Kiesza hätte mit einem Riesen wie „Hideaway“ auch locker ein billiges Schnellschuss-Album gestemmt. Warum man die Kuh manchmal nicht melken sollte, bevor ihr Euter ausgewachsen ist.
Im vergangenen Februar lief ein Rotschopf in hochtaillierten Jeans und roten Sneakers durch die Straßen Brooklyns, klang dabei ein bisschen wie Robin S. und lieferte ganz nebenbei endlich mal wieder richtig geile Choreo ab. Ein paar Wochen später war Kiesza auch schon die #1 in Großbritannien, Pop hatte sein langersehntes 90er-Revival und überhaupt fand die ganze Welt „Hideaway“ total super und feierten die Kanadierin als das Ding 2014.
Aber das Business ist schnelllebig geworden und neue Acts sind wieder verschwunden noch bevor man „Clean Bandit“ sagen kann. Auch bei Kiesza hätte man den Hype mitnehmen können und mal eben ein Album zusammenschustern, das sich dann mit Hit-Rückenwind einigermaßen verkauft hätte. So macht man das heute mit den meisten Newcomern – man muss das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist. Umso schöner, wenn die Chefs jemandem wie Kiesza zumindest ein kleines bisschen Zeit verschafft haben. Gerade genug, um ein hörenswertes Debütalbum zu produzieren, noch bevor sich „Hideaway“ aus der Erinnerung des Zielpublikums verabschiedet.
Kermit The Wiedererkennungswert
Und das hat sich offenbar ausgezahlt. Ja, „Sound Of A Woman“ wird zwar getragen von dem großen 90er-Vibe, den Kiesza zum Teil losgetreten hat. Schlussendlich kann man aber so viele Jahrzehnte und Trends zitieren, wie man möchte – die Songs selbst müssen was hergeben. Die Hooks sind abnormal gut, die Refrains bestehen großteils aus „uh ah“, „woah doo doo dah“ und „yeah-eeh-yeah“ und alles funktioniert irgendwie. Kiesza nutzt ihre sensationelle Range für Vokalakrobatik der besten Sorte und klingt dabei so wunderbar unangestrengt, dass man sich fast ein bisschen über ihre Stimme freut. Hier und da denkt man sich dann schon „Oha, Kermit the Frog!“ aber hey, Wiedererkennungswert ist eh wichtig.
Vor allem aber steckt hier cleveres Songwriting dahinter, („put your hand on my piano“ muss die stilvollste Muschi-Metapher des Jahres sein), eingehüllt in Pop, Deep House, einer Prise Soul und sogar ein paar Massive Attack-Einwürfen. Ihre Liebe für die 90er müsste mittlerweile jeder mitbekommen haben, das fade Piano-Cover von Haddaways „What Is Love“ hätte man sich demnach getrost sparen können – das ist dann doch eher B-Seiten-Material. Die Cameos von Joey Bada$$ und Mick Jenkins machen den Ausfall aber wieder gut.
Kieszas Debüt hinterlässt auch Post-„Hideaway“ bleibenden Eindruck. Überhits gibt es neben den Singles zwar nicht mehr, aber eine solide Leistung ist es allemal. Im Grunde ist das der Beweis dafür, die berühmte Kuh eben nicht sofort melken zu müssen, solange sie noch Milch gibt. Insbesondere dann, wenn die Kuh noch ein blutjunges, überaus talentiertes Kalb ist, deren Zitzen noch nicht mal wirklich ausgereift sind. Take notes, music industry. Manchmal lohnt es sich schließlich doch, Künstler nicht sofort auszuschlachten und damit eine potentielle Karriere zu demontieren – Kiesza arbeitet zur Zeit schon wieder an neuen Tracks mit Diplo und Skrillex (auf Letzteren dürfte sie auch verzichten, aber oh well, Skrillex findet man seit heuer eh irgendwie auch cool) und hat für das kommende Rihanna-Album geschrieben.
Könnte also schlechter laufen. Und übrigens, man spricht sie wirklich „Kaisah“ aus.
"Sound Of A Woman" von Kiesza ist bereits via Universal erschienen.