Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind – 10 Jahre »Maschin«, eine Oral History

Am 17. Oktober 2013 wurde das ikonischste aller zeitgenössischen österreichischen Musikvideos auf Youtube hochgeladen. 15 Millionen Views, 32 Millionen Spotify-Plays von »Maschin« und zehn Jahre später blicken an dieser Stelle zehn Wegbegleiter*innen von Bilderbuch auf einen generationsprägenden Moment zurück.

© Nikolaus Ostermann

Wer sind die Stimmen unserer Oral History? Hier erfährst du mehr.

Das Who’s Who des Bilderbuch-Universums

Andreas Födinger: Weil ich nicht mehr aktiv Teil der Band war, hab ich die Veröffent­lichung und den Erfolg von »Maschin« aus der Ferne beobachtet. Einerseits mit wahnsinnig viel Stolz als Gründungs­mitglied und Co-Writer des Songs. Andererseits auch mit etwas Irritation: Wir wussten immer, dass die Band geil ist.

Alex Tomann: Die über vier Alben dauernde Zusammenarbeit mit Bilderbuch startete auf Initiative von Zebo Adam (und Manfred Franzmeier), die bei einem Konzert auf die Band aufmerksam wurden und mich fragten, ob ich mir vorstellen könnte, die Produktion von ein paar Demos als Tontechniker zu unterstützen.

Zebo Adam: Die Produktion und Veröffentlichung von »Maschin« habe ich als eine sehr intensive und konzentrierte Zeit erlebt. Man hat gespürt, dass da was in der Luft liegt, und darum noch mehr versucht, das Bestmögliche rauszuholen. Es war eine sehr aufregende, neue und tolle Zeit.

Antonin B. Pevny: Auch jetzt, zehn Jahre danach, kennen und lieben die Menschen den Song und dieses Video. Es freut und ehrt mich, ein visuelles Statement gesetzt und damit viel bewegt zu haben.

Hannes Tschürtz: Wir waren mit Ink Music das Label für Bilderbuchs erste zwei Alben, haben die Band rundum vor allem über die Liveebene als betreuende Agentur aufgebaut, seit die Jungs 17, 18 Jahre alt waren.

Reinhold Seyfriedsberger: Mit der Veröffentlichung von »Plansch« haben wir alle gemerkt, dass es gewaltig zu brodeln beginnt und die Band plötzlich – und vor allem in Deutschland – in aller Munde war.

Lisa Humann: Ich durfte mit der Band im Bereich Sync & Licensing zusammen­arbeiten. Im Herbst 2013 bin ich ziemlich gleichzeitig mit dem Release von »Maschin« nach Berlin umgezogen und habe den großen Erfolg des Songs in Deutschland hautnah miterlebt.

Nikolaus Ostermann: Den Erfolg hab ich in den Jahren 2014, 2015, 2016, als ich mit der Band so viel auf Tour war, sehr intensiv erlebt.

Louise Lässig: Als »Maschin« veröffentlicht wurde, hatte ich schon gute drei Jahre in der Wiener Musikbubble gearbeitet und war gefühlt rund um die Uhr auf Konzerten und Partys. Und da kannte man natürlich Bilderbuch und auch die Leute aus ihrem Umfeld, die schon davor felsenfest an den großen Erfolg der Band glaubten. Bis »Plansch« hatte ich aber die Musik der Band nicht so richtig auf dem Schirm.

Gerhard Stöger: Als Hörer und Musik­journalist habe ich Bilderbuch bis zur »Feinste Seide«-EP unterschätzt. Oder genauer gesagt: Bilderbuch hatten anfangs einen schweren Stand bei mir.

