Born too late

Savages aus London lassen auf ihrem Debütalbum „Silence Yourself“ Post-Punk wieder aufleben und fordern ein Ende des "Weiter!" für mehr Ästhetik im 21. Jahrhundert.

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Savages haben sich gerade mal 2011 gegründet, spielten im Januar 2012 ihren ersten Gig als Vorband von British Sea Power, da schrieb der Guardian schon in seiner Kolumne „New band of the day“ und alle großen Post-Punk-Bands fänden sich in dieser Vier-Frauen-Band wieder. Und nicht nur, dass sie mit ihrer Musik voll im Retro-Trend liegen, sie schaffen es auch einen Diskurs daraus entstehen zu lassen – aber ohne dabei beliebig oder anstrengend zu sein: Sie erkennen wie aktuell das Ende der 70er Jahre so dominante Gefühl der “No-Future“ auch heute wieder ist. Anders als Post-Punks-Bands rund um 1980, die sich von dem dekonstruktiv-pessimistischen Lebensgefühl eher abwendeten, proklamieren Savages heute in aggressiver Punk-Manier das Ende jeden Fortschrittsdenkens. Eine ganz andere Grundhaltung als der Neo-Post-Punk der 00er Jahre, der sich vor allem am Groove und der Schärfe der Zeit bediente. Live vermitteln sie genau die Energie und Dramatik dieser Zeit – in die sich manche zurück sehnen und die andere in heutiger Popmusik unbewusst missen, sich zu spät geboren fühlen.

Live: Ausnahmezustand!

Jehnny Beths Stimme steigert sich in “Husbands” zu hysterischem Oberton-Geschrei á la Martin Rev (Suicide) im emotionalen Ausnahmezustand, übersteuert kurz wie die Fender der Bandkollegin Gemma Thompson. Ihre Glieder zappeln wie die Ian Curtis’ bei einem epileptischen Anfall. Sie sieht mit wachem und forderndem Blick ins Publikum. Sie steht über dem entrückten Sound, sie hat eine Message. Doch ihr Körper vibriert, als könnte er dem emotionalen Druck kaum standhalten. Jehnny Beth – als ausgebildete Schauspielerin – hat die Intensität Sinead O‘ Conners, Patti Smiths Rage und zelebriert die Immersion im Moment.

Savages‘ Sound kippt nicht in Welt-entrückten Noise. Er hebt sich aber über Punk-Dilettantismus hinweg. Er treibt wie New Wave-Futurismus, baut sich in ekstatischen Momenten zur progressiven Wall of Sound auf, die in verhallten Jazz-Partien wieder abebben. Dennoch scheint jeder so eigentlich perfekt platzierte Ton zufällig dort zu schwingen, weshalb das ganze dann doch wieder Punk-Charakter annimmt. In Songs wie “Strife” wiederum merkt man an gerade drei Power-Akkorden, dass auch Motörhead auf Savages‘ Referenzliste stehen neben den Einstürzenden Neubauten und Bauhaus. Diese Einflüsse brachten Savages heute auf eine einfache, aber direkte Message: Silence Yourself!

No Future

Auf ihrer Homepage entfalten sie diese Forderung in einem Gedicht und sie lässt sich etwa so zusammen fassen: Reduktion! Fokus! Immersion! Wir leben in einer Gesellschaft, die sich selbst permanent ablenkt; ungefiltert Stimmen produziert; immer geteilte Aufmerksamkeit verhindert ästhetische Erfahrung. Wer abgelenkt ist, ist leicht vereinnahmbar.

Es scheint fast so, als wäre Simon Reynolds‘ bestes nur denkbares Beispiel einer Retro-Band aufgekreuzt, um seine Klage über eine Kultur zu vertonen, die im eigenen Überfluss der Artefakte ertrinkt. Savages machen Musik aus den Trümmern der Welt, wie wir sie bis Ende der 70er Jahre kannten, als Popkultur noch feste Referenzsysteme hatte; „dieses Paradies der Moden und Perfektion“, wie es Reynolds nennt. Danach kam die Flaute, dann Zitat-Pop (damals z.B. ABC, heute z.B. Ariel Pink) und Detail-verliebter Klang-Fetischismus (damals LaMonte Young, heute Four Tet). Savages haben keine Alternative, sind keine Visionärinnen. Sie fordern stattdessen das temporäre Aus, Recall, die totale Dekonstruktion, um wieder kritisch denken, hören und sehen zu lernen und das Bewusstsein neu zu arrangieren. Ob es darauf hinaus läuft oder „Meta-Pop“ (so nennt Diedrich Diederichsen hoch-referenziellen Pop, wie Ariel Pink) unsere Welt retten kann, wird sich noch zeigen. Doch so oder so, Savages werden bei diesem Prozess eine Rolle gespielt haben.

"Silence Yourself!" ist bereits via Matador / Beggars erschienen.

savagesband.com

Savages sind auf Europa-Tour:

savagesband.com/live

Bild(er) ©

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