Liebesvirus
Liebe ist kein Spiel, schon gar nicht wenn sie von AIDS überschattet wird. Der Schweizer Comickünstler Frederik Peeters verarbeitet seine persönliche Erfahrung – ohne Betroffenheit, aber mit viel Liebe.
Wer den HI-Virus mit sich trägt ist mehrfach bestraft: als Träger eines Virus, der zum Tod führen kann; als Träger eines Virus, der (anscheinend) Liebe töten kann, indem er menschliche Nähe stigmatisiert und in Angst tränkt; als Träger eines Virus, der einem zum potentiellen Opfer von Anfeindungen anderer Menschen macht. Frederik Peeters veröffentlichte 2001 „Pilules Bleues“, in dem er seine eigene Erfahrung in einer Liebesbeziehung zu einer mit HIV infizierten Frau schildert.
Cati hat AIDS und ihr Sohn trägt ebenfalls den HI-Virus in sich. Ungehindert dessen verliebt sich Frederik in sie, seine Gefühle sind so stark, dass er eine Beziehung mit ihr nicht nur in Erwägung zieht sondern auch in die Tat umsetzt. In vielen kleinen Schritten nähert er sich an die Situation an, beginnt die Krankheit und ihre Auswirkungen zu verstehen, Einsicht darin zu gewinnen, wie Cati mit ihrer Situation umgehen muss und vor allem, wie sie ihren Sohn davor schützen will, ein Leben im Abseits führen zu müssen. Frederik muss vor allem sich selbst kritisch beurteilen. In seiner Liebe zu Cati und ihrem Sohn muss er konsequent seine Motivation und Reaktion hinterfragen, denn es wäre fatal und kontraproduktiv eine Lüge zu leben. Auf der einen Seite stellt er fest, dass er seine eigenen Wertigkeiten durchleuchten muss, während er Cati Stütze und Halt gibt, auf der anderen Seite muss er auch seine Individualität intakt lassen. Doch in diesen Schwierigkeiten und Problemen sieht er immer Hoffnung, gerät nie in Verzweiflung, stattdessen lernt er durch Cati, der Tod und Leiden immerfort auf den Fersen sind, eine neue Lebensfreude und Lebensqualität kennen.
Peeters schildert mit aufrichtiger Liebe und großen Gefühlen ein Leben, das viele andere schon beim bloßen Gedanken in die Knie zwingen würde. In all den Emotionen behält er jedoch immer den Fokus und schlittert nicht ins Selbstmitleid oder in die Mitgefühlsbettelei. Die Beziehung, die er mit Cati hat aufbauen können, wäre unter diesen Voraussetzungen unmöglich gewesen. „Blue Pills“ ist zwar ein Appell, aber nicht ein Appell an Menschlichkeit im herkömmlichen Sinn, sondern ein Appell an Vernunft und Liebe zugleich. Vernunft im Umgang mit einer gefährlichen Krankheit, in der kein Platz für Mythen und Fehlinformationen sind. Liebe für die Menschen, die vom „Liebesvirus“ betroffen sind, denn ihre Krankheit hat nicht ihre Gefühle angegriffen.
Die englische Übersetzung von „Pilules Bleues“ erscheint zwar mit sieben Jahren Verspätung, dürfte aber eine bessere Übersetzung erfahren haben, als die deutsche aus dem Jahr 2006 (bei Reprodukt). Wer des französischen mächtig ist sollte zum Original greifen (Atrabile / Flegme).