Was mich hierher gebracht hat, ist unter anderem auch mein öffentlicher Zwist mit der Popgruppe Wanda. Wenn die Welt freilich etwas nicht braucht, dann ist es der tausendste Wanda-Text. Versprochen: die Lederjacken-Gang dient hier nur als Einleitung.
Es war so: Die Journalistin Ronja von Rönne, die unabhängig davon, wie telegen oder leiwand sie als Person sein mag, einer größeren Öffentlichkeit als Aushängeschild einer antifeministischen Geisteshaltung bekannt ist, war in einem Musikvideo der Band Wanda zu sehen. Ich habe die Problematik dieser Symbolik auf meinem Musikblog Walzerkönig thematisiert, The Gap hat sich vor Erscheinen des Videos mit den sexistischen Tendenzen des aktuellen Wanda Albums ebenfalls beschäftigt. Das wiederum hat ein bisschen weitere Kreise gezogen als erwartet, und als Resultat musste sich die Band in Interviews ständig mit dieser lästigen Misogynie-Frage herumschlagen. Seine früheren Aussagen über Bord werfend, hat sich der Wanda-Frontmann in manchen dieser Interviews als Feminist deklariert (natürlich nur dort, wo das böse F-Wort nicht verpönt ist: bei FM4 schon, in der Krone Bunt nicht) – und ist im nächsten Atemzug zu machoiden Aussagen übergegangen. Warum? Es ist wohl entweder purem Zynismus, kalkulierter Shitstorm-Befeuerung oder ehrlich-naivem Glaubem an die eigenen sich widersprechenden Aussagen zuzuschreiben.
Am meisten beschäftigt mich letztere Möglichkeit: dass Marco und seine Bande erstens verstanden haben, was es bedeutet, eine feministische Einstellung zu haben (oder es zumindest glauben), dass sie zweitens gleichzeitig und ohne Bruch, ironisches Zwinkern oder Meta-Ebene ihren altbackenen Macho-Lifestyle glorifizieren und drittens darin keinen Widerspruch sehen. Dass sie sich also theoretisch mit einer Sache solidarisch geben, in der Praxis aber Verhaltensweisen an den Tag legen, die sie auf abstrakter Ebene schlechtheißen, ohne dass sich ihnen die Problematik daran erschließt.
Theorie und Praxis
Keine Sorge, Marco, ihr seid damit nicht alleine. Ich habe die tierethischen Argumente von Peter Singer gelesen und esse trotzdem manchmal Fleisch, einfach weil es verkatert das Beste ist, in eine Käseleberkässemmel zu beißen. Ich würde halt nur nicht inbrünstig verkünden, überzeugte Vegetarierin zu sein oder im utilitaristischen Sinne korrekt zu handeln. Nur weil du also Judith Butler einmal in einem Seminar auf der Uni gelesen hast (obwohl es dafür nur urwenig ECTS-Punkte gab), macht dich das noch nicht zu einem Feministen.
Es ist einfach um einiges leichter, eine Sache theoretisch und als Gesamtkonzept zu verstehen, als sie praktisch in allen Details umzusetzen. Es fällt vielen Menschen schon schwer, sich überhaupt als Feminist_innen zu bezeichnen – sogar im linkslinken „Gutmenschen“-Umfeld – weil dem Wort zu Unrecht etwas Negatives und Radikales anhaftet. Dabei bedeutet es eigentlich nur, die politische, ökonomische und gesellschaftliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern (und in der fortgeschrittenen Version allen, die sich zwischen oder außerhalb dieser Dichotomie verorten) gut zu heißen.
Früher und heute
Ganz ehrlich, ich habe es auch lange abgelehnt, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Einerseits, weil mir als Jungstudentin die Hippies in der ÖH – also die einzigen, die sich in meinem Umfeld damit auseinandergesetzt haben – so anstrengend vorgekommen sind, aber vor allem, weil ich irrtümlicherweise dachte, dass für mich von Frauen voriger Generationen eh schon alles erledigt wurde. Mit Anfang 20 war ich genau wie Ronja von Rönne überzeugt, diesen Blödsinn namens Feminismus nicht zu brauchen. Glücklicherweise hatte ich halt damals keine Plattform, um meine von (fehlenden schlechten) persönlichen Erfahrungen auf allgemeine Umstände schließende Meinung in die Welt hinauszuposaunen.
