Die vier Jungs von Identikit betreten unbekannten Boden, musikalisch und geographisch. Zuletzt bei ihrem ersten Konzert in Wien.
Disclaimer: Der Autor kennt die Band persönlich. Das ist natürlich problematisch. Im Wissen darum fanden wir den Text aber dennoch einen erhellenden Einblick in das Innenleben einer Band, die abseits der großen Popmusik-Zentren ihren Weg zu gehen versucht.
Bassist Benjamin drückt auf die Spaßbremse des nigelnagelneuen VW seines Papas, indem er die Lautstärke des Autoradios leiser macht, und erntet dafür prompt Protest von seinen Bandmitgliedern. Sich auf die Straße zu konzentrieren ist gar nicht so einfach, weil ihm Sänger Dorian von der Rückbank unentwegt Bassistenwitze ins Ohr flüstert. Immerhin fährt er alleine den langen Weg von ihrer Heimat Innsbruck (und Umgebung) nach Wien. Identikit machen sich auf in die Hauptstadt, ihr bisher weitester Vorstoß nach Osten.
Identikit spielten bisher in vielen Innsbrucker Clubs und auch am Wiltener-, Markt- und Landhausplatz. Im Frühling fuhren sie nach Rovereto in Italien, um im Rahmen der uploadsound-Tour ihr erstes Konzert im Ausland zu geben. „Es ist immer etwas anderes, vor einem Publikum zu spielen, das man nicht kennt“, sagt Gitarrist Phil. Bei Konzerten in Tirol sei hauptsächlich der Freundeskreis anwesend, der sie liebevoll „Identikids“ nennt. Die Konzertbesucher in der Ferne kämen dagegen tatsächlich für die Musik und nicht als Gefallen. „Von neuem, fremdem Publikum ist dadurch auch die Kritik viel ehrlicher“, ergänzt Dorian, der Frontman der Band.
Sprungbretter
Nicht nur wegen des Publikums sind Identikit froh, aus dem eigenen Tal raus zu kommen. Je größer die Entfernung wird, desto größer die Vorfreude. Denn „Tirol ist kein Sprungbrett für Musiker.“ Wien sei „ganz eine andere Welt“, wenn es um Chancen für junge Bands geht, findet Dorian. Als Band sei es aber immer leicht, über den eigenen Ort zu schimpfen, widerspricht Phil. Man höre von jeder Seite, dass man aus dem Heimatort nichts machen kann. Sie könnten sich zwar auch vorstellen irgendwann gemeinsam in eine andere Stadt zu gehen, so wie das mit Vormärz und Aux Portes dieses Jahr schon zwei Innsbrucker Bands vorgemacht haben. Derzeit sei dieser Gedanke aber noch verfrüht, weil alle von ihnen noch in Ausbildung sind. „Wir versuchen, von unserem Standpunkt aus so viel zu machen, wie möglich!“
Beim qlashival in Linz Anfang Oktober spielten sie vor Mynth, Ant Antic und Sizarr. All diese Bands experimentieren mit elektronischen Sounds, manche verwenden kein einziges herkömmliches Instrument. Dies entspreche zwar sehr dem Zeitgeist, locke aber wenige Leute an. Auch Identikit wollten „nie klassischen Klavier- oder Gitarrensound machen, sondern immer ein bisschen überraschen“. Dabei sei aber wichtig, dass man nicht einfach auf den Zug aufspringt und etwas nachmacht, was jetzt plötzlich Trend ist, sondern Impulse herausnimmt, die man einbauen oder verarbeiten kann. Manchmal sind die Einflüsse dann aber doch sehr gut herauszuhören. Wenn Dorian oder Phil bei den Proben mit neuen Liedern kommen, höre man manchmal deutlich, was die beiden zur Zeit hören, meint die Bass- und Rhythmussektion der Band. Auch der Name Identikit entstammt einem Lied des gemeinsamen Vorbilds Radiohead.
Eine Beziehung mit drei Männern
Die Schwierigkeit bei den Proben und im generellen Bandalltag sei „die musikalischen Präferenzen zu bündeln, sodass sich niemand benachteiligt fühlt“, so Dorian. Drummer Ilja bezeichnet das Bandleben als „eine Beziehung mit drei Männern“. Und wie in jeder Beziehung gibt es auch hier oft zwischenmenschliche Probleme. Sie verbringen ja auch viel Zeit miteinander, „nicht nur beim Proben, sondern auch auf dem Weg zu Konzerten, und danach in der Herberge oder im Hotel“. Was alle verbindet, sei die gemeinsame Zeit und Leidenschaft zur Musik. „Ohne Spaß bleibt etwas auf der Strecke“. Das sehen alle so.
Die Leidenschaft spürt man auch, wenn Identikit später am gleichen Tag im vollen B72 in Wien auf der kleinen Bühne stehen. Dorian, zwischen zwei Keyboards eingeklemmt, singt mit leidender Kopfstimme und geschlossenen Augen langgezogene Töne ins Mikrophon. Phil ist immer wieder in sein Pedalboard vertieft, Benjamin auf seinen Bass konzentriert, während Ilja hinter den Drums zu schwitzen beginnt. Den Spaß spürt man nicht so sehr. Ihre Mienen sind meistens finster. Ganz im Gegensatz zu der Zeit vor und nach dem Auftritt, dann scherzen und lachen Identikit viel.
Vorbilderbuch
Wenn es ihnen gelänge diesen Spaß auch auf die Bühne zu bringen, würde ihre Musik vermutlich noch mehr Anklang finden. Die Ernsthaftigkeit wirkt, als hätten sie ein streng fixiertes Drehbuch, nachdem sie handeln müssten, um als Band erfolgreich zu sein. Rollen, in die sie schlüpfen, um beim Publikum anzukommen. Darunter leidet die Authentizität der jungen Band. Der „Avantgarde-Glitch Rock“ bleibt für ein spezielles Publikum reserviert, das sich in diesem elektronischen Universum auskennt. Da hilft alles Jammern und Schimpfen auf den Heimatort nichts, „in Österreich wird man nicht sofort bekannt, man arbeitet sich hoch“, spielt Ilja auf die lange Bandgeschichte von Bilderbuch an. Sie haben zehn Jahre überall gespielt, wo sie spielen konnten. Es war weniger ein Durchbruch, mehr ein stetiges Durchbrechen.
Auch Identikit stellen ihre Musik noch vor den kommerziellen Erfolg, und Bilderbuch geben ihnen dafür Hoffnung, auch wenn ihre Musik nicht wirklich vergleichbar ist. Sie machen Musik, der Musik wegen. Sänger Dorian bezeichnet das Konzert in Wien statt einem großen Schritt für Identikit lieber als „einen von vielen kleinen Schritten, die aber im Nachhinein groß sein können.“ Vorerst machen sich Identikit wieder ans Aufnehmen und arbeiten an ihrem Live-Set. Es kann oft dauern, bis der kleine zum großen Schritt geworden ist.
Identikit haben kurz vor Weihnachten im Wiener B72 gespielt. Weitere Daten und Infos gibt es hier.
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