Das Ich in Schneitters Prosaband leidet unter Diplopie, sieht alles doppelt, doppelte Augenblicke einer Biografie also, außerdem verdrehen im Sinne Oskar Pastiors selig Phonem und Graphem dem Ich den Kopf. „und haben sätze ein geschlecht / oder brüste oder einen arsch? / ist der satzbau eine genetische abhandlung? kann man sätze gegeneinander aufrechnen / oder […]
Das Ich in Schneitters Prosaband leidet unter Diplopie, sieht alles doppelt, doppelte Augenblicke einer Biografie also, außerdem verdrehen im Sinne Oskar Pastiors selig Phonem und Graphem dem Ich den Kopf. „und haben sätze ein geschlecht / oder brüste oder einen arsch? / ist der satzbau eine genetische abhandlung? kann man sätze gegeneinander aufrechnen / oder soll man sie einfach schlucken?“ (S. 10) Will das Ich wissen und versucht sich so von wirklichen Problemen abzulenken. Denn da schwingt eine Trennung mit, irgendwo im Hintergrund, irgendwo zwischen dem freimütigen Geplauder, das erfrischend anders in Form gebracht wurde. Denn: „wird der satzbau weiterhin verwendet, kann sich nicht viel ändern.“ (S. 117)
Das Ich versucht seinen persönlichen Trennungsschmerz zu überwinden und weiter zu leben und zwar ganz und gar nicht linear, denn das Leben ist viel eher ein Drunter und Drüber, als reibungslos und durchorganisiert. Warum also nicht einen literarischen Weg einschlagen und versuchen, dieses Auf-ab-kreuz-und-quer-und-alles-immer-gleichzeitig formal umzusetzen? Ja, warum nicht. Der Ich-Erzähler hat eine Möglichkeit gefunden und sagt sich los vom Konventionellen. Eine Frage zieht sich durch das ganze Buch und wird auf Seite 147 klar formuliert, nämlich: „wenn sich ein satz in einem buch befindet: / wem gehört er dann?“ (S. 7). Gute Frage. Schneitter hat ein sensibles Satzaufspürsensorium und gibt in seinem neuesten Buch großzügig Einblick in seine Funde und von ihm Erfundenes. Nichts für Plotsuchtler, eher was für Satzgräber.