Murathan Muslu, der den Ex-Knacki in Umut Dağs neuem Kinofilm »Risse im Beton« spielt, ist beim Interview ein stilles Wasser. Zu einem ungewöhnlichen Weg raus aus den alltäglichen Schiebereien rät er aber doch.
»Ich bin voll nervös. Ich hasse solche Interviews, am liebsten würde ich überhaupt keine geben – das kannst du ruhig schreiben.« Wie reizend. Dabei war »Risse im Beton« schon auf der 64. Berlinale zu sehen. Murathan Muslu (Aqil) war früher bei Sua Kaan, rappt heute aber nicht mehr, sondern ist Schauspieler und Drehbuchautor. Wir sind die ersten, mit denen er über den Film spricht, also auch über Jugendliche mit Problemen und auch ein bisschen über den Knast.
Bewegung mit Stillstand
In der Eröffnungsszene schlägt eine Frau einem Mann mehrfach ins Gesicht. Er lässt es zu. Sie ist eine Mutter. Ihr Sohn wurde von Ertan (Muslu) totgeschlagen. Dafür saß er zehn Jahre im Gefängnis. Wieder draußen, versucht er zu leben, aber auch seinem eigenen 15-jährigen Sohn Mikail (Alechan Tagaev) näherzukommen. Der Schauspieler Murathan Muslu nimmt diese Rolle mühelos ein. Er kennt zwar Leute, die eingesessen sind, sogar jemanden, der dort starb, aber war nie selbst drin. Also wollte er sich für zehn Tage einsperren lassen, um die Enge am eigenen Leib zu spüren. Nur gesetzlich war das leider nicht möglich. Sich selbst sieht er als Laienschauspieler, absichtlich, damit er am Boden bleibt. Außerdem ist für ihn jeder Mensch ein Schauspieler. Was ihn allerdings mit Ertan verbindet, ist das Gefühl der Trauer – nicht zwischen Vater und Sohn, sondern zwischen ihm und seinem Vater. Was er damit genau meint, erklärt er nicht weiter. Überhaupt möchte Murathan seine eigene Vergangenheit nicht aufrollen. Er war nicht gerade der bravste Schüler. Trotzdem hat er seinen Weg gefunden. Im Gegensatz zu Ertan, der versucht nach vorne zu kommen, aber stillsteht und immer wieder in Situationen gerät, die ihn daran hindern, mit ihr abzuschließen.
»Sag nicht Migrationsfilm dazu«
Man könnte glauben, dass der Regisseur hinter dem Film, Umut Dağ, einen Faible für Geschichten mit Migrationshintergrund hat. In »Kuma« und »Papa« waren es Figuren mit türkischen Wurzeln. In »Risse im Beton« sind es u.a. Tschetschenen. Wie universell er aber dieses Mal im Film die Probleme von Jugendlichen darstellt, erkennt man schon an der Umwelt. In Wien gedreht, sieht man Straßen, dunkle Ecken, Schulhöfe, an denen sich die Gewalt und Dealerei abspielen. Rap kann ein Ausweg sein, das glaubt zumindest Mikail. Natürlich schrillen da die Klischee-Alarmglocken, aber Umut Dağ setzt die Story mit Feingefühl um. Fremd wirken darin höchstens linksliberale Figuren wie der Bewährungshelfer oder die Sozialarbeiterin. Beide, Murathan und Dağ, drehen auch sonst gern miteinander, »Copstories« etwa. Mittlerweile kennen sie sich gut, was die Arbeit erleichtert.
In »Risse im Beton« sind nun alle jungen Darsteller keine professionellen Schauspieler. Viele von ihnen haben eigene Erlebnisse in ihre Rollen mit eingebracht. Diesem Teufelskreis, der sich immer wieder schließt, ist nur mit einer guten Ausbildung entgegenzuwirken, oder mit Sport, damit die Kids nicht auf der Straße herumlungern, kommentiert Murathan. Obwohl er nicht mehr aktiv rappt, wird er oft von jungen Leuten nach Feedback gefragt. Mit einem sympathischen Schmunzeln rät er den jungen Leuten: »Studiert Politikwissenschaften, integriert euch, werdet Lobbyisten, geht in die Politik und macht genau das Gegenteil von dem, was die Mehrzahl der Politiker heute machen.« Vom Vorhof der Hölle in die Filmindustrie. Damit meint er seinen eigenen Werdegang oder vielleicht auch den der Darsteller im Film.
»Risse im Beton« läuft ab 19. September in den österreichischen Kinos.