Ein Blick ins Wesen des Künstlers: Eine schon seit fühlbaren Blog-Ewigkeiten zur Sensation des ersten Jahresdrittels hochposaunierte Platte findet ihren Triumph in Reduktion und Intimität.
Wenn dieser Tage James Blakes selbstbetiteltes Debütalbum erscheint, wird der weite, leere Klangraum, die darin minutiös, fast schon pedantisch im Schwebezustand hineingehangenen Sounds und Töne, die maßgeblich die Essenz dieser Platte bestimmen, für Eingeweihte keine Überraschung mehr sein. Kaum ein Album dieses noch jungen Jahres ist im Vorfeld von derlei Getöse und Blog-Lärm begleitet worden. Am 20. Dezember 2010 wurden Details bezüglich des Albums veröffentlicht – Artwork, Tracklist, Erscheinungstag –, einen Tag später war »James Blake« bereits im Netz geleakt. In der Person und dem Output des 21-jährigen Produzenten-Wunderkinds aus London lässt sich wieder einmal scheinbar alles mit allem arrangieren: Wirkungsweisen, Styles, Soundreservate – ohne dabei nach groß angelegtem Projekt oder bemühtem Konstrukt zu riechen.
Durch die Mangel der Zukunftsvision
Nach seiner ersten, zwar wohlwollend, jedoch noch nicht so sensationsheischend begrüßten EP »Air & Lack Thereof« aus dem Jahr 2009 veröffentlichte Blake 2010 drei brillante EPs, die jeweils unterschiedliches Terrain bearbeiteten und so ein Künstlersubjekt skizzierten, das mühelos verschiedenstes Schnitzwerkzeug zur Disposition zu haben schien: »The Bell Sketch« war noch deutlich in Dubstep oder, wenn man so will, Post-Dubstep verankert, den Territorien, die für gewöhnlich als Blakes Heimat wahrgenommen werden. Die hier zu vernehmenden Sounds waren dabei schon unerhört verpitcht, manipuliert und durch die Mangel der Zukunftsvision gedreht. Auf »CYMK« dekontextualisierte Blake digitalen R’n’B, namentlich Samples von Kelis und Aliyah, die bislang letzte, »Klavierwerke« betitelte EP baute aus Fragmenten von Blakes Stimme, Bruchstücken von Piano und einigen wenigen, höchst präzise gesetzten Sounds – hier eine Snare, da ein trockenes Händeklatschen – mit sehr viel Stille und Pause eine berauschend wabernde Geistermusik.
»James Blake« von James Blake ist nun weder Verweigerung noch radikale Abkehr von seinem noch jungen Frühwerk. Seine Coverversion von »Limit To Your Love« der kanadischen Sängerin und Songwriterin Leslie Feist zeichnete Ende 2010, als Single erschienen, schon den Weg vor und steht nun im Zentrum des Albums. Blake hat jetzt aber nicht endlose Schichten Genialität und Eklektizismus in seine Platte gegossen, sondern aus den Bestandteilen Stimme, Klavier und rudimentäre Elektronik eine vermeintlich karge Platte arrangiert. Elf Stücke in gerade einmal rund 36 Minuten, schon rein vom formalen Aspekt her hat Blake ein traditionelles Album aufgenommen, dem die Opulenzen so ziemlich aller Dance-, R’n’B- oder HipHop-Alben fremd scheinen. Vorbildfunktion hatten hier laut Blake selbst seine Landsleute von The XX, die 2009 ebenfalls aus den Überresten britischer Bassmusik und dem Wunsch nach großem Songwriting ein sprödes Meisterwerk entwickelten.
Perfekt Ausgemessene Illusion
Die Platte ist wie ein atmendes Zimmer – wir hören das Knacksen und das Rauschen, die Einstellung des Mikrofons, der Bass scheint, eingeschnürt in eine Matratze, im Keller aufgenommen worden zu sein. Blake zeigt uns die Kabel und die Schaltkreise und das Vibrieren der Luft, hier entsteht eine elektronische Gospel-Musik, die näher dran ist an Großtaten von Erykah Badu oder D’Angelo als an den pompösen Gewittern von Burial. Es gilt hier Songs zu erfahren, die Ahnungen von Folk in Beat-Musik übertragen oder – andersrum gedacht – R’n’B in Richtung Kammermusik entschlacken, und zu großen Teilen von der Illusion zehren, man befände sich als Hörer direkt im Proberaum. Freilich aber hat man es mit einer Intimität zu tun, die unter Labor-Bedingungen entstanden ist. Ein perfekt ausgemessenes Konstrukt, in dem Sound und Song ideal zusammenfallen, eine Preziose des Klangdesigns – wie mühsam es wohl gewesen sein muss, all das zu generieren, was es hier nicht zu hören gibt, kann man nur erahnen.
Blake ist mit Soul, Gospel, R’n’B und Jazz aufgewachsen und hat das Klavier ausgiebig trainiert. Er singe nun mal gerne, kann man ihn in Interviews sagen hören. Vergangenes Jahr habe er eben Lust dazu gehabt, ein paar Dubstep-Tracks zu veröffentlichen, sein Debüt-Album hätte er aber schon immer als Piano-plus-Vocals-Platte angedacht gehabt. Bis auf Weiteres wird auf der Bühne auch kein Laptop zu entdecken sein, jedenfalls nicht zur Klangerzeugung. In den Interviews kündigte er auch an, dass seine Konzerte gegenwärtig und wohl auch, wenn es nach ihm geht, in näherer Zukunft allesamt zu 100 Prozent live abgewickelt werden sollen. Einen Vorgeschmack, wie der junge Mann sich die konzertante Darbietung seines Materials vorstellt, kann man schon jetzt in einem YouTube-Clip der Live-Performance von »The Wilhelm Scream« für BBC Radio One erleben: Der Künstler selbst an einem Prophet-Synthesizer sitzend, vor einem Mikrofon, in das mit souligem Schmelz seine Stimme hineinvibriert. Begleitet von zwei Freunden – einer an Gitarre und Sampler, der andere am minimalistischsten Schlagzeug-Set-up, das die Welt je gesehen hat. Das Licht ist gedimmt, hinten links steht ein Flügel. James Blake zeigt, wo die Musik herkommt. Der Mann kann singen und er sagt »Unmittelbarkeit«.
»James Blake« erscheint am 07.Februar auf seinem eigenen Label Atlas (Universal). Tourdaten, Hörproben und Information unter www.jamesblakemusic.com