Toni Erdmann, der neue Film der Regisseurin Maren Ade wurde von der Kritik überaus positiv aufgenommen und bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet. Wir haben mit der Filmemacherin gesprochen.
Maren Ades Stimme ist etwas angeschlagen, als wir mit ihr telefonieren. Kein Wunder, war ihr neuer Film Toni Erdmann in den letzten Tagen doch in aller Munde, wie man so sagt. Viele Interviews gab die 39-Jährige da sicherlich, vor allem in Cannes, wo Toni Erdmann der erste deutschsprachige Film seit acht Jahren war, der dort bei den 69. Filmfestspielen lief und den Fipresci-Preis gewann.
Toni Erdmann erzählt die Geschichte von Winfried Conradi und Ines, Vater und Tochter. Er, Alt-68er, Musiklehrer, oft zu Scherzen aufgelegt. Sein falsches Gebiss trägt er immer bei sich – könnte man ja brauchen –,wenn die Stimmung mal nicht so super ist. Sie, Unternehmensberaterin, derzeit in Rumänien tätig, Überstunden, und dann noch mehr Überstunden, ein Leben zwischen Business-Outfits, Meetings und After Work-Drinks. Die Beziehung der beiden könnte besser sein. Als Winfried Ines ohne Ankündigung in Rumänien besucht, versucht er kurz darauf mit Hilfe seines Alter Egos Toni Erdmann eine neue Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen.
Im Interview erzählt Maren Ade unter anderem vom Balanceakt zwischen Drama und Komödie, von den Vor- und Nachteilen am Filme machen und sie sagt, was sie zum Lachen bringt.
Was war die Grundidee zum Film? Wieso wollten Sie diesen machen?
Die Grundidee war schon diese Vater-Tochter-Konstellation, es hat mich aber auch interessiert, etwas über Humor zu machen, also mit diesem Genre zu experimentieren. Im Kern hat mich aber diese Vater-Tochter-Konstellation interessiert und etwas über Familie zu erzählen, über die eigentlich eingefahrenen Rollen, die jeder so spielt und die so wahnsinnig schwer zu durchbrechen sind. Der Vater setzt ja dadurch, dass er sich in Toni verwandelt, dem eine Ausbruchsfantasie entgegen. Er startet eben diesen waghalsigen Versuch, seine Tochter anders kennenzulernen. Das hat mich eben interessiert.
Die Dialoge im Film wirken sehr authentisch. Waren manche improvisiert?
Improvisiert ist eigentlich fast nichts. Es gibt immer wieder so Kleinigkeiten, einen Satz, ein Wort, die dazu addiert wurden, aber sonst steht das alles so im Drehbuch. Ich sitze hier gerade seit langem einmal wieder in meinem Büro und das Drehbuch liegt direkt neben mir. Ich könnte nun etwas vorlesen und man würde das aus dem Film erkennen.
Wie erfolgte die Vorbereitung, um die Welt der Unternehmensberatung zu verstehen?
Ich habe relativ lange immer wieder Leute aus diesem Tätigkeitsfeld getroffen. Unternehmensberatung ist ja schon auch so etwas, wo man sich reinarbeiten, reindenken muss irgendwie. Aber ich fand es interessiert, sich einmal mit einem Wirtschaftsthema zu beschäftigen. Und ich hatte das Glück, in Rumänien eine Unternehmensberaterin zu finden, die einen ähnlichen Job gemacht hat, die mich dann auch beraten hat.
Ich habe das so interpretiert, dass die Figur des Toni Erdmann schon länger existiert hat. Was war wohl sein erster Auftritt gegenüber seiner Tochter?
Nein, die Figur des Toni Erdmanns ist neu. Den Toni erfindet er.
Kann man Toni Erdmann als eine Figur sehen, welche die Hauptfigur quasi weiterentwickelt hat?
Ja, es ist eine Weiterentwicklung. Das Gebiss hat er davor schon manchmal getragen. Aber diese komplette Verwandlung in Toni, die ist neu.
Wie wird die Beziehung von Vater und Tochter nach Ende des Films aussehen?
Ich wurde das schon öfters gefragt, aber irgendwie denkt man als Filmemacher genau soweit, bis der Film aufhört. Also ich zumindest. Eine Botschaft, das interessiert mich gar nicht, dann würde ich darüber nachdenken, wie es mit den beiden weitergeht. Klar, natürlich soll am Ende schon erzählt werden, dass da zwei Leute sind, die einen ziemlich großen Aufwand betreiben müssen, um sich ein kleines bisschen näher zu kommen. Die Veränderung zwischen den beiden ist da, die ist aber nicht wirklich groß. Aber wie es so richtig mit diesen beiden weitergeht, darüber habe ich nicht wirklich nachgedacht.
Es ist in gewisser Weise natürlich auch Interpretation des jeweiligen Zusehers, wie eigentlich bei jedem künstlerischen Werk, dass man einen Teil vorgibt und der Rest wird dann vom Publikum interpretiert.
Ganz genau. Der Film gehört mir nicht mehr, der gehört jetzt dem Zuschauer. Ich versuche immer so offen konstruieren, dass jeder sich selbst wiederfinden kann, dass jeder sich aufhalten kann in dem Film, dass jeder sich reindenken kann.
Der Film wurde von der Kritik äußerst gelobt, mitunter auch die Tatsache, dass er im Wettbewerb von Cannes lief. Was hatten die deutschsprachigen Filme davor nicht, was dieser Film hat? Und was würden Sie sich von anderen deutschsprachigen Filmen erhoffen?
