Fisch x Fleisch

The 1975s steckt man schneller in die High-School Schublade als man deren Diskografie durchhören kann. Dann wüsste man nämlich, dass einige ihrer Nummern einen James-Blake-Remix verdient hätten. Wir baten 1975-Sänger Matt Healy zum Interview.

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Matt Healy, den Sänger der 1975s, kann man mit vielen Klischees bepflastern. Oberflächlich gesehen hat man auch guten Grund dazu. Hört man sich durch deren Single-Strang ("Girls", "The City", "Chocolate", "Sex") wird man nicht nur mit relativ einfachen Titeln sondern ebenso eingänglichem Pop konfrontiert. Ersteres ist jetzt hipp (Daughter), zweiteres wäre total okay, wäre da nicht dieser nasale Boygroup-Tenor. Dazu gesellt sich gelegentlich ein Dackeblick, ein "Haare auf die Seite streifen" und dieses Jammern im englischen Akzent. Matthew Healy hat dieses Frontman-Ding voll drauf. Das ist total verstörend, weil er auch Songs schreiben kann, die einen James Blake- oder Alt-J-Remix verdient hätten.

Andeuten

Kürzlich saß er im Wiener Flex-Café. Um drei Uhr nachtmittags, wo im nüchternen Zustand alles noch eine Spur abgefuckter aussieht, redete aber so euphorisch über seine Musiker-Karriere, als säße er in einem Hotel am Ring auf seinem Zimmer: Dass Sie gerade aus Paris kämen, auf einer "never ending Tour" von zwei Jahren seien und wie lange er auf diesen Moment gewartet habe. Zehn Jahre um genau zu sein. Grübeln, denn das aus Manchester stammende Quartett klingt nicht nur wie frisch geschlüpfte Newcomer, sondern sieht auch so aus. Solche, die den großen Erfolg dem Internet und einer Hand voll nerviger Hits verdanken. "Ich bin tatsächlich etwas altmodisch was dieses Social-Media Zeugs betrifft", erklärt er und weiter: "Wir wollten nicht nur reine Singles veröffentlichen weil das umkreativ und langweilig ist."

Polarisieren

Damit meint er ganze vier EPs, welche The 1975s in den letzten zwei Jahren veröffentlicht haben. Diese seien eine Art Intro für das kürzlich erschienene Debüt gewesen, eine "Vorstellung unserer Band". Alle EPs hatten eine Gemeinsamkeit, nämlich dass sie nichts miteinander gemein hatten: Auf "Music For Cars" dehnten sich sphärische Chöre auf Ambiente-Feldern aus, bekamen mit R’n’B-Beats Ecken und Kanten, ein gelegentliches Falsett oder wie in "Heads Cars Bending" einen implodierenden Refrain.

Dasselbe Spiel bei "IV": Eine stark an 30 Seconds To Mars erinnernde Single in unprätentiösem Ambiente abseits des 4/4 Taktes. Matt Healy nennt das "Dynamik" und er weiß, dass das ein Publikum oft ziemlich scheiße findet. Er redet über die Geschichte mit dem "Sex"-Video – ein Streifen, der quasi das Corporate Design der Band abrupt unterbrochen hat, weil er nicht in Schwarzweiß gedreht war. "Es gab eine Debatte darüber, ob uns das Label dazu gedrillt hat, Pop-Videos in Farbe zu drehen, was total lächerlich ist." Ich frage ihn, warum die Farbe her musste. Er sagt, weil es in Farbe einfach viel besser rüberkommen ist. Er hat recht.

Das Artwork ist dafür seit fünf Veröffentlichungen unverändert geblieben – eine Liebe zu Chanels N° 5 steckt dahinter. "Diese Box ist einfach ein großartiges Design, keiner hat es bisher für sich verwendet." Am Abend strahlt einem das Rechteck als Lichtshow entgegen. The 1975s spielen die großen Hits, die im Radio laufen könnten und die kleinen Synth-Schmankerln, denen man ihre Liebe zu urbaneren Beats anhört. Das Publikum wirkt als fände es das ziemlich gut: Den Placebo-Emo-Unterton, die fließenden Effekte als auch die sehr im funkigen 80s-Flair gehaltene neue Nummern wie "Settle Down".

Die Band klingt erfahren, manchmal aber so, als hätte sie ihr Durchbruch mit der Single "Chocolate" dann doch ziemlich umgehauen. Das war der Abend als die Band im Vorprogramm der Rolling Stones spielte. "Ich stand auf der Bühne, rechts von mir tanzte Mick Jagger zu meiner Musik, über mir prangerte der Schriftzug meiner Band und vor mir stand mein Vater in der ersten Reihe. Es war ziemlich irre". Wer weiß, hätte er damals einen Song wie "Money" gespielt, man hätte ihn so gefeiert wie das Deutschland letztes Jahr mit Sizarr gemacht hat. Scheinbar kann er aber einfach beides.

Das Debüt von The 1975 ist Anfang September erschienen.

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