Ins Schwarze hinterherhinken oder knapp daneben ist auch getroffen. Matangi ist M.I.A’s „Yeezus“ auf Post-Internet.
Es kribbelte ein bisschen, als „Matangi“ nach einer gefühlten Ewigkeit des Wartens dann doch so plötzlich im Stream landete. Ein Kribbeln bestehend aus Vorfreude und der Angst vor Enttäuschung. Egal, wie man zu der Künstlerin steht, „Matangi“ gehört zu den meist erwarteten Alben des Jahres. Ein Album, dessen Release auch den abgeklärtesten Musikkonsumenten und Binge-Hörern ein aufgeregtes Herzklopfen entlockt. Es ist das Herzklopfen, das die durch „Bad Girls“ geschürten Erwartungen auf eine wirklich große Pop-Release stetig und so lange begleitete. Jetzt ist Matangi da. Und das wird viele unbefriedigt lassen.
Als Kanye West nach dem hervorragenden Wurf „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ das – und darauf können sich zumindest alle einigen – komplizierte Album „Yeezus“ veröffentlichte, gingen die Meinungen stark auseinander. West, der größte Apologet der Kontroverse hat es natürlich darauf angelegt. Auf die musikalische Perfektion von „MBDTF“ folgte Chaos und Destruktion. So ähnlich lässt sich das auch für „Matangi“ sagen: Für viele wird es sich wie der musikalische Mittelfinger der mit Mittelfingern so gerne hantierenden Künstlerin anfühlen, den sie der Welt nach der Pop-Übernummer „Bad Girls“ an die Ohren streckt.
„Matangi“ ist ranzig
Die Sounds klingen schlafzimmerproduziert, mindestens ein Jahr in einer Schublade bei den Unterhosen vergammelt. Nicht aktuell, nicht zeitlos. Es tranct, es dubsteppt, es dancehallt, es trappt. Auf jedem Track liegen mindestens drei Spuren uralter Dreck. So als würde man um die Gegenstände auf einem Tisch herumwischen, anstatt sie aufzuheben. Screenshot-Geräusche fügen sich medienkritisch in das musikalische Sample-Wirr-Warr auf „Come Walk with Me“ ein, dem Track, der Interscope angeblich zu positiv war. Die poppig, fast süß anmutende Zeile „There’s A Thousand Ways To Meet You Now“, wird von dem bedrohlichen „There’s A Thousand Ways To Track You Down“ gefolgt.
Aber wir hatten schon einmal mehr Angst vor M.I.A. "Matangi" ist zwar voll vom aktuellen Politik- und Mediendiskurs aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass Kritik hier mehr Freizeitsport als ein echtes Anliegen ist. Selbst „aTENTion“ eignet sich mehr als Hintergrundmusik zum Gameboyspielen als Erinnerung an Verantwortungsübernahme bei Datenfragen und dergleichen. Halbgare Pop-Referenzen à la „We Started At The Bottom But Drake Gets All The Credit“ auf dem für das Album zentralen Titeltrack gehen sich auch noch aus. Die Musik vermittelt pseudofröhliche Wurschtigkeit, einen bunten Nihilismus. Das Gefühl stundenlang auf einer mittelmäßigen Party zu tanzen um das eine Lied zu hören, das es immer fast, aber dann doch nicht spielt.
Von allem zu viel und immer zu wenig
„Matangi“ ist das, was auf Aktualität folgt. Es hinkt immer ein bisschen hinterher, es zitiert kontextfrei, es hat von allem zu viel und immer zu wenig. Ein barocker Tease, aber das echte Fett zum Angreifen fehlt. Es ist Post-Internet in Reinform. Und das macht es großartig.
Nicht „Matangi“ ist der Mittelfinger, sondern „Bad Girls“ in seiner Perfektion und vermeintlichen Hochglanz-Aktualität war es. Inklusive atemberaubenden Video lässt der Track vergessen, dass alles immer schon vorbei ist – „It’s Already Been Did and Done“, wie es auf „Come Walk With Me“ heißt. „Matangi“ verschleiert diesen Fakt nicht, sondern stellt ihn in sein Zentrum. Es ist frei von jedem Make Believe, der Stärke von „Bad Girls“ und das wird nicht jeden Hörer glücklich machen. Und natürlich wäre es gelogen zu behaupten, dass wir uns nicht alle auf ein Album gefreut hätten, auf dem jeder Track so eine Faszination ausübt, wie „Bad Girls“ es tut – wer liebt guten Pop nicht? Dennoch hat „Matangi“ einzigartike Qualitäten, die dem Album die wärmsten Empfehlungen sichern.
"Matangi" von M.I.A. ist soeben erschienen.