Das hübsche Gesicht und der ordinäre Titel haben euch also hierher gebracht? Fein, denn falls ihr immer noch nicht wisst, wer Charli XCX wirklich ist, dann passt jetzt einmal gut auf.
Das ist doch die Schwarzhaarige aus Iggy Azaleas „Fancy“? Ja, eh. Icona Pops Megahit „I Love It“ hat sie auch geschrieben, richtig. Und da gab es im Sommer diesen einen buchbasierten Film namens „The Fault In Our Stars“ mit so einem Ohrwurm von ihr im Soundtrack. Irgendwas mit „Boom Clap“. Stimmt alles, ist aber nur ein Bruchteil dessen, was die 22-jährige Charlotte Aitchison aka Charli XCX in den letzten Jahren so gemacht hat. Klar, es gibt zahlreiche Fans und Musikmenschen, die ihre Vita auswendig kennen, im gemeinen (Mainstream-)Popwissen ist die Britin jedoch noch nicht so angekommen, wie sie eigentlich sollte. Vielleicht wird sie das mit ihrem zweiten Album „Sucker“. Die Chancen dafür stehen jedenfalls ziemlich gut.
Vom Seapunk zum Cheerleader
Als Charli XCX 2013 ihr zumindest bei Kritikern sehr gefeiertes Debütalbum „True Romance“ veröffentlichte, war sie eine der Künstlerinnen, die das 90ies-Pop-Revival so glamourös wie großkotzig zelebrierten. Buffalos, bauchfreie Tops, Lollipops, Choker, Glitzer-Make-Up. Dazu Songs, die aufgeblasener fast nicht hätten sein können. Im Herzen war die damals 20-Jährige aber doch ein Punk, manchmal auch ein Seapunk. Ihre Görenhaftigkeit und die Mittelfinger-Attitüde, die sie vor zwei Jahren noch irgendwie hinter ihrem Goth-Elektropop-Sound versteckte, scheint sie heute so auszuleben, wie es ihr in den Sinn kommt: simpel, laut, in-your-face. So singt sie auf einem typisch gelben US-Schulbus tanzend „I Don’t Wanna Go To School, I Just Wanna Break The Rules“ und eröffnet ihr Album einfach einmal mit dem ein oder anderen „Fuck You, Sucker!“
Sie überrumpelt einen als Hörer etwas. „Jetzt hört mir zu, ihr Idioten!“ Charli, wir hören dich, du hast unsere volle Aufmerksamkeit.
Pop in Reinform
Charli XCX ist heute weg vom elektronischen Dröhnen und vom Goth-Appeal. Auf „Sucker“ macht sie Mainstream-tauglichen Pop in Reinform. Einfach, wirksam und doch gleichzeitig nicht hohl. Sie weiß eben mittlerweile, wie Pop funktioniert, dass knackige Songs über Parties ("Famous"), Schlussmachen ("Breaking Up") und Glamour ("Gold Coins") ziehen. Und natürlich Miniröcke. Irgendwie hat Charli es auch geschafft, mit ihrer Musik US-amerikanisch zu klingen, nach diesem Land-der-grenzenlosen-Möglichkeiten-Klischee und nach Free-World-Legende. Von London direkt nach Hollywood ("London Queen"). Sie ist dabei aber eigentlich immer noch zu cool und zu tough für all den Scheiß, im Herzen immer noch der viel zu hübsche Schneewittchen-Punk aus "True Romance", halt englisch durch und durch. Man legt sich immer noch besser nicht mit Charli XCX an, wäre aber doch liebend gerne Teil ihrer Cheerleader-Girlgang.
So unkompliziert "Sucker" auf den ersten Blick vielleicht wirkt, so perfekt sind die einzelnen Songs tatsächlich. Unwiderstehliche Melodien mit Refrains, die vom UK bis nach Übersee funktionieren und dazu die mal großmäuligen, mal naiven Texte. Charli XCX könnte also bereits mit ihrem Zweitling diesen eigentlich vollkommen utopischen Spagat zwischen von der Kritik geliebtem und kommerziell wirklich erfolgreichem Album schaffen. Sie könnte ein bisschen Popgeschichte schreiben.
"Sucker" von Charli XCX erscheint jetzt doch erst am 16. Februar via Asylum Records/Atlantic Records.
Die Autorin versucht manchmal auf Twitter, in Charlis Girlgang aufgenommen zu werden: nicole_schoen.