Kurdwin Ayub über ihre tragikomische Doku „Paradies! Paradies!“
Kurdwin Ayub filmt Krieg, Konflikte und ihren Vater beim Wohnungskauf.
von Stefanie SchermannNach Erbil im Norden des Iraks zieht es Kurdwin Ayubs Vater Omar, der sich eine Wohnung in seiner Heimat kaufen möchte – einer Heimat, die er und seine Familie vor rund 25 Jahren verlassen mussten. Kurdwins Film, der ihren Papa auf seiner skurrilen Immobiliensuche begleitet, ist eine Hommage an ein vom Krieg gebeuteltes Land, das für Omar dennoch ein Paradies ist. „Paradies! Paradies!“ ist eine tragikomische Doku geworden, ein Selbst- und Generationenporträt und in jedem Fall ein Film, an den man sich erinnert. Wir trafen die Regisseurin zum Gespräch.
Warst du beim Filmen wirklich ganz allein, nur mit der Handkamera?
Ja. Das Gute daran ist: Wenn Leute mich mit der Kamera sehen, überhaupt dort, dann nehmen sie mich nicht ernst. Dann glauben sie, ich bin so ein Mädchen, das von seinen Eltern eine teure Kamera zum Geburtstag bekommen hat und sich noch seine Träume erfüllen kann, bevor es heiratet. Wirklich! Der Vorteil war also, dass die Leute vor der Kamera so viel Blödsinn gemacht haben, den ich einfach filmen konnte, weil sie mich nicht ernst genommen haben. Deswegen hab ich’s gut gefunden, alleine zu sein. Wir haben auch, nachdem wir eine Förderung bekommen haben, weiterhin gesagt, dass ich alleine bleibe.
Als du am Anfang des Films aus dem Inneren des Flugzeuges filmst, sind du und dein Vater fast allein. War das seltsam für dich?
Ein interessantes Detail zum Fliegen: Ich habe Flugangst. Jedes Mal, wenn ich fliege, nehme ich Beruhigungsmittel. Für das erste Bild musste ich den Flughafen filmen, und weil ich immer so dicht war, war das Bild so schief und schrecklich, dass ich bei der nächsten Reise wieder den Flughafen für das Einstiegsbild in Kurdistan filmen musste. Es war, glaube ich, gerade eine kritischere Phase im Militär. Als ich beim Flughafen-Filmen eine Militärmaschine gesehen habe, habe ich sie halt auch gefilmt. Da kamen dann plötzlich 20 Soldaten und wollten mir die Kamera wegnehmen und das Material löschen. Ich war noch immer so wie eine Betrunkene, und konnte mich gar nicht richtig wehren. (lacht)
Einmal hab ich Munition als Erinnerung von der Front mitgenommen und vergessen, dass die im Koffer war. Am Flughafen hat’s Alarm geschlagen und sie haben in meinen Pyjamas diese riesengroße Patrone gefunden.
Warum sieht man im Film so wenige Frauen?
Es hat sich gezeigt, dass Frauen sich nicht gern filmen lassen. Andererseits, wenn sie dann eine Kamera sehen, sagen sie sofort, was sie wollen, weil sie dort sonst wenige Rechte haben.
Es ist die dortige Mentalität. Zum Beispiel, wenn du dort als Politikerin aufgestellt wirst, gibt es keine Plakate von der Politikerin, sondern vom Mann der Politikerin. Weil die Plakate der Frauen verunstaltet würden und so Sachen. Es ist alles noch nicht so weit dort – aber es wird schon.
Es gibt eine Szene im Auto, bei der du einen Toten filmst. Euer Fahrer sagt, du sollst das nicht tun. Ist das verboten?
Es ist so ein komisches Ding zwischen dem, was man darf, was man sollte und was man nicht sollte. Ich hab’s trotzdem gemacht. Als Frau darf man auch eigentlich nicht an die Front gehen. Ich musste es dann trotzdem machen, weil ich dachte: Es wird sicher arges Material.
Manchmal bekommt man erst nach einer gewissen Zeit richtig mit, was alles passiert ist. Wie ich beim Colour Grading danach gesehen hab, wie der Tote da gelegen ist, hab ich anscheinend trotzdem so eine Kälte gehabt, zu sagen: „Mach das Blut noch roter.“ Und danach bin ich aufs Klo heulen gegangen.
Wie hast du denn die Möglichkeit bekommen, an die Front zu fahren?