Aber ja: lange Zeit hatte auch ich nicht das Gefühl, dass ich härter arbeiten müsste, um bestimmte Dinge zu erreichen, bloß weil ich eine Frau bin. Bis mir dann irgendwann vermehrt Situationen aufgefallen sind, in denen ich strukturell anders behandelt wurde als andere Menschen, und der einzig denkbare Grund für dieses Muster war, dass ich eben zufällig eine Frau bin und dass Frauen tendenziell noch immer (und oft gar nicht bewusst) gewisse Eigenschaften zu- und bestimmte andere abgesprochen werden. Das nennt man dann übrigens Unconscious Bias, aber dazu ein anderes Mal mehr.
Weil ich in meiner Freizeit den oben erwähnten Musikblog betreibe, habe ich irgendwann damit begonnen, dort auch sexistische Tendenzen innerhalb der Szene zu thematisieren und Texte wie den über Wanda zu veröffentlichen. Bisher habe ich diese Posts nicht mit meinem Klarnamen versehen. Auf diese Weise sind mir die persönlichen Angriffe und Untergriffigkeiten erspart geblieben, die sonst bei diesem Thema so allgegenwärtig sind. Aber ab sofort setze ich meinen Namen drunter.
Themen
Ich habe mir nämlich vorgenommen, hier regelmäßig aus persönlicher, feministischer Perspektive über Themen zu schreiben, die mich und mein Umfeld im Alltag begleiten. Das fängt bei Klassikern an: Brauchen Medien wirklich gendergerechte Sprache? (Ja.) Oder: Sind Quoten bei Ausschreibungen und Festival-Lineups nötig? Natürlich geben aber auch Privatleben und Popkultur viel Stoff her: Darf ich als Feministin Lippenstift super finden? (Ja!) Warum bestehen so viele Filme den Bechdel-Test nicht? Wenn sich Popstars wie Beyoncé oder Taylor Swift öffentlich als Feministinnen inszenieren und dann aber vielleicht gar nicht so feministische Sachen machen, ist das trotzdem begrüßenswert? Was hatte Freud eigentlich für ein Problem mit Frauen? (Von der Größe her vermutlich umgekehrt proportional zu seinem Penis.) Darf ich Peniswitze machen oder ist das schon Reverse Sexism? Bin ich selbst schuld, wenn ich einen kurzen Rock anziehe und mir dann um vier in der Früh beim Würstelstand ein lüsterner Grindsack auf den Hintern grapscht? (NEIN.) Und vielleicht kommen auch manchmal Fragen auf, die erst auf den zweiten Blick was mit Feminismus zu tun haben, zum Beispiel: Ist Regelblut ekelhafter als Sperma? (Nein.)
In der Blase, in der The Gap gelesen wird, gibt es glücklicherweise sehr viele Menschen, die sich aktiv für eine feministische Geisteshaltung entschieden haben. Und in den großen Punkten meistern wir das fast immer hervorragend. Ich glaube aber, dass wir uns mittlerweile auch mit den kleinen Details beschäftigen können, ohne uns anhören zu müssen, dass es jetzt aber übertrieben wäre und zu weit ginge. Das soll das Ziel sein: Alltägliche Anekdoten, die vielleicht nur vermeintliche Kleinigkeiten betreffen, zum Ausgangspunkt für die Schärfung des Bewusstseins zu machen und eigene Verhaltensweisen hinterfragen. Auf jeden Fall meine, aber vielleicht auch die derjenigen, die es bis hierher geschafft haben und jetzt nicht das dringende Bedürfnis haben, auf Facebook zu posten, wie unnötig sie das alles finden.
Astrid Exner ist Mitbegründerin des Musikblogs Walzerkönig. Sie twittert als @walzerkoenige auch zu den Themen Musikindustrie, Internet und Feminismus.