„Heimat ist, wo ich am besten scheißen kann“
Mit „Jeder gegen Jeden“ schaffte es das Aktionstheater Ensemble zu einem der renommiertesten Treffen für Theaterstücke im deutschsprachigen Raum. Wir haben mit Ensemble-Mitglied Alev Irmak über „Migrationsscheiße“, das Kopftuch in der Schauspielerei und Opferrollen gesprochen.
von Emir DizdarevicMartin Gruber, der Leiter des Aktionstheater Ensemble, verlangt zwei Dinge von seinen Schauspielern: zum einen schauspielerisches Können und zum anderen eine gesellschaftspolitische Haltung bzw. Verantwortung. Du bist Teil des Aktionstheater Ensemble. Wie hast du ihn überzeugt?
Alev Irmak: Regisseur Martin Gruber hat gerade für Pension Europa gecastet. Martin Ojster, der Dramaturg, kannte mich schon, hat mich vorgeschlagen und wir haben uns getroffen. Martin Gruber hat mich dann gefragt, wie es mir als Schauspielerin mit Migrationshintergrund geht. Meine Antwort war, dass diese ganze Migrationsscheiße gar nicht so schlecht ist, weil ich dadurch zu Rollen komme. Auf seine Frage: „Wo ist deine Heimat?“, sagte ich: „Heimat ist, wo ich am besten scheißen kann.“. Diese Aussagen wurden dann später auch in „Pension Europa“ verwendet. Für uns beide war klar, dass ich in seinen Stücken als die „Migrantin“ eingesetzt werde, die sich keinen Klischees bedient, sondern sich durch provokante Art gesellschaftspolitischen Themen annähert, um das Publikum zu irritieren. Ich habe nämlich keine Lust ein Opfer zu spielen und davon zu berichten, wie schlecht es mir geht. Wir haben dann auf jeden Fall viel gelacht und es hat gepasst.
Okay, aber wie erlebst du denn nun die ganze Migrationsscheiße?
Alev Irmak: Als Studentin habe ich in einem Hotel in Tirol gearbeitet. An einem Abend hatten wir eine Gruppe deutscher Geschäftsmänner als Gäste. Als ich ihnen Sekt an den Tisch gebracht habe, haben sie begonnen mich auszufragen: „Bist du Muslima?“, „Ist es für dich kein Problem Alkohol auszuschenken?“, „Warum trägst du kein Kopftuch?“, et cetera. Ich habe ihnen Gegenfragen gestellt: „Schlagen Sie Ihre Frau?“, „Wie oft sehen Sie ihre Kinder?“, „Wurden Sie gezwungen in die Kirche zu gehen?“, und so weiter. Die Männer haben sich dann fürchterlich aufgeregt und sich beschwert, wie unverschämt ich doch sei. „Wieso?“, habe ich daraufhin gefragt. „Sie wollen doch auch Intimes von mir wissen. Da ist es nur fair, wenn ich auch etwas Persönliches von Ihnen erfahre?“. Auf jeden Fall ist es ein gutes Beispiel dafür, wie ich die Themen Integration und Migration erlebe. Migranten werden oft auf ein Podest gestellt und alle erwarten sich, dass sie etwas ganz Intimes von sich preisgeben. Da gibt es oft keinen Austausch oder ein Gespräch auf Augenhöhe.
Neben dem Aktionstheater Ensemble hast du unter anderem auch bei einer Solidaritätslesung für die Schriftstellerin Asli Erdogan, die in der Türkei unter Terrorverdacht steht, mit-vorgetragen. Wie wichtig ist dir politische Kunst?
Alev Irmak: Politische Kunst ist mir sehr wichtig. Auch die Stücke des Aktionstheater Ensemble sind hochpolitisch. Ganz egal, welches Stück gerade erarbeitet wird. Die Geschichten sind tatsächliche Begebenheiten der Akteure. Man kann es sich so vorstellen: Martin Gruber hat eine Idee und dann werden Interviews mit den Schauspielern geführt. Diese Interviews darf man sich nicht so vorstellen: „Okay, überlegt euch jetzt ganz hochpolitische Sachen“. Du erzählst einfach, was dich beschäftigt. Das kann etwas ganz Alltägliches sein. Beispielsweise, wie es dir gerade mit deinem Vermieter geht. Diese Interviews werden gesammelt und zugespitzt. Anschließend wird geschaut, wie wir sie verwenden können. Diese Arbeitsweise verlangt viel gegenseitiges Vertrauen.
Welche Rolle hat dich zuletzt berührt?
Alev Irmak: Das war meine Rolle im Stück „Jeder gegen Jeden“. Die Figur ist wahnsinnig sexualisiert, locker, redet sehr offen darüber und empfiehlt dies auch den anderen, da dies zur Entspannung führe. Im Stück geht es um Entsolidarisierung. Die Figur wirkt sehr stark, aber eigentlich ist sie sehr einsam. Mit der Sexualität und der Härte hält sie jedoch dagegen und erweckt den Eindruck, dass bei ihr alles in bester Ordnung ist.
Wie bist du überhaupt zur Schauspielerei gekommen?