Um ehrlich zu sein, sollte es im Film so rüberkommen, als hätten wir zufällig Soldaten in einem Army-Shop getroffen. In Wirklichkeit war das schon alles geplant. Ich war dort auf einer Reise und habe gehört, dass ein Mann mal Uniformen für Soldaten gekauft hat. Da hab ich gesagt: „Omar, du machst das jetzt auch.“ (lacht)
Ich habe ein paar Tage versucht, das zu organisieren. Wir haben eine Front gefunden, wo wir hingehen konnten, und alles war vorbereitet. Lustigerweise waren wir dann wirklich in einem Army-Shop, um diese Uniformen zu kaufen, und mein Vater hat dann wirklich irgendwelche Soldaten getroffen. Wir haben dann den ganzen Plan verworfen und sind mit denen mitgefahren, weil die lustiger waren. Wir kannten die also gar nicht vorher.
Hattest du Angst beim Filmen an der Front?
Man ist voller Adrenalin, man will hingehen – man hat keine Angst, eigentlich. Unterbewusst merkt man schon, dass man in Gefahr ist: Ich habe dann im Auto angefangen, die ganzen Nachrichten von meinem Exfreund zu lesen, so: „Okay, jetzt hab ich das alles zur Erinnerung.“
Es war sicher ein mulmiges Gefühl, aber die Aufregung war stärker. Außerdem hat man noch ein anderes Gefühl: Ich war dann ganz mitgerissen von den Soldaten und Leuten, die die Kurden unterstützen. Dann hat man nicht das Gefühl, dass man weglaufen will, sondern eher, dass man bei ihnen sein will. Man entwickelt dann auch einen gewissen Stolz, was sehr schräg ist. Die Leute, die wie wir geflüchtet sind, wurden insgeheim verurteilt. Leute die fliehen, werden nicht als so cool angesehen, weil alle so stolz sind auf ihre Peschmerga.
Gab es andere Situationen, bei denen du ein mulmiges Gefühl hattest?
Einmal hatte ich wirklich Angst. Ich wollte eine Anschlagsstelle filmen, die zwei Tage danach noch stärker bewacht war. Wir wollten mit dem Auto vorbeifahren und filmen, wie Omar, mein Vater, reagiert. Ich hatte so Angst, dass die glauben, ich hab irgendwie so eine Sniper-Waffe im Auto, weil das rote Licht vorne bei der Kamera war! Ich hab so lange versucht, das rote Licht abzudecken … Da wusste ich noch nicht, wie man das abdreht. Im Nachhinein: sehr lustig.
Oder: Wir waren in unserem Hotel und jemand bietet Omar unten in der Lobby an, dass er uns mit dem Auto mitnehmen kann. Mein Vater und ich steigen in sein Auto und ich lege die Kameratasche hinten in den Kofferraum, wo sich ein Riesen-Sniper mit urviel Munition befindet. Dann sagt mein Vater: „Ja, er ist Auftragsmörder.“
Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Film mit deinem Vater in der Hauptrolle zu machen?
Alles war sehr kompliziert, weil mich anfangs ein anderes Thema interessiert hat. Ich war auf der amerikanischen Uni im Irak und hab dort Leute gefilmt. Das habe ich dann meinem Produzenten hier gezeigt. Und zwischendurch war dann immer mein Vater, der irgendwie Blödsinn gemacht hat oder Visionen hatte und dann haben wir uns alle gedacht: Eigentlich eh urlustig, was ist, wenn wir da einfach hängenbleiben? Dann hab ich ihn weitergefilmt.
Hast du noch Kontakt zu den Soldaten, mit denen ihr mitgefahren seid?
Weißt du noch, der, der Deutsch gesprochen hat? Der ist im Krieg gestorben. Und noch einer, glaube ich. Von den anderen weiß ich’s nicht.
Es war arg, wie ich es erfahren habe. Ich war bei einer Preisverleihung in Sevilla, weil ich einen Preis für den besten Dokumentarfilm gewonnen habe. Vor der Preisverleihung hab ich dann die Nachricht bekommen.
Ich hab den Film nicht gesehen, nachdem das passiert ist. Ich weiß nicht, wie das bei der Premiere sein wird, wenn ich die Soldaten wieder sehe. Jede Emotion, die ich drei Jahre lang hatte, während der Arbeiten am Film, kommt beim Anschauen hoch. Also wird das wahrscheinlich auch hochkommen.
Deine Filme werden öffentlich gezeigt, und enthalten sehr persönliche Elemente. Stört das deine Familie?
Eigentlich nicht. Meinen Vater gar nicht. Meine Mutter anfangs ein bisschen, aber dann war sie eh stolz. Sie lädt sogar ihre Arbeitskollegen zur Premiere ein. Mein Vater findet das urcool, er sieht sich als Schauspieler und findet das toll.
