Vaterspiel

Eine sozialdemokratische Familie in den 90ern, die nicht nur aufgrund der politischen Laufbahn des Vaters auseinanderzubrechen droht, eine jüdische Familie im Litauen der 40er Jahre, die beinahe vollständig vernichtet wurde und die Familie eines nationalsozialistischen Täters, die in die USA geflüchtet ist – das sind die Grundpfeiler einer österreichischen Geschichte, mit der wir bis heute nicht immer umzugehen wissen. Was Haslinger in sprunghaften Erzählsträngen zu einem Roman gebündelt hat, breitet Glawogger nun in Fragmenten, jedoch großflächig zu einem Spielfilm aus. Dies ist keine detailgetreue Literaturverfilmung, sondern das Denken derselben (eben österreichischen) Geschichte aus einer anderen Richtung und in anderen Bildern.

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So funktioniert die Annäherung von Literatur und Film gerade dadurch, dass Autor Haslinger und Regisseur Glawogger mit den Mitteln des jeweils anderen Mediums und anderer Gattungen arbeiten. Während Haslinger filmisch ist in seiner Erzählweise und montage-artig Versatzstücke aneinanderreiht, bereitet Michael Glawogger nichts größere Freude, als die eigentliche Spielfilm-Handlung kurz beiseite zu lassen, um von leninistischen Katzen oder politisch völlig gleichgültigen Hunden zu fabulieren. Nur um kurze Zeit später vollständig auf Fiktion zu verzichten zugunsten jener Fakten, die die Verbrechen an litauischen Juden bezeugen. Dokumentarfilmer Glawogger setzt hierfür Ulrich Tukur (als Jonas Shtrom) in einen kahlen, weißen Raum und lässt ihn auf Tonband die Ereignisse von 1941 zu Protokoll geben. Diese Reduktion macht jene Szenen zu den eindrucksvollsten des Films. So verzichtet das visuelle Erzählen (Kamera: Attila Boa) auf ein Zuviel an Farben und bleibt zu den Figuren und Räumen auf Distanz. Es sind genau jene Oberflächen auf der Bildebene, die die Weigerung bis Unmöglichkeit der Figuren wiederspiegeln, tiefer in die (eigene) Geschichte vorzudringen. Gleichzeitig lässt der so entstandene Freiraum jede Wertung zu. Auf eine klare Trennung von Tätern und Opfern wartet man vergebens. Die Schuldfrage trifft jeden, gleich welcher Generation: die Nachkommen, die ihren Nazi-Großvater weiterhin verstecken, den nun erwachsenen Jonas Shtrom, der sich vorwirft, als kleiner Junge seine Vater im Stich gelassen zu haben, und den erfolglosen Computerspiel-Entwickler Ratz, dessen „Vaterspiel“, ein Ego-Shooter gegen nervende Väter, letztlich zu erfolgreich wird.

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