Der Sheriff mit dem Roten Stern

Wo Winnetous ostdeutscher Blutsbruder wohnt: Das Linzer Filmfestival Crossing Europe zeigt sowjetische und osteuropäische »Red Westerns«.

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Westernfilme zogen in den 60er und 70er Jahren als Blockbuster auch in den kommunistischen Ländern des damaligen Ostblocks Millionen von Menschen in die Kinos. Dass dieses Kunststück nicht ohne Modifikation des amerikanischsten aller Genres gelingen konnte, ist klar. In der DDR etwa wollte man ähnliche Leinwand-Abenteuer wie jene der Karl-May-Erfolge aus der BRD produzieren – lediglich ohne die Verherrlichung amerikanischer (Besiedelungs-)Kultur. Also wurden politisch korrekte Geschichten aus der Sicht der Indianer entworfen, die in sozialfriedlicher Eintracht zusammenleben und ihr Recht gegen kapitalistische weiße Eindringlinge verteidigen müssen, die ihrerseits nur an Landgewinn, Biberfellen und Besäufnissen interessiert sind. Gedreht wurden diese Breitwand-Abenteuer im damaligen Jugoslawien, zum »Winnetou«-Star des Ostens wurde der serbische Athlet Gojko Mitić. Die Ergebnisse dieser Übersetzung waren bisher im Westen Europas kaum zu sehen. Auch deshalb gehört die Schau (eine Kooperation mit dem Rotterdamer Filmfestival) zu den Pflichtterminen des heurigen Crossing Europe-Festivals.

Die Glorreichen Sieben der Revolution

Einen anderen Weg, dem US-amerikanischen Filmformat ein kommunistisches Antlitz zu verleihen, hat die Sowjetunion eingeschlagen, indem sie aus den Cowboys kurzerhand Revolutionäre und Rotarmisten machte, die über die Grenzen Russlands hinweg für die »gerechte Sache« eintreten. Staubige Straßen, galoppierende Pferde und ohrenbetäubende Pistolenduelle durften aber auch in keinem dieser Filme fehlen. So befindet sich in »Die weiße Sonne der Wüste« (1969) der Soldat Sukhov nach erfolgreichen Kämpfen in Turkmenistan auf dem Nachhause-Weg zu seiner Frau (die in seinen Tagträumen als russisches Idealweib inmitten sonnendurchfluteter Felder auftaucht), wird jedoch fortwährend aufgehalten. Er muss Kameraden helfen, für Recht und Ordnung sorgen und zu guter Letzt einen Harem von sieben Frauen aus den Händen des gewalttätigen Abdullah befreien.

In »The Elusive Avengers« (1966) werden diese Genre-Stereotypen mit märchenhafter Kinderfilm-Ästhetik versetzt: Eine Bande von drei Jungen und einem Mädchen macht sich auf, den Tod ihres Vaters zu rächen, unterwegs werden sie zu Helden des russischen Bürgerkriegs. Die beschwingten musikalischen Einlagen sollten daraus einen Film für die ganze Familie machen. So waren es trotz aller politischen Unterschiede ausgerechnet die klassischen US-Westernklischees der 30er bis 50er Jahre, an denen sich die »Red Westerns« orientierten.

Die positive Gesinnung des Helden und sein Kampf für eine bessere Welt standen in der Tradition einer uramerikanischen Kinomythologie, die im Westen längst ins Wanken gekommen war. Im zeitgleich boomenden Italo- und amerikanischen Spätwestern warfen abgeklärte Antihelden nur noch einen melancholischen Blick auf jene Gesellschaft, die allem Anschein nach (siehe Vietnam) in ihrer dunkelsten Stunde angekommen war.

Solche Ausweglosigkeit findet sich in der »Red Westerns«-Retrospektive paradoxerweise nur im ältesten, der sowjetischen Revolution zeitlich am nächsten liegenden Beitrag: Lev Kulešovs „Nach dem Gesetz“ (1926) blickt in kantigen Bildern den menschlichen Abgründen direkt ins Gesicht. In der Einsamkeit Alaskas verfällt eine Gruppe von fünf Abenteurern erst dem Goldrausch und schließlich dem Wahnsinn. Gezeigt wird »Nach dem Gesetz« in einer vom Österreichischen Filmmuseum restaurierten Version zur eindrucksvollen Live-Musik von Franz Reisecker. Und im fiebrigen Finale um einen Galgenstrick lässt sich Sergio Leone bereits erahnen.

Das Crossing Europe Filmfestival findet von 12. bis 17. April in Linz statt. Infos unter www.crossingeurope.at

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