Wohl das einzige Auto, das sich ein The-Gap-Cover verdient hat: der gelbe Lamborghini Diablo (Foto: Nikolaus Ostermann)

Ambitionen vor »Maschin«

Stöger: »Nelken & Schillinge« halte ich inzwischen längst für ein großartiges Debüt, zum Zeitpunkt seiner Veröffent­lichung 2009 aber dachte ich: Eh nett – aber wozu brauche ich Bilderbuch, wenn ich Ja, Panik haben kann? 2011 hat sich dieses Spielchen wiederholt. Ja, Panik haben ihr Opus magnum »DMD KIU LIDT« veröffentlicht. Auch Bilderbuch gaben sich 2011 extrem ambitioniert. Nur: »Die Pest im Piemont«, ihr zweites Album, war unterm Strich halt einfach ein bisschen angestrengt und anstrengend.

Tschürtz: Ich habe so oft erlebt, dass eine Band erste beachtliche Erfolge erzielt, beim zweiten Anlauf dann an der eigenen Erwartungs­haltung verkrampft – und oft zerbricht – und erst beim Überschreiten dieses Punktes begreift, wer sie eigentlich ist. Bilderbuch haben unzählige vermeintliche Fantasien in »Die Pest im Piemont« gesteckt und dann langsam bemerkt, dass das ganze Herzeigen, was man alles im Kopf hat, viel zu viel war.

Födinger: Die Band hatte sich zum Zeitpunkt der Sessions für das dritte Album freigespielt. Es war jetzt nicht so, als wäre »Die Pest« eine Enttäuschung gewesen, ganz zufrieden waren wir aber im Nachhinein auch nicht. Der Plan danach war, etwas zu schaffen, das in erster Linie uns selbst wegbläst und überrascht. Insgesamt entstanden im Zuge dessen vor meinem Ausstieg 18 Skizzen für Songs. Einer davon war »Maschin«.

Besetzungswechsel am Schlagzeug

Adam: »Maschin« ist ja nicht aus dem Nichts entstanden, da waren die fünf Jahre Vorarbeit schon sehr mitentscheidend.

Ostermann: Der größte Faktor war, dass es die Band schon acht Jahre gegeben hatte. Das waren zu dem Zeitpunkt – obwohl noch jung – alle schon sehr gute, erfahrene Musiker.

Stöger: Der Ertrag war vergleichsweise bescheiden. Ein bisschen Schulter­klopfen in der FM4-Welt, ein umjubeltes Clubkonzert hier, ein freundliches Review dort, ein Mittags­termin auf der großen Festival­bühne da. Irgendwann stand eine Weichen­stellung an: Es bleiben lassen oder noch einmal die Energien bündeln und alles auf eine Karte setzen? Bilderbuch haben sich bekanntlich für Zweiteres entschieden.

Tomann: Bei »Nelken und Schillinge« und »Die Pest im Piemont« schrieb und erarbeitete die Band ihre Songs im Proberaum. Fürs dritte Album wanderten Bilderbuch erstmals nach Steyr, wo sie im Studio eines Freundes während der Proben­situation einzelne Parts gleich aufnehmen und bearbeiten konnten. Der Prozess war also nicht mehr linear, sondern das Songwriting geschah verschränkt. Einzelne Bruchstücke wurden entwickelt, überarbeitet, verworfen und Teil für Teil zu einem Ganzen zusammen­gesetzt – und das immer wieder im Kreis. Bilderbuch sind sicher nicht die Erfinder dieser Produktions­weise, aber gerade im Kontext einer Band war das durchaus unüblich.

Stöger: Die Geschichte wurde ja oft erzählt: Indierock-Buben hören vermehrt US-Rap, entdecken – den zu dieser Zeit noch zurechnungs­fähigen – Kanye West für sich und beschließen, dessen Musik in ihr Gitarrenband-Vokabular einfließen zu lassen.

