Sie ist wieder da. Die Diskussion um die Quote. Doch geht es dieses Mal nicht um den Anteil österreichischer Musik im Öffentlich-Rechtlichen, sondern um Frauen im österreichischen Film.
Filmemacherinnen und Interessenvertretungen wie FC Gloria für Frauenvernetzung im Film fordern eine Quote in der Vergabe von Fördergeldern, die einen Anreiz schaffen soll, das Ungleichgewicht zu korrigieren – so sind in den letzten fünf Jahren nach Berechnungen von FC Gloria nur 22% der Fördergelder von ÖFI und dem Filmfonds Wien an Frauen gegangen. Das liegt aber nicht daran, dass die beiden Institutionen Männer stark bevorzugen, sondern dass überhaupt nur ganz wenige Projekte von Produktionsfirmen eingereicht werden, an denen Frauen maßgeblich beteiligt sind. Die Forderung nach der Quote, also einer Top-Down-Maßnahme, ist daher weniger als Kritik an den Förderstellen zu verstehen, sondern soll bei den Produktionsfirmen einen Anreiz schaffen, Projekte, die von Frauen gestaltet werden, einzureichen.
Dieser Wortwechsel dient nicht dazu, die leidige Diskussion, ob die Forderung einer Quote nun gerechtfertigt sei und was sie bringe, fortzuführen, sondern versucht, verschiedene Antworten auf die Frage zu finden, wieso es überhaupt dazu kommt, dass nur so wenige Produktionen von Frauen zur Einreichung kommen. 40% der Absolventen der Filmakademie, die immer wieder unter der Kritik steht, nicht genug Frauen in leitenden Positionen zu beschäftigen, sind weiblich. Was passiert mit diesen Filmschaffenden nach ihrem Studium? Können sie im Film-Business keinen Fuß fassen? Werden ihre Projekte von Produktionsfirmen abgelehnt und warum passiert das? Was machen diese 40% nach der Filmakademie und mit welchen Problemen sind sie dabei konfrontiert? Natürlich kann man über solche Fragen nur mutmaßen – genau darum haben wir vier Frauen, die unterschiedliche Positionen in der österreichischen Filmindustrie einnehmen, um Stellung gebeten.
Jasmin Baumgartner
Erst bewirbst du dich an der Filmhochschule. Es darf nur gut ausgehen, sonst waren die letzten Monate Freunde terrorisieren und Job kündigen umsonst. Juhu, geschafft! Erleichterung und erstes wackeliges Selbstbewusstsein. Der erste Tiefschlag: Ein Kollege sagt: »Jasmin, geh dich doch schminken. Du hast sicher in deinem ganzen Leben noch nie wirklich was g‘hacklt.« (LOL) Du machst deinen ersten Film an der Hochschule. Ein Professor sagt dir »Mach es noch mal. Das is a Schas«. Du machst es nochmal und nochmal. Viele Semester später ist das neue Selbstbewusstsein weg. Du hörst auf, diesen Schulterklopfer bekommen zu wollen und drehst wieder. Du und 2-3 andere mögen das Ergebnis. Du schickst den Film um teuer Geld an jedes Festival zwischen Klosterneuburg und Shanghai. »Danke, aber unter 500.000 eingereichten Filmen waren 20 bessere dabei.« Du rechnest dir die Wahrscheinlichkeit aus, jemals vom Filmschaffen Leben zu können, während du als Gästebetreuerin beim Nachmittags-TV arbeitest. Dann überredest du dein Team erneut ohne Bezahlung mit dir zu arbeiten in der einzigen Woche im Jahr, in der ihr alle Zeit habt. Du und 20-30 andere finden das Ergebnis gut. LIVING THE DREAM! Der Film läuft auf Festivals. Du willst gleich den nächsten drehen, aber das geht nicht, weil um bei den größeren Förderstellen anzusuchen, brauchst du eine etablierte Produktionsfirma. Du präsentierst also Produktionsfirmen deine Idee und träumst davon, nicht mehr im Prekariat zu leben. Beim Pitchen bist du von zehn Teilnehmern die einzige Frau. Du bekommst den Job. Hater behaupten sofort, es ist, weil du eine Frau bist, nicht etwa weil du die beste Idee geliefert hast. Du fühlst dich wie die fleischgewordene Quote. Ich kenne viele Regisseurinnen und habe schon oft von Stoffen gehört, die bei Förderstellen abgeblitzt sind, weil zu wenig weibliche Figuren vorkommen. Ich kann es mir nur so erklären, dass es an der Auswahl der Produktionsfirmen scheitert. Österreichs Filmerinnen sind nicht weg, sondern eh da und wollen drehen.
