Eine dunkle Begierde

Die totale Therapie – David Cronenberg inszeniert die Gründungsphase der Psychoanalyse mit feinen Rissen in einer neurotisch glattgeputzten Oberfläche.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Es ist in den ersten Minuten schwer zu sagen, ob Keira Knightley in »A Dangerous Method« (so der Originaltitel) toll ist oder den gröbsten Unfug ihrer Karriere zusammenspielt: Unter spastischen Zuckungen und Windungen wird ihre Sabina Spielrein anno 1904 in ein Sanatorium bei Zürich hineingetragen. Noch in den ersten Therapiesitzungen mit Doktor Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) wirkt Knightleys Performance krude überproportioniert: Während Fassbenders zugeknöpfter Jung maximal mit der Wimper zuckt und sich räuspert, schiebt ihre Hysterikerin das Kinn nach vorne und knickt die Handgelenke zurück, als würde ein Exorzistenfilm gecastet. Im Rückblick erweist sich aber genau dieses Ausagieren bis zum Anschlag als raffinierter Kniff, der den gesamten Film über nachhallt. »A Dangerous Method« erzählt nämlich mit der Affäre zwischen Jung und seiner Patientin – und späteren Kollegin – Spielrein nicht bloß eine gut belegte Geschichte aus der Gründungsperiode der Psychoanalyse, in der Autoritätsfigur Sigmund Freud (Viggo Mortensen) die dritte große Hauptrolle spielt. Der Film, wie ihn der frühere Körperhorrorvirtuose David Cronenberg inszeniert hat, stellt die melodramatischen Aufwallungen der Figuren als seine eigenen Symptome aus: Er geriert sich durchwegs wie eine dieser feinsäuberlichen, analfixierten Historienproduktionen der Merchant/Ivory-Tradition mit ihren hyperkontrollierten Kamerabewegungen und neurotisch glattgeputzten Oberflächen. (Vom Kies des Belvedereparks – einem von einer Handvoll Wiener Originalschauplätzen – meint man essen zu können.) Aber an diesem makellosen Akademismus lassen sich umso leichter die feinen Risse verfolgen, die Cronenberg und das Ensemble nach einem Skript von Christopher Hampton setzen, wenn Familienvater Jung seine moralischen Begrifflichkeiten vom eigenen Forscherdrang in Frage gestellt sieht. Alle Worte und Gesten sind so präzise in Wachs gegossen, dass jedes Stammeln, jeder Milchbart, jeder Schlucker und Versprecher sich als Symptom zu lesen gibt: ein psychoanalytisches Melodram eben. Ähnlich paradox strahlt »A Dangerous Method« gerade in seiner bemerkenswerten (nicht unkomischen) Trockenheit einen unbedingten Sinn fürs Abenteuer zu, den »Tim und Struppi« nicht einmal erahnen lässt: Cronenbergs Therapeut/innen überschreiten moralische Grenzen, weil sie sich tatsächlich auf Neuland befinden.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...