Wir leben in einer Zeit, in der es nicht einmal mehr die Musikindustrie schafft, so zynisch mit neuen Bands zu verfahren wie deren launische Fans, die ihren eigenen Vorsprung dadurch zu beweisen suchen, wie schnell ihnen das, was die Industrie in ihre Finger gekriegt hat, bereits wieder über ist. Heute bloß das zu sein und […]
Wir leben in einer Zeit, in der es nicht einmal mehr die Musikindustrie schafft, so zynisch mit neuen Bands zu verfahren wie deren launische Fans, die ihren eigenen Vorsprung dadurch zu beweisen suchen, wie schnell ihnen das, was die Industrie in ihre Finger gekriegt hat, bereits wieder über ist. Heute bloß das zu sein und zu tun, wofür man sie gestern noch geliebt hat, ist das gröbste Vergehen jeder Band, unentrinnbar wie die Erbsünde, und Alex Turner ist selbst noch praktizierendes Indie-Kid genug, um diese Einstellung in „D Is for Dangerous“ (vielleicht nicht einmal ironisch) auf den Punkt zu bringen: „D is for / Desperately trying to simulate what it was that was alright / Three-quarters of an hour ago.“
Vor ungefähr einer Dreiviertelstunde also hatten die Arctic Monkeys mit „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ ihren von jeder Menge Hype diesseits und jenseits des Netzes angekurbelten, großen Moment, und Turners täuschend an die Bridge von „I Bet You Look Good on the Dancefloor“ erinnernde Phrasierung im Opener „Brianstorm“ legt zunächst tatsächlich den Schluss nahe, dass „Favourite Worst Nightmare“ nicht viel mehr als die desperate Simulation dieses Initialfunkens unter perfekten Laborbedingungen zu bieten haben wird.
Ja, es kommt sogar noch schlimmer: Der zweite Song „Teddy Picker“ verdammt die so genannte celebrity culture in moralisierenden Tönen („The kids all dream of making it, whatever that means“) und vergleicht die Willkür des Ruhms mit jenen in britischen Vergnügungsparks herumstehenden verglasten Maschinen, mit denen man über einen per Knopfdruck dirigierbaren Metallarm seinen Teddybären aus einem ganzen Haufen Stofftieren herausziehen kann. Der Greifer des Geräts ist so linkisch, dass der begehrte Preis einem zumeist entgleitet. Was wir aus dieser Parabel lernen können, ist eine andere Frage, aber die Zeile „Who’d want to be men of the people / When there’s people like you?“ verrät Humor, und der Song hat fraglos Schmiss. Genauso wie erwähntes „D Is for Dangerous“, auf dem Produzent James Ford von der Simian Mobile Disco (oder möglicherweise der ebenfalls an den Aufnahmen beteiligte Mike Crossey, genauere Linernotes liegen nicht vor) sich weidlich des alten HipHop-Schmähs mehrfach gebrüllter, gejapster und gesprochener Zeilen bedient.
Nach circa anderthalb Minuten gibt es im Song „Balaclava“ schließlich eine Stelle, da kommunizieren die beiden Gitarren von Alex Turner und Jamie Cook, sowie der Bass ihres nach dem Rauswurf von Andy Nicholson rekrutierten Kindheitsfreunds Nick O’Malley mit einer derart uhrwerkartigen Präzision, dass nur noch die Unregelmäßigkeiten im Rubbeln ihrer Plektren an den Gitarrensaiten Spuren menschlicher Schwankungen beweisen. Auch wenn das nie ein Kriterium dafür sein darf oder wird, ob es sich lohnt ihnen zuzuhören, muss selbst das abgebrühte Ohr spätestens hier neidlos anerkennen: Diese Arctic Monkeys sind schon eine verflucht gute Band.
Oder vielleicht sogar zu gut? Einen Augenblick droht der Verdacht aufzukommen, wir hätten es hier mit einer britischen Version der Red Hot Chili Peppers zu tun, da lädt „Fluorescent Adolescent“ als klassischer schwingend-schunkelnder Sommerhit von der Insel zum Über-dem-Kopf-Schwingen des imaginären Schals ein. Der Titel ist eine gelungene Beschreibung jener New-Rave-Kids, die ihre Arctic-Monkeys-Phase vom letzten Jahr bereits hinter sich gebracht haben – aber die Geschichten vom nächtlichen Teenager-Exzess in Netzstrümpfen spielen bei weitem nicht mehr so eine dominante Rolle wie auf dem Debüt, und in seinen romantischen Verquickungen ist Alex Turner auch nicht mehr ganz so unschuldig und keck wie früher einmal. In „Do Me a Favour“, das in seinen verhallten Tremolo-Akkorden die wiederholt geäußerte Bewunderung der Band für The Coral reflektiert, überlässt Alex Turner seiner Freundin die Killerpointe: „Do me a favour, and ask if you need some help“, sagt er. „Do me a favour and stop flattering yourself“, ist ihre harte aber gerechte Antwort. „Only Ones Who Know“ klingt wiederum wie eine spukig wehmütige Ballade aus den 50ern und hinterfragt passenderweise die abgebrühte Weisheit, dass „true romance“ sich heutzutage nicht mehr erreichen ließe.
Die dickste Belohnung unserer Aufmerksamkeit kommt allerdings erst ganz zum Schluss mit der verliebten Sehnsuchtsnummer „505“. Was sich in seiner Melancholie zunächst so anlässt wie „English Rose“ aus „All Mod Cons“ von The Jam, wird unerwartet zu etwas noch viel Größerem und Weiterem. Etwas, das auf „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ nie und nimmer passieren hätte können.
Und mehr war auch gar nicht zu verlangen.