Födinger: Es gab ein paar Songs, die in der Entstehung von »Maschin« referenziert wurden bzw. die als Inspiration dienten. Einer davon war »Fifteen Floors« von Balthazar. Das Ziel war es, das Gitarrenriff durch diese leicht trashigen Trompeten­sounds durch­laufen zu lassen, um diesen In-the-face-Effekt zu erzielen. »The Seed« von The Roots und Cody Chesnutt war ebenso ein Song, der immer wieder herum­geisterte, wie auch »Simple Song« von The Shins – Songs, die Chord-Folgen als Riff inszenieren. Ich meine, mich erinnern zu können, dass Maurice den Rhythmus vorsummte, Mike kam dann mit den Chords. So ist das Riff entstanden. Die Idee zu den Intro-Kicks, die ursprünglich half-time waren, kam von Coldplays »Violet Hill«, weil es eine immense Power hat, wenn drei Instrumente Vierteln spielen. Zebo Adam bearbeitete das erste ursprüngliche Demo und verdoppelte die Vierteln einfach. Wir haben dann stundenlang auf diesem Riff bzw. dem Loop gemeinsam gejammt. Wie es bei Bilderbuch anfangs üblich war, hat Maurice im Laufe des Jams einfach eine Vocal-Line drüber­gesungen. Etwas, das sich für ihn richtig anfühlte. Ich erinnere mich, dass die Line »Als wir uns zum ersten Mal begegnet sind / Uns Schuppen von den Augen geregnet« gleich von Anfang an da war. Die Frage »Willst du meine Frau werden?« ebenso. Das Sample, das auf die Frage folgt, ist aus Muddy Waters’ »Mannish Boy«. Das habe ich in Cubase im Studio von Josef Haidenthaler in Steyr aus dem Originaltrack und recht dilettantisch einfach in unser Demo reinkopiert.

Tomann: Nach zwei Wochen wollten sie Zebo und mir die Ergebnisse präsentieren. Aus den angekündigten fünf neuen »Killer-Demos« wurde plötzlich nur mehr: »Wir haben einen Song vorbereitet.« Und selbst dieses Demo war sehr unausgegoren. Die Band zog nicht mehr an einem gemeinsamen Strang. Andreas Födinger am Schlagzeug, lange Zeit Energiequelle der Band, konnte sich im neu eingeschlagenen Kurs und kreativen Prozess nicht finden. Auch sonst waren die Perspektiven mit den übrigen Band­mitgliedern nicht mehr recht unter einen Hut zu bringen – letztendlich trennten sich die Wege. So etwas hautnah zu erleben, war bitter. Umso erstaunter waren wir, als die Band nicht lange Zeit danach verkündete, einen neuen Schlagzeuger gefunden zu haben. Und diesmal kamen sie mit handfesten Ergebnissen aus Steyr zurück. Einige Wurzeln stammten durchaus aus der ersten Steyr-Session. Sie hatten einen Workflow gefunden, um ihre Ideen auf den Punkt zu bringen. Und was für ein Punkt das war!

Födinger: Die ersten Demos hatten schon das Feel von »Maschin«, wie wir es heute kennen. Finalisiert haben sie den Song allerdings erst mit meinem Ausstieg. Das Gitarrensolo, die zweite Strophe und der »Mhm«-No-Diggity-Teil waren im Demo noch nicht drinnen.

Adam: Wir haben damals parallel an fünf Computern gearbeitet. Jede Idee hat ihren Platz und ihre Zeit bekommen, kein Stein wurde nicht umgedreht, und gemeinsam haben wir versucht, dass am Ende immer nur das Best­mögliche übrigbleibt.

Tomann: »Maschin« wirkte auf mich wie eine Offenbarung. Musik, die vor Referenzen nur so strotzt und dennoch nicht zuordenbar ist. Maurices unverwechselbare Verwendung von Sprache. Sounds von Mike Krammer, die fast eine Revolution des Gitarrespiels einläuten. Die unermüdliche Arbeit von Peter Horazdovsky, alle Punkte zu verbinden. Und unter alledem ein Drum-Track, der einerseits so basic und unaufgeregt anmutet, andererseits aber so solide und am Punkt ist, dass er mühelos durch den ganzen Song trägt.

»Maschin« war der richtige Song zur richtigen Zeit – für die Band, wie für das Publikum. (Foto: Nikolaus Ostermann)

Zuerst dippst du den Fuß, dann lässt du dich fallen – Plansch!

