Was zum Hecker

Tim Hecker schreibt Songs für Arktisforscher im Geiste. Auf „Virgins“ lässt er gewaltige Sound-Attacken los, und das Herz hört gemeinsam mit dem Hirn zu.

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Wie man das ganze auch angeht, am Ende bleibt ein Gefühl, das irgendwo zwischen Brust und Kopf sitzen bleibt. Beim Hören von „Virgins“ ist das Gefühl vergleichbar mit einem Sprung ins Wasserbecken. Die Gehörgänge werden sofort mit fetzenartigem Staub gefüllt, der sich in jeder Fuge festsetzt. Das wirkt – auf jemanden, der Tim Hecker’s Musik nicht kennt – chaotisch. Es ist aber auch intrikat und bedeutsam.

Der Soundtrack beginnt bei Sekunde 0, fügt sich ein, wie ein verlorenes Puzzlestück. Der Zug startet, und findet langsam in die Schienen. Tim Heckers neues Album ist eben schwer greifbar, Bewertungen sowieso schwierig. Es bringt mehr, entweder alles loszulassen oder so zu tun als würde man gar nichts hören. Denn, auch wenn das herabwertend klingt: Heckers Musik ist gleichzeitig Leinwand wie auch Farbe. Und das macht sie besonders.

Was ist Live Musik

Das erste Mal sind hier alle Instrumente live eingespielt. So ist Hecker wohl auch das erste Mal auf eine neue Weise Herr seiner inneren Konflikte geworden. Man hört es schon beim ersten Durchgang des Albums, auch wenn man nicht klar sagen kann, was es ist. Auf diese Art übersetzt, mit traditionellen Musikern aufgenommen, ergeben die Stücke auch neuen Sinn. Indem sie aufzeigen, was möglich ist, und damit den üblichen, eingefahrenen Argumenten für gute und schlechte Musik den Wind aus den Segeln nehmen. Der Platz den Hecker einnimmt, ist sicherlich kein Thron. Eher ein Beobachtungsposten. Er will auch sicherlich nicht herrschen. Das hört sich eher an nach einem aufzeigen, einem Hinweis auf eine unbeachtete Schönheit die uns allgegenwärtig umgibt.

Was ist ein Instrument

Die Frage, was ein Instrument ist, und wie man es bedient, stellt sich hier immer wieder. Das schränkt nicht ein, aber es drängt sich einem aufmerksamen Ohr auf jeden Fall auf. Wie macht er das nur? Die Antwort ist wahrscheinlich: mit Computern, mit Mikrofonen, mit Menschen, mit Tasten. Kryptisch, wie auch verführerisch tönen die Auswürfe auf dem Album. Immer wieder zögert es, geht zurück, um dann wieder loszustürmen, oder ein paar Takte perkussiv zu stolpern. Sonst brodelt es viel, aber manchmal braucht man eben Zeit, um Dinge zu begreifen. Bei Tim Hecker ist schon vor dem Begreifen ein Erahnen da, und das macht seine Musik aus. „Virgins“ zeigt, genau so wie seine früheren Platten, eine raue, rhythmische Ansicht der Dinge. Und das vielfältig und spannend. Auffallend sind die Variationen an Geräuschen und Sounds, die diesmal vertreten sind. Ambient – hier wird Monotonie mit Erregung gemischt, wie man es nicht unbedingt erwartet.

"Virgins" ist Tim Heckers jüngstes Album. Erschienen ist es am 14.Oktober bei Kranky.

Bild(er) © Seldom Seen Seb

Nico Stinghe
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