Eine Lanze für die Mega-Ravekultur: Sollen sie doch EDM hören, solange sie nicht brandschatzend durch die Straßen ziehen
Ebenso, wie es mittlerweile obsolet sein sollte – ein bisschen seltener geworden ist es immerhin –, den Begriff »Hipster« in einem Satz mit Hornbrillen, Stoffsackerln und Vollbärten zu nennen, könnten sich die Menschen langsam auch damit abfinden, dass es in den USA eine riesige Rave-Szene gibt, die auf größtenteils sauschlechter Musik basiert und sehr viel Geld macht. EDM, oder wie dessen Derivate von Brostep bis Melbourne Bounce heute genannt werden, ist die aufgeblasenste, effekthascherischste Version von Dance Music, die man sich (oft nicht einmal) vorstellen kann, und irgendwo sitzen Geschäftsmänner händereibend beisammen und erfinden auf ihren Tablets Trendfrisuren und Modelabels mit Glitzersteinen für Millionen an armen Raverinnen.
Ebenso ist es wahr, wie die amerikanische DJ Reid Speed kürzlich vom Online-Magazin Thump zitiert wird, dass Dance Music vom früheren Auffangbecken für die, die nicht in den Mainstream gepasst haben, zum Massengeschmack geworden ist. »Die zehn besten Anti-EDM-Zitate« lautet die Überschrift der dazugehörigen Story, in der DJ-Sager zum sogenannt »dreckigsten Begriff in der Welt elektronischer Musik« aufgelistet sind.
Die Avantgarde hat sowieso die Nase vorn
Auch wenn alle oben genannten Gegenargumente stimmen, mag es nicht so recht einleuchten, welchen Nachteil die originäre Techno-, House- oder Bass Music-Szene daraus ziehen sollte. Die Avantgarde hat sich, sobald sie von der Zeit eingeholt wurde, noch immer eigene und neue Wege gebahnt. Schon klar, EDM bestätigt in ihrer billigen Hässlichkeit die Vorurteile einiger übriggebliebener Menschen, die elektronische Tanzmusik immer noch für die simple Aneinanderreihung von bumm, bumm, bumm und bumm halten. Steve Aoki mag Torten werfen, aber es ist zu bezweifeln, dass er dadurch einer undergroundigen House-DJ Publikum oder potentielle Download-Kunden wegnimmt. (In einem Interview zeigte sich uns Aoki übrigens als extrem freundlicher, reflektierter, nüchterner Gesprächspartner mit einem Uni-Abschluss in Feminist Studies, aber das ist eine andere Geschichte.)
Die Verknüpfung von Underground und Mainstream
Wenn eine Caribou-Nummer von einem Mega-DJ – wenn auch in einem ansonsten fragwürdigen Set – vor zehntausenden Leuten gespielt wird, ist das doch eine gute Sache; und wenn ein Popstar wie Robbie Williams sich eines Beats von Todd Terje bedient (»Candy«) oder Cashmere Cat vom Turntablist-Champion zum gut bezahlten Pop-Produzenten wird, wollen wir ihnen die Bekanntheit und den hoffentlich damit einhergehenden Geldregen doch gönnen. Unter den EDM-Zitaten aus der Thump-Liste halten wir uns daher am liebsten an Ricardo Villalobos: »Ich kann EDM oder billige Popmusik nicht wirklich verurteilen, wenn die Leute demokratisch entschieden haben, dass es das ist, was sie wollen. Leute, die dieselben Interessen haben, ziehen nicht in den Krieg und töten sich gegenseitig.«
Katharina Seidler schreibt für FM4, Falter und twittert auch manchmal hier.