Födinger: Ich muss gestehen, dass »Maschin« im Zuge der Albumsessions für das später eben verworfene dritte Album für mich nur ein Song von insgesamt 18 war. Für Maurice war’s allerdings ein ziemlicher Motivations­schub. Ich erinnere mich, dass er nach einem Gig in Graz das Demo in voller Lautstärke übers Radio seines Autos (damals ein roter Renault Clio) laufen ließ. Ihm bedeutete es schon da sehr viel. Ich fand’s gut, aber war von »Feinste Seide« oder »Katapult« (Arbeitstitel) mehr angetan.

Seyfriedsberger: Das erste Mal hab ich den Song gehört, als mir Maurice ein Demo davon beim Fortgehen am Gürtel vorgespielt hat. Fairerweise muss ich dazusagen, dass ich das damals nur so halb gecheckt habe und mich aufs Feiern fokussieren wollte. Dafür wurde ich zurecht ein paar Mal gerügt.

Tomann: Als die vier Songs fertig gemischt und gemastert waren, stand von der Band der explizite Wunsch im Raum, sie als EP zu veröffentlichen und nicht erst Material für ein ganzes Album zu sammeln. Wir haben dann ein Treffen mit dem Manager einberufen, bei dem ich mich dafür stark gemacht habe, »Maschin« als Single zu releasen. Ich war fast enttäuscht, dass sich die Band zuerst für eine Auskopplung von »Plansch« entschied. Im Endeffekt genau die richtige Entscheidung.

Tschürtz: Die Band hat mich gebeten, eine EP selbst veröffentlichen zu dürfen. Den Wunsch habe ich ihnen gewährt. Aus Label-Sicht war das schade, aber wir haben die Band live noch Jahre weiter betreut und dabei schönste Erlebnisse gehabt. Vor der Veröffentlichung sind wir gemeinsam die Demos durch­gegangen und haben ewig lang über Einflüsse und Strategien gesprochen und darüber, warum »Plansch« die bessere erste Single sei.

Tomann: Mit »Plansch« konnte sich die Band ihrer Fanbase in neuem Gewand präsentieren und gerade in Pressekreisen viel Aufmerksamkeit erregen. Das ging schnell über die Landes­grenzen hinaus und ich kann mich an Facebook-Einträge von Cro und Casper erinnern, die das Video gefeiert haben, und die Beatsteaks, die sich mitten in der eigenen Albumproduktion vom Sound inspirieren ließen. »Plansch« war sozusagen die Verheißung und hat »Maschin« den Weg geebnet.

Tschürtz: Ohne »Plansch« hätte »Maschin« nicht einen solchen Effekt gehabt. Dazu Maurices neuer Look, die fantastischen Videos von Antonin B. Pevny, den wir davor schon für »Karibische Träume« für die Band engagiert hatten. Das hat alles magisch zusammengepasst.

Pevny: Maurice ließ sich einen Tag vor dem »Plansch«-Dreh die Haare schneiden und wasserstoff­blond färben. Mit seiner Sonnenbrille und meiner gelben Badehose, auf­gebahrt auf einer dunkelblauen Luftmatratze – ein überstilisiert gestaltetes Bild zeigte den Fans einen ikonografischen Maurice und dieser kam mit einem komplett neuen Sound daher.

Humann: Bei ihrem Überraschungs­auftritt beim Popfest 2013 (während des Slots von Francis International Airport; Anm.) im Brut haben Bilderbuch zum ersten Mal »Plansch« vor Publikum gespielt und ich denke, dass sich in diesem Moment alle bewusst waren, dass die Band ihren Sound auf ein ganz neues Level gehoben hatte. »Maschin« hat dann noch eins draufgesetzt, und als ich den Song in Berlin einfach überall gehört habe, war klar, dass damit der große Durchbruch der Band in Deutschland gelingen wird.

Nächste Seite: Das ikonische Musikvideo, diese eine Show im Brut und der Nachhall von »Maschin«

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