Beatbastler, Gänsehautgarantie, Schmusebarde – über Musik zu schreiben erfordert das passende Vokabular und das besteht nur zu oft aus zwei zusammengesetzten Wörtern, von denen eines abgelutschter ist als das andere. Neun Beispiele mit Hörproben.
1. Ausnahmekünstler (© Jamie-James Medina)
Der Ausnahmekünstler - ist, wer zumindest eine gute oder verrückte Sache gemacht hat. Manchmal reicht es auch, wenn der Ausnahmekünstler einfach irgendeine Sache sehr lange gemacht hat. Ausnahmekünstler können aber auch Leute sein, von denen man nicht so genau weiß, was sie überhaupt gemacht haben oder warum. Mit anderen Worten: so ziemlich jeder kann Ausnahmekünstler sein. Zum Beispiel King Krule, der ja auch wirklich super ist. Hörbeispiel: King Krule - A Lizard State
2. Beatbastler (© All City Records)
Beatbastler ist jeder, der schon einmal selbst einen Drum Sound auf dem Computer generiert hat. Je gefinkelter und ausgefuchster das für den Laien, also den Musikjournalisten, klingt, desto besser. Kein 4/4 Takt? Heiliger Bim Bam, was für ein Ausnahmekünstler von einem Beatbastler. Produziert selbiger auch noch einen Hit, dann ist es - wait for it - ein Bastlerhit. Weniger komplexes aber durchaus hörenswertes Beatbasteln, macht Onra. Hörbeispiel: Onra - The Anthem
3. Basslandschaft (© Warp)
Die Basslandschaft liegt dort in der Gegend vom Soundgebirge (!), das wiederum gleich neben der Soundlandschaft liegt. Man will sich direkt einen Bastlerhit drauf bauen und ihn mit einem Klangteppich ausstatten! Die Basslandschaft besteht meistens jedenfalls aus mehreren Synths, die nach Bass klingen und manchmal übereinandergelegt wurden - wenn sie weniger bassig klingen auch gern als "Synthesizerfläche" bezeichnet werden. Wenn es aber im Hintergrund "brummmsschrumms " macht, kann schon als Basslandschaft durchgehen. Gute Adjektive für die Basslandschaft: atmosphärisch oder verwoben - Textur kann man auch noch einbauen. Hörbeispiel: Autechre - Dropp
4. Schlafzimmerproduzent (© Sub Pop)
Schlafzimmerproduzent ist wohl die Übersetzung des englischen Begriffs Bedroom Producer. Menschen, also, die mit Laptop in ihren Wohnungen/Zimmern produzieren und nicht im Studio. Mittlerweile wird Schlafzimmerproduzent auf alles angewendet, was zumindest so klingt, als könnte es in einem Schlafzimmer produziert worden sein, weil es manchmal eben auch sehr einschläfernd ist, no offense, Chillwave. Hörbeispiel: Washed Out - Soft
5. Gänsehautgarantie (© Polydor)
Gänsehautgarantie - da sind Schlafzimmerproduzenten natürlich extrem gut geeignet. Gänsehautgarantie ist so super, weil sie in ziemlich vielen Genres zu Hause ist. Leider kann man bereits gekaufte Alben nicht zurückgeben, wenn das mit der Gänsehaut dann doch nicht so hingehaut hat. Die Garantie wird dann eben doch nicht so heiß gegessen wie gekocht. Vorher also doch lieber reinhören und extrem viel spüren. Hörbeispiel: Rhye - Open
6. Ohrwurmpotential (© Interscope)
Und falls das schon mit der Haut nicht klappt, bitte ans Ohr denken, wo würmisches Potential haust. Ohrwurmpotential ist so ein trauriges Wort, weil es sagt: Hey, mit ein bisschen mehr Anstrengung wärst du ein Ohrwurm geworden. So wie "Only". Ist halt nicht "Closer". Der Refrain kommt einfach gefühlte 10 Strophen zu spät. Hörbeispiel: Nine Inch Nails - Only
