Zarte Formen, betörende Farben – Georgia O’Keeffes „Oriental Poppies“ eröffnen eine sinnliche Erfahrungswelt rund um die Blume.
Zwei Mohnblumen, in tiefem Rot und Orange, entfalten eng nebeneinanderiegend ihre sanfte Blütenpracht. Sie öffnen sich dem Betrachter, intensiv und doch zerbrechlich und überdauern in dieser in Nahaufnahme gezeigten, überdimensionalen Malerei ihre Vergänglichkeit. Die satte warme Farbe der Blüten steht in starkem Kontrast zum tiefen Schwarz des Blütenkerns. Die Farbe Rot ist sehr aufgeladen – sie erinnert an Liebe, an Leidenschaft, auch an Blut, an pure Lebenskraft. Mohn, wie weithin bekannt, betört und berauscht, Hieronymus Bosch sieht in seiner Vision des „Garten der Lüste“ in der Mohnblume sogar die „Allerleilustblume“. Sie wirkt auf den Menschen, wie auch dieses Bild, in dem man sich regelrecht verlieren kann. Das harte Schwarz steht für Tod, Leid, oder – im orientalischen Raum – auch für das Leid in der Liebe.
Ob Georgia O’Keeffe das bekannt war, als sie das Bild malte, wissen wir nicht, aber sie spielt gekonnt mit den Farben und setzt sie sehr bewusst ein. „Farbe gehört zu den großartigen Dingen, die das Leben für mich lebenswert machen“, sagt sie selbst. Mit fließenden Linien offenbart sie das zarte Wesen der Mohnblume, mit der intensiven Färbung aber auch die Kraft, die von dieser Blume ausgeht. „Oriental Poppies“ entstand 1928 – rund um dieses Jahr Jahren hatte O’Keeffe die großformatigen Blumenbilder schon zu einem Markenzeichen gemacht.
Aus dem Inneren gemalt
Bei genauerem Hinsehen lassen sich sexuelle Anspielungen auch in der Form ihrer Malerei erkennen, die Ausformungen der Blüten etwa erinnern an (weibliche) Geschlechtsorgane. Unvermittelt flackern intensive, erotische Konnotationen auf – die auch von ihren Künstlerkollegen in New York verbreitet wurden. Der Kreis um Alfred Stieglitz (Galeriebesitzer und später O’Keeffes Ehemann) schuf ihr mit erotischen Interpretationen ihrer Kunst ein Image, das sie als freizügige, unkonventionelle Frau und Künstlerin bekannt machte.
O’Keeffe selbst konnte mit derlei Ansichten aber nicht viel anfangen. Ganz im Gegenteil – als sie von dieser gängigen Interpretation ihrer Werke las, war sie sehr verletzt: „Ich habe fast geweint. Ich dachte, ich könnte mich nie mehr der Öffentlichkeit zeigen.“ Aber – welche Motive stecken nun wirklich hinter diesen farbenprächtigen Blumenbildern? Einerseits wäre da Wassily Kandinskys Idee zu nennen, dass Farben und Formen viel mehr der „inneren Welt“ des Künstlers verpflichtet sind. Diese Anregungen und unter anderem auch die Fotografien Paul Strands, der gewöhnliche Objekte sehr nah, vergrößert und unter besonderen Lichtverhältnissen fotografierte, veranlassten O’Keeffe mit der Zeit dazu, ihre eigene künstlerische Vision, ihre Intuition, Gefühle und Erfahrungen auf der Leinwand umzusetzen.
Für Georgia O’Keeffe steht die Liebe zur Blume und die sinnliche Erfahrung mit ihrem Wesen im Vordergrund. Sie betrachtet die Blumen genau, malt, was sie sieht und reduziert sie auf ihre wesentlichen Formen und Farben. Mit überdimensionalen Blumengemälden wie „Oriental Poppies“ bringt sie die Betrachter dazu, genauer hinzusehen und sich Zeit auch für diese kleinen, vergänglichen Geschöpfe zu nehmen.
Die Ausstellung „Georgia O’Keeffe“ ist von 7. Dezember 2016 bis 26. März 2017 im Kunstforum Wien zu sehen. Dieser Text ist in The Gap 160 erschienen.