Luft ohne Stil

Das Air & Style fand dieses Jahr nicht mehr wie gewohnt am Bergisel statt. Die Veränderung kam dem Himmel scheinbar ein bisschen zu nah, musikalisch ließ es zu wünschen übrig.

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Der Wind rüttelte an dem riesenhaften Ungetüm aus Stahl und Holz, das seit einigen Tagen auf dem Olympiagelände in Innsbruck stand. Die zahlreichen Werbetransparente blähten sich auf, der Windsack hing die meiste Zeit völlig waagrecht in der Luft. Das fatale Zeichen, dass das himmlische Kind sich in irdische Geschehnisse einmischte. Der Föhn, ein ständiger Besucher der Stadt am Inn und eigentlich nie Grund irgendwelche Vorhaben zu verändern oder gar abzusagen. Am 6. Februar wurde er zum Feind der gesamten Snowboard-Community, die sich hier versammelt hatte. Das fröhliche Springen wurde gleich nach dem Warm-Up vorübergehend auf Eis, oder besser trocken gelegt um dann am Abend nach dem erst zweiten Lauf schon abgesagt zu werden.

Dabei hatte der Tag so vielversprechend angefangen. Im Vergleich zu den früheren Air & Style Veranstaltungen war es mit rund 11 Grad untertags passend zum bisherigen Winter ungewöhnlich warm. Die Sonne ließ die Tropfen glitzern, die vom schmelzenden Schnee auf der Schanze auf die Festivalbesucher regnete. Wie durch Magie blieb das Weiß auf der steilen Piste kleben, rundherum nur Grün und Braun (in Wirklichkeit war es natürlich kein Zauber, sondern die vielen Helfer, die unaufhörlich gefrorenes Wasser über den kleinen Lift hinten an dem Gebilde nachschütteten). Auch war das Areal so groß und die Besucherzahl – laut Veranstalter 17.000 Leute, in Wahrheit meist darunter – verhältnismäßig klein, sodass eine Wiederholung des panischen Getrampels von 1999 eher unwahrscheinlich war. Man konnte sich also entspannen, und sich auf einen feinen "Tag voller Party und allerfeinstem Snowboarding" freuen, wie der Moderator ins Mikrofon brüllte. Doch es lauerten andere Gefahren für versprochene, angenehme Unterhaltung.

scumfucks yeah

Neben der Schanze weihten die Sunset Sons die Hauptbühne ein, danach spielten die amerikanischen Pop-Punks SUM 41. Wer die Band nicht kennt, hätte tatsächlich glauben können, Julian Assange sei aus der ecuadorianischen Botschaft in London geflüchtet und versuche nun, sich eine neue Existenz als Frontman aufzubauen – mit Debüt in Innsbruck. Leider hatte der Doppelgänger aber wenig Skandalöses zu berichten, wenn man von gelegentlichen Zwischenrufen wie "motherfuckers", "scumfucks" und "yeah" absieht. Auf ein Cover von "We will rock you" konnten sie trotz 5 Studioalben nicht verzichten.

"bumm bumm, ich bring euch um"

Ähnlich erwartungsgemäß ging es später mit Sido weiter, der seinen Namensursprung "Scheiße in dein Ohr" ein bisschen zu ernst nahm. Sido ist alt geworden, aber nicht weise. Der ehemalige Gangster machte das Air & Style zu einer Schlagerparty. Das Gangstergehabe übernahmen davor K.I.Z. Vor vier überlebensgroßen, weißen Soldatenstatuen und einem Raketenabwehrgeschütz als DJ-Pult rappten sie sich in Springerstiefeln etwas vor. Mittendrin schossen sie dann in Terroristenmanier in die Menge, wenn auch nur mit Konfettikanonen. "Boom, boom, boom, ich bring euch alle um!"

Währenddessen wurden der majestätischen Schanze immer mehr Rücken zugekehrt. Die Schlangen vor den Dixie-Klos und den teuren Futterständen wuchsen stetig. Trotzdem kam es nie zu Unmut unter den Gästen. Das mochte an der guten Organisation des Festivals liegen. Auch der Ton auf den Bühnen wirkte teilweise fast zu perfekt, in der kahlwandigen Olympiahalle keine leichte Aufgabe. Diese wurde zwischen den Acts auf der Hauptbühne von Großstadtgeflüster bespielt. Danach kamen SDP. Nein, das ist keine neue deutsche Partei, die heißen nur so und machen Pop/HipHop/Rock/Reggea. Dazu gibt’s floskelreiche Texte.

Shaun White with green

"Warum wolln wir immer alle höher, schneller, weiter?" fragen die da in "Kurz für immer bleiben". Die Frage würde Shaun White wohl nur ein mitleidsvolles Grinsen entlocken. Als Mehrheitseigentümer des Air & Style hat er das Event jetzt auch nach Los Angeles ausgeweitet bzw. ausgeweidet. Der Umzug vom Bergisel auf das Olympiagelände brachte eine höhere Schanze, weitere Sprünge, mehr Bands, größeres Publikum und teurere Tickets. Als bekennender Classic Rock Fan und selbst Gitarrist ein Line-up mit fast ausschließlich HipHop und Electronic Acts? Shaun White macht schon lange nicht mehr nur das, was er liebt, sondern vor allem das, was er kann: Geld verdienen.

Luft und Stil

Blumentopf machten derweil auch, was sie können, nämlich guten alten Rap. Nach über zwanzig Jahren Bandgeschichte gaben sie vor kurzem bekannt, sich 2016 auflösen zu wollen. Das Air & Style könnte also einer ihrer letzten Auftritte gewesen sein. Ein gebührender Abschluss, auch für die Olympiahalle an diesem Abend. Die Band hatte noch nicht fertig gespielt, da ließ der kalte Wind draußen plötzlich nach und die Snowboarder konnten ihren Wettkampf fortsetzen. Alle wirbelten sich noch ein paar Mal über die monströse Schanze. Dann setzte der Wind wieder ein.

Gegen den Willen der Natur hilft auch kein Millionenbetrag. Die restlichen Läufe wurden abgesagt, die Ergebnisse der zweiten Runde zu den endgültigen gemacht. Toutant wurde Erster, Kleveland Zweiter und Bergrem Dritter. Die Moderatoren versuchten das enttäuschte Publikum aufzuheitern, aufzuheizen, noch ein letztes Mal für den Headliner Rudimental zu mobilisieren Sie warfen Klatschstangen und Kondome in die Menge. Brot ohne Spiele. "Wollt ihr, dass Moderator Henry AUF DEM BAUCH DIE LANDUNG RUNTER RUTSCHT?!" Lass gut sein. Nächstes Jahr gibt’s vielleicht weniger Luft, dafür mehr Stil.

airandstyle.com

Bild(er) © Luca Gasser
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