Haiko Pfost und Thomas Frank haben das Brut Wien zu einem internationalen Dreh- und Angelpunkt der Performance-Szene gemacht. Auch wenn das hier fast keiner mitbekommen hat.
Anfang Mai, bei der großen Abschiedssause, gab es diesen einen perfekten Theatermoment: Die große Doris Uhlich auf Spitzenschuhen, an ihrer Seite der Balletttänzer Harald Balluch, die inmitten der schon sehr verschwitzten Partycrowd zum Schwan aus Saint-Saëns »Der Karneval der Tiere« tanzten. Queen of Naked Dance wird Doris Uhlich manchmal genannt. Und wenig später machte sie ihrem Namen alle Ehre und bespritzte standesgemäß zu »Survivor« von Destiny´s Child alle mit Sekt, bevor sie wieder nackt hinter dem DJ-Pult Position bezog und ein letztes Mal das Brut im Konzerthaus mit ihrer Interpretation des perfekten Disco-Sounds beschallte. Mit viel Rihanna, Roisin Murphy, Daft Punk und anderen guten Sachen.
Großen Spaß bereitete das, aber nicht nur. Denn die oberösterreichische Choreografin ist noch dazu auf einer Missionstour, die da lautet: Liebe deinen Körper wie er ist, auch ohne Dove-Werbung. Tanz wie du willst, ob nackt oder angezogen. Denn es gibt nichts Spannenderes als den menschlichen Körper. Diese große Zuneigung für alles Humane, die Liebe für jede Hautfalte und zu jeder noch so verzackten Bewegung macht Doris Uhlich zur perfekten Gastgeberin und zur Inkarnation von acht Saisonen Brut.
Gute Mischung
Denn diese herrliche Körpererfahrungssause verband auf ungezwungene Weise vieles, wofür das Brut unter der Intendanz von Heiko Pfost (der sich schon 2013 in die Bildungskarenz verabschiedete) und Thomas Frank stand: Kluge Performances, wilde Partys, gute Musik. Das Brut brachte den Beton gewordenen Traum jedes Kulturpolitikers der 00er-Jahre in die Hauptstadt: Das Theater sollte zu einem Aufenthaltsort werden, zum erweiterten Wohnzimmer der Kultur- und Nicht-So-Kulturszene.
Beliebt wurde dieser Zugang auch durch dessen Budgetfreundlichkeit: Locker bespielte Wohnzimmer kommen eben viel billiger als dichte Ensemblestrukturen. Und so, zumindest die Theorie, sollte durch das »niederschwellige Angebot« potenzielles Publikum ins Haus gelockt werden und sich langsam mit dem Gedanken anfreunden, sich auch einmal mit hochdiskursivem Bühnengeschehen auseinanderzusetzen.
Peaches statt Hamlet
Zu neuer Größe im deutschsprachigen Raum geführt hatte dieses Konzept Mathias Lilienthal in Berlin. 2003 vereinte der ehemalige Volksbühnen-Dramaturg, der unter anderem Christoph Schlingensief fürs Theater entdeckte, drei Kreuzberger Bühnen zum großen Kulturtanker HAU. Sein Erfolgsrezept: Freie Gruppen statt Repertoire. Schnell produzierte Abende zu aktuellen Themen statt dem x-ten, sechs Wochen lang geprobten Hamlet. Und dazwischen richtig klotzen und so jemanden wie Peaches ihre Interpretation einer Barock-Oper abliefern lassen.
Heiko Pfost und Thomas Frank übersetzten dieses Erfolgsrezept für Wien. Zwar wurde der Außenflügel des Künstlerhauses und der Keller des Konzerthauses schon seit 1989 als “dietheater” von freien Gruppen bespielt und bildete eine wichtige Plattform für die österreichische Tanzszene, doch den internationalen Einschlag brachten erst die beiden deutschen Intendanten. »Letzte Ausfahrt vor Berlin« plakatierten sie einmal großflächig auf dem Karlsplatz und das war nicht nur bloße Selbstironie: Die beiden vernetzten sich mit den anderen bedeutenden internationalen Koproduktionshäusern wie dem Kampnagel in Hamburg oder dem Mousonturm in Frankfurt a.M. und machten das Brut so zum Anker für viele nationale und internationale Performance-Truppen, die in dieser gastspielfaulen Stadt außerhalb des Impulstanz-Festivals und der Festwochen keine Spielstätte gefunden hätten. Größen wie Gob Squad, Forced Entertainment, She She Pop, die Rabtaldirndln, Rimini Protokoll und eben Doris Uhlich waren regelmäßig zu Gast.
Brutstätte für die neue Generation
Die nächste Generation der Performance-Stars baute man dann gleich selber mit auf: Zuletzt etwas Simon Mayer der noch im November mit »SunBengSitting« auf der winzigen Probebühne des Brut im Rahmen des Freischwimmer-Festivals auftrat und dieses Jahr mit »Sons of Sissy« gleich dreimal hintereinander das große Haus ausverkaufte. Simon Mayer macht das Unmögliche möglich: Alpenländische Traditionen wie Jodeln und Schuhplatteln auf ihre archetypische Geltung abzuklopfen und gleichzeitig humorvoll zu brechen. In eine ganz andere ästhetische Kerbe schlugen Florentina Holzinger und Vincent Riebeek, die hier alle ihre wichtigen Arbeiten zeigten einen richtigen Hype auslösten. Heute touren die beiden durch ganz Europa und lassen alle an ihrem schmutzig-romantischen Verständnis von Körper, Akrobatik und übel-geiler Popmusik teilhaben.
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