatten, weil man jetzt älter und reifer ist und anders denkt und arbeitet und in diesen verschiedenen Welten – mit dem „lustigen Auto“ – rumkurvt. Sascha hat ja sein eigenes Gefährt. Er ist ein Einzelgänger. Wir sind die Autofreaks [Anm. der Redaktion: also Team-Player] und haben nun ein halbes Jahr gebraucht, um unser Gefährt als „Beiwagen“ an Saschas an zu hängen [Anm. der Redaktion: meint die Zusammenarbeit für das kommende Album „Moderat II“] und brauchten dann die meiste Zeit, um uns darüber zu einigen, wer fährt. Jetzt haben wir das „Ding“ so gebaut, dass jeder fahren kann und es ist jedes Mal mit einer riesengroßen demokratischen Diskussion verbunden, ob man nun nach links oder rechts abbiegt. Uns geht es nur darum, dass es fährt. Der Weg ist das Ziel. Früher haben wir Döner gegessen, heute sehen wir uns Molekularküche an. Aber letztendlich ist nichts anders.

S: Alles wie früher.

www.modeselektor.com

Bild(er) © Matthias Hombauer
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