7. Genregrenze (© Youtube)
Bitte kann irgendwer eine NGO oder Ähnliches für Musikschaffende ohne Grenzen gründen? Weil, es gibt so etwas wie Genres wirklich immer weniger, damit auch keine Grenzen und das ist wirklich gut so. Was es gibt, ist gute und schlechte Musik und das ist ganz und gar subjektiv, auch wenn Musikjournalisten gerne behaupten, dass dem nicht so sei. Was Musikjournalisten übrigens noch gern einreden, ist, dass es Wörter wie "Genrehaltestelle" gibt. Was das sein soll, ist ziemlich ungewiss, aber wir vermuten, dass so eine Haltestelle auch an einer Genregrenze liegen kann. Oder eben bei Azealia Banks. Hörbeispiel: Azealia Banks - 212 ft. Lazy Jay
8. Vollblutmusiker (© Virgin EMI)
Das ist die Sorte von Ausnahmekünstler, die schon sehr lange dabei ist. Extrem lange. Hörbeispiel: Paul McCartney - Queenie Eye
9. Rockröhre / Schmusebarde / Skandalnudel (© Vevo)
Wer diese Worte verwendet, ist vermutlich schon länger im Geschäft und schrieb einmal über Anastacia und Eros Ramazotti. Oder er/sie schreibt leider nach wie vor. Über Miley Cyrus. Es gibt wirklich keinen einzigen Grund, jemanden als Rohr, als keltischen Dichter oder als ungeheuerliche Pasta zu bezeichnen. Keinen. Hörbeispiel: Eros Ramazzotti & Anastacia - I Belong To You (Il Ritmo della Passione)
Vielen Menschen gelten Musikjournalisten als schwer privilegierte Arroganzler, die auch noch damit belohnt wurden, ihr Hobby zum Beruf machen zu dürfen, nachdem ihre eigene musikalische Karriere gescheitert ist. Jetzt sitzen sie auf ihrem Elfenbeinturm und blicken auf Musiker und Fans verächtlich herab, verreißen zur Selbstprofilierung willkürlich Platten in unverständlichem Vokabular und klopfen damit ausschließlich sich selbst auf die Schultern.
Zugegeben, das Dolmaufkommen in diesem Berufsstand, der ohnehin kaum einer ist – wenige Leute können hierzulande wirklich ausschließlich vom Musikjournalismus leben – ist nicht, äh, ungroß und viel des Grants, den seine Vertreter auf sich ziehen, ist nicht ganz unbegründet. Das liegt auch daran, dass Musikjournalisten (und da nehmen wir uns überhaupt nicht aus) in völlig unnachvollziehbaren Metaphern und Wortketten schreiben, die vielleicht ganz fesch klingen, aber wenig bedeuten. Das haben wir zum Beispiel auch hier schon einmal besprochen. Da wird mit Ausdrücken um sich geworfen, die a) nicht existieren oder b) nicht existieren sollten. Viele davon – besonders aus zwei Nomen zusammengesetzte Wörter – haben sich mittlerweile so etabliert, dass so gut wie jeder in unserer Zunft sie schon mal verwendet hat – wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Beatbastler. Neun Allzweckwaffen der Einfallslosigkeit erklären wir hier anhand von Beispielen und bitten darum, uns bessere Alternativen zu nennen.
Trotzdem wäre es nett, wenn man selbst unsere schlimmsten Wortdebakel nicht "Sprech", "Geschwurbel" oder zusammengesetzt "Geschwurbelsprech" nennen könnte – das tut uns Vollblutjournalisten und Wortbastlern auch weh und klingt nicht viel besser, als die Dinge, die wir so alltäglich verbrechen.
Alternative Bezeichnungen werden gerne in den Kommentaren entgegengenommen und dem aktiven Wortschatz hinzugefügt. Auch gern gesehen: Tweetgebastel an die Autorin @oidaamira