Ich finde, es gibt viele tolle, deutsche Filme. Ich weiß gar nicht, warum das jetzt so thematisiert wird. Es gab auch schon viele deutsche Filme, die in Cannes gezeigt wurden. Und es reichen ja auch gar nicht alle in Cannes ein, das ist ja auch nicht der Gradmesser für alles. Ich wünsche mir für die Kollegen und generell auch für kleinere, sperrige Filme gute Produktionsbedingungen. Dass man die Zeit hat, das gut zu machen. Ich hatte mit dem Film auch viele Möglichkeiten, weil ich ein gutes Budget hatte und gut finanziert war. Es ist ja auch so: Film ist auch Zeit ist Geld und Geld ist Zeit und Zeit braucht man immer, um Filme zu machen. Ich finde, dass der Film ein Beispiel dafür ist, dass es sich manchmal lohnt, Zeit zu investieren.
Inwiefern beeinflusst Kritik die Sicht auf die eigene künstlerische Arbeit und Zukunft?
Die Frage ist erst einmal, ob man die Kritik liest und wenn ja, wie ausführlich. Während Cannes habe ich zum Beispiel gar nichts gelesen, weil ich auch nicht die Zeit dafür hatte und ich ohnehin viele Gespräche über den Film hatte. Man kennt ja seinen Film in- und auswendig. Manchmal ist es toll und schön, wenn man sich erkannt fühlt, aber ich finde auch Kritiken interessant, in denen Themenfelder angesprochen werden, die ich gar nicht beabsichtigt habe. Ich finde es auch interessant, welches Eigenleben der Film bekommt. Aber beim nächsten Projekt helfen einem weder gute Kritiken noch sollte man sich von schlechten beeinflussen lassen. Ich glaube, man versucht, standfest zu sein.
In Kritiken wurde oft auch die Länge des Filmes erwähnt. Würde es Sie reizen, einmal eine Serie zu drehen, in der noch besser die Möglichkeit besteht, in die Charakterwelten und Handlungsstränge einzudringen?
Als die ersten Serien kamen, habe ich mir das vielleicht einmal gedacht, das kann einem natürlich auch liegen, eine Figur so genau auszubauen, aber ich bin da dann eher für einen langen Film. Bei Serien ertappe mich dabei, wie ich dann fünf Folgen wegfuttere, sozusagen. Und am Ende habe ich dann Matsch in der Birne. Ich habe es gerade etwas satt mit Serien.
Immer wieder wurde auch betont, dass es nun endlich einen deutschsprachigen Film gebe, der humorvoll sei. Hat man im Filmgeschäft Angst vor Humor? Angst davor, banal zu wirken?
Für mich ist Toni Erdmann keine Komödie. Es gibt lustige Teile, aber im Kern ist der Film für mich ein Drama, bei dem man halt häufig lachen muss, so würde ich es beschreiben. Ich wollte mich dem Label Komödie schon annehmen. Dennoch finde ich, dass der Film schon einen sehr tragischen Kern hat.
Könnte man es als Comedy-Drama bezeichnen? Wenn wir gerade bei Genres sind.
Eigentlich ist es mir egal, welches Genre das ist. Ich weiß, der Film kann unterschiedliche Gesichter haben. Es hängt von der Tagesform ab, mit der jeder da ins Kino geht, ob man den Film dann eher lustig oder traurig findet. Ich habe bisher immer unterschiedliche Erfahrungen gemacht mit dem Film. Aber ja, die Mischung hat mich eben interessiert, also zu versuchen, dass es beides geben kann in einem Film, die Komödie und das Drama, zu gleichen Teilen.
Was ist für Sie das Interessante am Filmemachen?
Ich arbeite relativ lange an den Filmen. Das Gute für mich ist eben, dass man bei diesem Prozess so viele Phasen durchläuft. Am Filme machen nervt jedoch, dass man immer denkt, wenn ich endlich das Drehbuch fertig habe, wenn ich endlich den Film finanziert habe, wenn ich ihn endlich geschnitten habe – und irgendwie geht es dann doch immer irgendwie weiter. Es dauert wahnsinnig lange, bis man wirklich fertig ist. Und dann wird man gefragt, was man als nächstes macht und man denkt so: Häh, wie soll das jetzt gehen? Also bei mir ist das so. Es ist auf jeden Fall sehr abwechslungsreich. Drehbuchschreiben ist eigentlich ein Job für sich. Das Schneiden ist ein Job für sich. Das Mischen ist ein Job für sich. Und wenn man da als Regisseur zusammen mit dem Team überall partizipiert, dann kann man sich schon gut bei Laune halten. Also insofern bin ich froh, dass es ein so abwechslungsreicher Job ist. Das Einzige, das manchmal anstrengend ist, dass das Thema des Films gleich bleibt. Das kann man natürlich auch vertiefen über so einen Zeitraum. Wie gesagt, ich habe fünf Jahre an dem Film gearbeitet und es wächst auch mit einem mit, es ist dann auch ein bisschen von mir mitgelebtes Leben in dem Film. Nur deshalb kommt man da rüber irgendwie.
Humor spielt in Toni Erdmann eine wichtige Rolle. In einem Interview meinten Sie, großer Fan von Andy Kaufman zu sein. Worüber können Sie sonst noch lachen?
Verschiedene Sachen. Es gibt ja allerhand zu lachen. Ich finde meine Kinder ziemlich lustig zurzeit. Das ist ja auch das Gute an Kindern, dass sie relativ unterhaltsam sind. Ich kann sowohl über Slapstick lachen, genau so wie über feine Ironie oder Situationskomik. Aber es gibt im Leben auch ernste Situationen, bei denen ich mir nachher denke, was das jetzt war, und ich lachen muss. Ich finde, es gibt da im Leben viel zu holen.
Toni Erdmann ist ab 15.07.2016 in den österreichischen Kinos zu sehen.