Jasmin Baumgartner studiert Drehbuch und Regie an der Filmakademie Wien, arbeitet an einem Film über einen Fussballverein und hat zusammen mit der Kamerafrau Anna Hawliczek das Filmkollektiv One Delta Ten Tango gegründet. Ihr Film »Unmensch« wurde bei der Diagonale 2016 zum Besten Nachwuchsfilm gekürt.
Barbara Kaufmann
Verschwinden ist ein mysteriöser Vorgang. Jemand verläuft sich in einem düsteren Wald, fällt in ein Kaninchenloch, steigt in den falschen Zug und kehrt niemals wieder. Filmemacherinnen, die verschwinden, das klingt ein wenig, als würden sie selbst zu Protagonistinnen eines Filmes. Von David Lynch. Das hätte mich zwar gereizt, weil er für mich der Größte ist, trotzdem kann ich mit keinem so spektakulären Grund dafür dienen, warum ich nach der Filmakademie immer mehr in Richtung Journalismus gedriftet bin. Ich hab Drehbuch studiert, weil ich immer Geschichten erzählen wollte. Alle Projekte, an denen ich mitgeschrieben habe, wanderten jahrelang von einer Förderstelle zur nächsten. Endlose Verzögerungen, so kam es mir in meiner Ungeduld damals zumindest vor. Und die eine Geschichte, die mir so wichtig gewesen wäre, um sie selbst zu drehen, gab es damals nicht. Also schrieb ich Gastkommentare für eine Zeitung und landete über Umwege beim Radio. Dort war die Produktionszeit ungleich kürzer und das persönliche Glückserlebnis größer, weil die Geschichten im Kopf auch wirklich umgesetzt wurden. Ähnlich war es später beim Fernsehen und beim Schreiben für Magazine und ein Onlinemedium sowieso. Heute ist vieles anders. Die Produktionsmittel sind günstiger geworden, die Produktionsfirmen jünger und offener. Und die eine Geschichte, die ich unbedingt erzählen will, gibt es auch. Vielleicht bin ich aber auch einfach geduldiger geworden.
Barbara Kaufmann studierte Drehbuch auf der Filmakademie, landete dann im Journalismus bei Ö1, drehte für den ORF Religion und Am Schauplatz, schrieb für das Magazin Datum und NZZ Österreich. Aktuell arbeitet sie an ihrem ersten Kinospielfilm.
Eva Spreitzhofer
In allen Erdteilen dieser Welt »verschwinden« Filmemacherinnen proportional zu hohen Budgets und guten Karriereaussichten. Ebenso wie Forscherinnen, Ärztinnen, Universitätsprofessorinnen, Politikerinnen. Zusammengefasst: je mehr Geld und Macht, desto weniger Frauen. Ich bin keine Gender-Expertin, ich weiß nicht, wohin Frauen nach ihrer Ausbildung verschwinden, ich kann nur deutlich sehen, dass sie überall dort wieder auftauchen, wo sie aufgrund einer Quote wieder zum Erscheinen gebracht werden. Die Frage, die sich uns stellt, ist also: Es gibt ein Mittel, Frauen nicht verschwinden zu lassen. Wollen wir dieses Mittel oder nicht?
