Das Open-World-Rollenspiel »Fallout 4« ist mit zwölf Millionen verkauften Exemplaren eindrucksvoll gestartet. Was fasziniert so an der Reise durch das Wasteland? Unterwegs auf einer Spurensuche durch Grafikdesign, Musik und die Farben der Postapokalypse.
Seit 1997, als der erste Teil der »Fallout«-Reihe erschien, liegt die Spielwelt in den Trümmern des postnuklearen Wahnsinns. Ein unwirtlicher Ort, böse verstrahlt, voller Bestien und Banditen. In »Fallout 4« erhascht man erstmals einen Blick auf das Leben vor dem todbringenden Nuklearschlag. Also vom Boston des Jahres 2075, wo das Atom den Alltag prägt und alle Energieprobleme gelöst sind.
Alles gut also? Nicht ganz, denn das Leben scheint stehengeblieben zu sein. Es steckt fest in einer Art Retro-Futurismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg befeuerte das Spiel mit der Atomkraft einen ungeahnten Optimismus und zugleich die Angst vor einem nuklearen Krieg. In »Fallout 4« ist diese Spannung auch über 100 Jahre später noch greifbar. Als würde es einfach keine modernen Prozessoren geben und kein Informationszeitalter. Als hätte sich erfüllt wie man sich in den 50ern eine strahlende Zukunft vorgestellt hat, mit allen guten und schlechten Seiten. Man erahnt Euphorie in nuklearbetriebenen Autos und elektronischen Butlern, die Spiegeleier braten und das Haus sauber halten. Und man spürt Paranoia durch den Bau der Vaults, riesiger unterirdischer Bunker, die vor einem Atomangriff und dem radioaktiven Niederschlag, dem Fallout schützen sollen.
Zurück in die Zukunft
Am Anfang von »Fallout 4« erlebt man für gut fünfzehn Minuten die Idylle vor dem unweigerlichen Atomkrieg. Spielerisch nicht mehr als ein Prolog, kommt ein Design zur Geltung, das sich am Googie-Stil orientiert (manchmal auch Doo Wop Architektur oder Popluxe genannt). Googie ist ein Stil der Moderne, der seine Inspiration im Auto- und Flugzeugdesign der Zeit fand, und vom Beginn des Weltraumzeitalters und des Atomzeitalters geprägt wurde. Einer nach vorne gerichteten Zeit, die Design und Architektur zu kühnen Entwürfen trieb.
In »Fallout 4« ist dieser aufregende Mix der 50er mit den feuchten Träumen der Retro-Hightech-SciFi allerorts spürbar. Man erkennt sie an einer Bewegung signalisierenden Designsprache. Rundungen und Stromlinienförmigkeit sind Motive, die in die alltägliche Dinge einflossen. Vollendung findet der Googie-Stil im charmanten Retro-Futurismus der Straßenkreuzer und ihrer wahnwitzigen Heckflossen, überdimensionierten Leuchtreklamen, langgezogenen Diner und Menschen in zu großen Anzügen. Mit Ausnahme verstaubter Lavalampen hat es wenig davon in die heutige Zeit geschafft. Umso schöner, diesen nostalgischen Blick auf die Zukunft hier versammelt zu sehen.
Endstation Sehnsucht
Dann, nach dem glorreichen Prolog, Atomkrieg. Der ist im vollen Gange, die Flucht in die schützende Vaults die einzige Möglichkeit, zu überleben. Man wacht über 200 Jahre später aus dem Tiefschlaf auf. Wenn man dann von Lebenspartner und Kind getrennt den Bunker verlässt, sein Haus in Schutt und Asche vorfindet und Codsworth, der elektronische Butler, alles ist, was blieb, dann ist es mit der Euphorie schnell vorbei. In einem Interview mit dem Telegraph erklärte Game-Designer Todd Howard, warum es wichtig war, diese Erfahrung zu machen. Es ging dem Team darum, ein Gefühl des Verlusts von etwas Liebgewonnenem zu simulieren. Die heile Welt gekannt zu haben um zu verstehen, was man gerade verloren hat.
Es ist eine verwüstete Welt, die vor einem steht, aber es gibt einen Grund, sich auf sie einzulassen. »Fallout 4« ist keine Therapiestunde im Fertigwerden mit Familienproblemen. Es ist Teil des Spielprinzips, dass man nur kurz das Ende der Welt betrauert und entschlossen mit Waffengewalt bis zum Ende der »Fallout«-Welt geht.
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