Schamhaare im Widerstand
Mit dem exzellenten Spionage-Thriller „Black Book“ kehrt Meister-Misanthrop Paul Verhoeven in die Niederlande zurück – und verquickt brillant Schundfilm mit Gedenkkino.
Die folgende Enthüllung könnte passionierte Fans von „Starship Troopers“ und „Showgirls“ womöglich noch mehr schockieren als deren überzeugte Hasser: Der neue Paul Verhoeven ist zuallererst einmal geradliniges, gediegenes und im allerklassischsten Sinne „gut gemachtes“ Erzählkino: virtuos geschrieben, tadellos gespielt, klar und unauffällig inszeniert. Schock! – Flashback: Während seiner letzten beiden Dekaden in Hollywood hat der Niederländer mit der trostlosen Weltsicht einen einzigartig schizophrenen Inszenierungsstil entwickelt, der Militarismus, Machismo und reaktionäre Idiotie seiner Blockbuster-Sujets nicht etwa aus einer aufgeklärten Perspektive „enthüllt“, sondern launig übererfüllt: Seine Hollywoodwerke waren bis zuletzt weder Parodien noch Dekonstruktionen, sondern unbehagliche, uneindeutige Betrachtungen aus dem ideologischen Innenraum der Kulturindustrie, sarkastisch dekoriert mit flachen Feschlingen wie Josh Brolin oder Casper Van Dien.
Im Mittelpunkt von „Black Book“ hingegen steht nun eine ganz unzweideutig glänzende, Einfühlung gebietende Hollywoodstarperformance der niederländischen Aktrice Carice van Houten: Als Jüdin Rachel Stein verschlägt es sie nach einem Nazi-Massaker an ihrer Familie in den holländischen Widerstand, der sie wiederum zwecks Spionage einem SS-Offizier in die Arme treibt. Verhoeven verzichtet weitgehend auf den doppelbödigen Camp-Appeal seiner Hollywood-Arbeiten, und wickelt eher effizient als großspurig das außerordentlich dichte Drehbuch ab, das er und sein ehemaliger Stamm-Drehbuchautor Gerard Soeteman über 20 Jahre hinweg zusammengestoppelt haben. Ein fader Europudding-Großkoch à la Jean-Jacques Annaud ist trotzdem nicht aus ihm geworden: „Black Book“ ist zugleich der beste, konziseste Beitrag zum antinazistischen /Middle-brow/-Gedenkkino der letzten Dekade und dessen schlimmster Albtraum: statt betulicher Pietät setzt es eine Körperpolitik der Ausscheidungen und Entblößungen, statt unverbindlichem Humanismus regiert bald moralische Unübersichtlichkeit: Auch der (überwiegend monarchistische) Widerstand ist hier vor antisemitischen Dünkeln nicht gefeit, während umgekehrt ein SS-Offizier zum tragischen Helden wird. Verhoeven bringt ganz unverhohlen zusammen, was der Anstand getrennt hat: Gedenk-Kino und Genre-Exploitation, Folter und Lifestyle-Magazine, Schamhaare und Widerstandsheldinnen, Sebastian Koch und aufregendes Filmemachen. Das Ergebnis ist nicht bloß kokett, sondern tatsächlich komplex – ein würdiger Pop-Nachfahre von Jean-Pierre Melvilles gewaltigem Résistance-Gangsterepos „L’Armée des ombres“ (1969). Verhoevens Hang zu billigen Reizen, beschmutzten Körpern und bösen Überraschungen hat hier nichts Rotzig-Trotziges mehr, sondern wirkt reif, dringlich und seinem Gegenstand durch und durch angemessen. Und wenn sich nach Kriegsende in eine unbeschwerte Siegerparade ganz unmittelbar der Schrecken der Vergangenheit mischt, dann ist „Black Book“ beklemmend realistisch.