Den Rest meiner 1.700 Zeichen stelle ich für Links zu diesem Thema zur Verfügung, denn Gründe für »das Verschwinden« von hochqualifizierten Frauen rund um den Globus sind nachzulesen in allen Sprachen dieser Welt …
http://derstandard.at/2000032957915/Die-vergessenen-Frauen-der-Filmgeschichte
http://www.proquote-regie.de/ewa-studie-wo-sind-die-weiblichen-regisseure-im-europaeischen-film/
http://derstandard.at/1318726051389/Quote-an-Universitaeten-Maennerquote-von-90-auf-60-Prozent-senken
http://derstandard.at/1297820586802/Studie-Von-der-Quotenfrau-zur-kritischen-Masse
http://www.spiegel.de/politik/ausland/in-norwegen-funktioniert-die-frauenquote-in-aufsichtsraeten-a-831693.html
http://www.profil.at/kultur/spaete-zuendung-museen-galerien-kuenstlerinnen-6244775
http://www.fc-gloria.at/category/neuigkeiten/
http://www.pro-quote.de
http://derstandard.at/1317018467310/Daimler-Chef-gegen-Frauenquote-Wohin-soll-ich-all-die-Maenner-aussortieren
http://www.zeit.de/2015/50/star-wars-kathleen-kennedy-frauen-filmbusiness
http://othes.univie.ac.at/20888/1/2012-05-04_0626147.pdf
Eva Spreitzhofer ist Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin und Mitbegründerin der Akademie des österreichischen Films. Sie hat die Fernsehserie »Schnell ermittelt« erfunden und ist in »Deckname Holec« demnächst im Kino zu sehen.
Ursula Wolschlager
Die Statistiken in den verschiedenen Förderbereichen zeigen, dass überall dort, wo Regisseurinnen/Autorinnen ohne Produktionsfirma einreichen können, die Ressourcenverteilung bei weitem ausgewogener ist: Die Filmförderung des BKA wurde etwa zu 55% an Männer und zu 45% an Frauen vergeben. Offenbar liegt also das Problem vor allem in der Produktionslandschaft, die am Stärksten männlich dominiert ist. Ins Firmenbuch eingetragene Produzenten sind zu 83% Männer! Natürlich hat dieser Umstand enorme Auswirkungen darauf, welche Projekte angenommen werden und welche Personen in Regie, Drehbuch und anderen Schlüsselpositionen beauftragt werden. Da es sich beim Geschichtenerzählen nicht um eine exakte Wissenschaft handelt, liegt diese Auswahl an allen möglichen Faktoren, u. a. an Geschmack, Blickwinkel und Vertrauen. Denn ein Produzent muss ja an eine Geschichte glauben und einer Regisseurin/einem Regisseur vertrauen. Und Vertrauen hat wiederum viel damit zu tun, wie nahe einem der/die Andere ist, und welche Ähnlichkeiten man in ihm/ihr erkennt. Daher sollten einerseits die Produzentinnen gestärkt werden und anderseits Anreize für Produktionsfirmen geschaffen werden, Projekte von Frauen anzunehmen und in die Förderungsgremien zu schicken. Leider führt der ORF keine öffentlich zugängliche Genderstatistik, aber sowohl die Regisseurinnen als auch die von Frauen geleiteten Produktionsfirmen, die regelmäßig vom ORF Aufträge bekommen, liegen prozentuell wohl im einstelligen Bereich. Da Film ein machtvolles, meinungsbildendes Medium ist, geht es nicht nur darum, dass die Ungleichgewichtung für die Frauen innerhalb der Branche problematisch ist, sondern ganz generell darum, was es für eine Gesellschaft bedeutet, vornehmlich Filme und Serien vorgesetzt zu bekommen, die einen sehr eingeschränkten Blickwinkel weitererzählen. Denn abgesehen von der Genderproblematik hat die Filmbranche ja ein viel weiter reichendes Diversitätsproblem.
Ursula Wolschlager ist Produzentin und Autorin. Als Vorstandsmitglied von FC Gloria – Frauen Vernetzung Film hat sie das ProPro-Produzentinnenprogramm, eine Initiative des Filminstituts zur Stärkung Österreichischer Filmproduzentinnen (co-)konzipiert. Ihre Produktions- und Projektentwicklungsfirma (u. a. »Die Vaterlosen«, »Gangster Girls«, »Ma folie«) betreibt auch das Stoffentwicklungsprogramm »Diverse Geschichten – Drehbücher zwischen den Kulturen«, das für den Staatspreis für Erwachsenenbildung (Integration durch Bildung) nominiert wurde.