Fünf Personen erzählen von ihrer persönlichen Sicht auf »Shining«: mal intelligent, mal kurios, fast immer unterhaltsam. Beispiele dafür, wie das Ansehen von Filmen zum individuellen Erlebnis wird.
»Room 237« beginnt vergleichsweise unvermittelt. Eine nur kurz beim Namen genannte Stimme aus dem Off erzählt recht persönlich über die eigenen Erfahrungen mit Stanley Kubricks »Shining«. Im Bild: Tom Cruise, der ein Kino-Plakat zu »Shining« betrachtet und unbekannte Menschen in einem Kino. Kurz wird angeschnitten und erzählt, was hinlänglich bekannt ist: »Shining« war für viele eine Enttäuschung. Man hatte sich von einer Stephen King-Verfilmung und einem Stanley Kubrick-Horrorfilm anderes erwartet.
Die Großartigkeit des Films hat sich erst langsam herumgesprochen und manche mussten den Film mehrmals ansehen, um in seine Vielschichtigkeit einzutauchen. Dann kommt die Stimme aber auch schon zu einer persönlichen Deutung: Verschiedene Details in den Bildern von »Shining« – unter anderem, wie bestimmte Konservendosen mit einem Indianer-Profil angeordnet sind – lassen darauf schließen, dass »Shining« ein Film über den Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern ist.
Wenige Szenen später erzählt eine andere Stimme davon, dass der Zweite Weltkrieg das Thema von »Shining« ist. Als Hinweise dienen eine alte deutsche Schreibmaschine, die im Lauf des Films ihre Farbe ändert oder auch eine Überblendung am Ende des Films, die einen Hitler-Bart auf das Gesicht von Jack Nicholson zeichnet. Und dann gibt es da noch diesen Haufen Gepäckstücke, der in der nächsten Szene von einer Gruppe Menschen ersetzt wird.
Fake-Mondlandung
Fünf Interview-Partner kommen in »Room 237« zu Wort. Sie werden im Film nicht näher vorgestellt. Bill Blakemore ist ein erfahrener Journalist, Geoffrey Cocks Geschichtsprofessor, Juli Kearns Dramaturgin, John Fell Ryan Musiker und Künstler und Jay Weidner Autor, Filmemacher und Verschwörungstheoretiker. »Room 237« stellt ihre Analysen und teils kruden Ideen und Eindrücke ziemlich unkommentiert nebeneinander.
Manchmal versucht die Doku, die entsprechenden Bilder in »Shining« zu finden, manchmal gibt es bewusst absurd eingesetztes Filmmaterial – Stephen King im Pyjama – zur Untermalung des Erzählten. In vielen Szenen zeigen die Analysen tatsächlich Details, die beim normalen Ansehen den wenigsten auffallen: Ein Teppich, der die Ausrichtung ändert, unmögliche Architektur und andere von Kubrick versteckte Spielereien. Fast genauso oft erweisen sich die Theorien und Aussagen aber auch als Hirngespinste der Interviewten. Wie Kubricks Gesicht in den Wolken. Die schönste Idee ist, dass Kubrick für die US-Regierung die Mondlandung gefakt hat und in »Shining« seine Erfahrungen damit verarbeitet. Ein Beweis: Der Zimmerschlüssel zu Room No. 237. Und aus diesen Buchstaben lässt sich außer Room ja nur Moon bilden. Ebenso faszinierend auch Effekte, die entstehen, wenn der Film gleichzeitig vor- und rückwärts ablaufend übereinander projiziert wird. Ob beabsichtigt oder nicht: hier entstehen tatsächlich ganz neue, oft eindrucksvolle Bilder und Deutungsmöglichkeiten.
Die Erzähler finden viele Details, die beachtenswert sind – und liegen genauso oft daneben. Sehen Erektionen, wo keine sind. »Room 237« erzählt deswegen nicht nur über »Shining«, sondern generell über das Sehen von Filmen, das Konsumieren von Medienprodukten. Darüber, wie Sinn und Unsinn – gerade bei komplexeren, freieren Werken wie »Shining« – erst im Kopf des Zusehers entsteht. Darüber, wie viele Interpretationen nicht nur möglich, sondern auch berechtigt sind.
Es ist ebenso erhellend wie unterhaltsam, den Stimmen aus dem Off dabei zuzuhören, wie sie auf ihre Theorien gekommen sind, was sie in den Bilder sehen, hören und was sie aus ihrem Gedächtnis ergänzen. Eine anschauliches Beispiel dafür, wie wir selbst Filme verarbeiten, Bilder und Töne mit eigenen Geschichten und Erfahrungen ergänzen. Und dann war da noch die Sache mit dem roten VW-Käfer.
»Room 237« ist bereits bei Rapid Eye Movies auf DVD erschienen.