Alev Irmak: Also wir treffen uns hier im Café Kafka, weil das ein wichtiger Ort in meinem Leben ist. Ich habe hier in der Nähe, im Interkult Theater gearbeitet. Ich bin von Vorarlberg nach Wien gekommen, um Psychologie zu studieren. Das habe ich dann auch ein paar Jahre gemacht und habe in einem Jugendzentrum Theater gespielt. Und unsere Aufführungen hatten wir im Interkult Theater. So lernte ich den Leiter, Aret Güzel Aleksanyan, kennen. Der hat mich gefragt, ob ich mir nicht was dazuverdienen und Flyer verteilen möchte. Später arbeitete ich dann an der Bar, der Garderobe, im Büro und habe unterschiedliche Sachen wie Hospitanz, Regieassistenz und Künstlerbetreuung übernommen. Im Interkult Theater habe ich viel gelernt, es war sozusagen meine Schule. Leider gibt es das Theater seit etwa zwei Jahren nicht mehr. Parallel habe ich auch bei Asli Kislal im Daskunst gespielt. So habe ich fünf Jahre gearbeitet und irgendwann gemerkt, dass ich etwa sechzig Stunden die Woche mit dem Theater beschäftigt bin und das Studium flöten geht. Ich hatte mir also vorgenommen das mit dem Theater zu lassen und das Studium zu absolvieren. Nach einer Zeit bin ich eines Morgens mit Tränen in den Augen aufgewacht und habe mir gedacht: „Ich will Theater machen, ich will Theater spielen.“ Ich habe dann meine Eltern angerufen und gesagt, dass ich das Studium abbreche. Das war dann natürlich etwas dramatisch. „Für die Kunst das Studium aufgeben?“
Auf der Seite deiner Agentur habe ich gesehen, dass du auch ziemlich oft Rollen mit Kopftuch spielst. Wie ist das für dich?
Alev Irmak: Das ist ein heikles Thema. Meine Agentin schickt mir das Skript und das lese ich mir dann durch. Für mich ist der springende Punkt, dass es Sinn ergeben muss, da es für mich doch ein Statement ist. Manchmal sind es strategische Entscheidungen: „Will ich mit diesem Regisseur arbeiten, oder wen Bestimmtes kennen lernen?“ Es gab aber auch schon diese Situation, dass ich schon am Drehort im Kostüm war und es dann plötzlich hieß: „Du musst ein Kopftuch tragen.“ Das war allerdings nicht abgesprochen und der Regisseur hatte das erst die Nacht davor beschlossen. Ich habe mich dann aufgeregt, weil ein Kopftuch für diese Rolle keinen Sinn ergeben, der Geschichte einfach nicht gedient hat. Ich habe mich dann mit dem Regisseur unterhalten. Er hat das dann auch verstanden. Und ja, dann arbeite ich sowas beim Aktionstheater Ensemble natürlich ab. Aber es geht mir nicht darum, dass ich sowas mache und dann darüber jammere. Das bringt niemandem was. Das ist dann eine ganz bewusste Entscheidung, wenn ich das tue.
Ich nehme mal an, dass bei einer blonden Kollegin – nehmen wir Michaela Bilgeri vom Aktionstheater Ensemble als Beispiel – keiner auf die Idee kommen würde, ihr ein Kopftuch aufzusetzen. Ist das nicht ärgerlich?
Alev Irmak: Ich finde den Vergleich ziemlich hinkend. Ich bin mir über mein Aussehen bewusst und darüber, was ich als Schauspielerin hergebe. Dass ich dann für sowas mehr in Frage komme, als Michaela, ist klar. So ein „Ist das aber unfair, dass mir das passiert“, habe ich überhaupt nicht. Das ist meine eigene Entscheidung. Mich ärgern ganz andere Sachen. Wie Drehbücher geschrieben und Klischees bedient werden. Oder wenn ich irgendwo auftauche und meinen Text aufsage und der Regisseur plötzlich meint: „Das mit mehr Akzent. Weil das Gemeindebaumädl braucht mehr Akzent.“ Ich frage dann natürlich nach. „Aja, warst du schon mal im Gemeindebau? Die Rolle ist doch hier geboren und aufgewachsen? Warum soll die jetzt bitte mit einem Akzent sprechen?“ Da haben wir dann länger diskutiert und ich habe ihm dann den Deal angeboten, dass wenn ich emotional werde und mit meinen Kindern schimpfe, dann mach ich das auf türkisch. „Aja, das ist eine gute Idee“, hat er gemeint. Sowas finde ich aber generell in Ordnung. Man muss das halt immer wieder angehen. Auch direkt bei der Arbeit, wenn man die Möglichkeit hat miteinander zu diskutieren und Themen aufzumachen. Das ist dann eben interessant, wenn man sich auf solche Diskussionen einlässt und einen Aha-Moment miteinander erlebt. Es ist wichtig, dass man nicht zu allem „Ja“ und „Amen“ sagt, sondern selbstständig denkt.
Was bedeutet es für dich mit „Jeder gegen Jeden“ unter den 10 Gewinnern des Nachtkritik-Theatertreffens zu sein?
Alev Irmak: Es ist natürlich schön, Anerkennung für die geleistete Arbeit zu erhalten.
Alev Irmak (37) ist seit 2014 Mitglied des Aktionstheater Ensemble. Mit „Jeder gegen Jeden“ schaffte es das Ensemble auf Platz 6 des Nachtkritik-Theatertreffens, einem der renommiertesten Treffen für Theaterstücke im deutschsprachigen Raum. Neben der Schauspielerei ist Alev Irmak sowohl im Casting-Bereich, als auch als Coach für jugendliche Schauspieler tätig.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Multimedia-Ateliers am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FH Wien der WKW entstanden.