Meine Verwandten glauben auch nicht daran, dass viele Leute ins Kino kommen. Ich hab meine Tante beim Rauchen gefilmt, und dann hat sie gleich in die Kamera gesagt: „Weißt, du kannst das überall zeigen, aber nicht im Irak.“ Ich glaube, das ist ihnen wichtig.
Alle Frauen rauchen heimlich, in der Familie und so. Würden sie das öffentlich tun, würden alle über sie reden.
Gab es auch lustige Situationen beim Filmen?
Ich finde es interessant, dass der Film so lustig geworden ist, obwohl alles eigentlich so traurig war. Einfach Dinge, die dort passiert sind: Familienstreitigkeiten, mein Cousin, der offensichtlich schwul ist und deshalb dort Probleme hat. Mein Vater, der irgendwie allein ist. Er hat niemanden mehr, hier und dort.
Mit Soldaten gab’s auch Erlebnisse: Die wollten, dass wir bei ihnen essen. Ich wollte unbedingt mit ihnen essen, weil dort normalerweise die Frauen kochen und das waren Jungs, die für uns gekocht haben. Aber wir mussten gehen, weil es schon dunkel wurde, und in der Dunkelheit irgendwo im Krieg … Wir mussten schnell weg. Aber die Jungs haben mir so leid getan. Die waren jünger als ich, so 20, und sie durften nichts anderes außer kämpfen, weil sie ihr Zuhause verteidigen müssen.
Merkt man eigentlich im Alltag, dass Krieg ist?
Ich wohne eine Stunde von Mosul entfernt, und Mosul ist grade das „Zentrum“ des Krieges. Die Soldaten von der Front kommen alle nach Dohuk, um irgendwie Pause zu machen. Da sitzen die dann einfach auf der Straße rum oder gehen einkaufen, haben Kurzurlaub. Sie haben ihre Waffen mit, es gibt keine Regeln dort.
Und viel Propaganda im Fernsehen. Viele Musikvideos über Soldaten. Alles sehr militärisch.
Einmal war ich im Basar, da hat man eine Bombe gehört. Alle sind aus den Geschäften rausgegangen, haben geschaut, ob es in der Nähe war, und dann sind sie wieder reingegangen. Und einmal, eben als wir auf dem Weg zu den Soldaten waren, sind wir mit denen dann irgendwo zum Teetrinken gesessen. Da haben wir auch eine Bombe gehört. Der Boden hat so gewackelt, da hab ich mich kurz erschrocken. Aber die anderen sitzen dann nur so da und sagen: „Das waren die Amerikaner, sehr gut, die haben jetzt wen erwischt.“ Aber man muss sagen, es gibt viel gefährlichere Gegenden.
Im Film zeigst du auch kurz Frauen, die sich selbst schlagen. Wie entscheidest du, was du filmst und was nicht?
Ich habe versucht, das zu filmen, weil ich glaube, dass es interessant ist, wenn man als Außenstehender sieht, wie die Leute so ticken. Die Frauen haben sich selbst geschlagen, sie wollten den Schmerz.
Ein Junge hatte einfach einen Autounfall gehabt. Die Frauen waren einfach Verwandte. Es gibt viele Verwandte, immer. Viele große Familien. Viele Kinder, viele Tanten. Viele Onkel, die dominant sind und bestimmen wollen, wie das Leben laufen soll.
Haben sich deine Verwandten auch in deine Erziehung eingemischt?
Mein Onkel Fahrid, der im Film auch öfters vorkommt, der ist schon so. Manchmal setzt er sich zu mir hin und übernimmt diese traditionelle Vaterrolle, die mein Vater nicht macht. Das ist interessant, weil mein Vater früher ein richtig strenger orientalischer Vater war – ich habe nichts machen dürfen, bis ich ausgezogen bin. Ich hatte schon Probleme damals: In der Schule war ich eher unbewusst das Ausländermädchen. Es hat sich zum Beispiel nie jemand verliebt in mich. Irgendwann hat mir ein Freund gesagt, dass ich ihm leid tue, weil ich sicher nie einen Ehemann finden werde. Es war Simmering, es war ein bisserl proletenhaft dort. Aber ich hatte eh Freundinnen, es war eh alles lustig.
Obwohl ich eben ein bisschen anders war, weil ich von Zuhause aus manche Sachen nicht machen durfte. Ich war nicht das Mädchen, das fortgeht oder Dates hat. Oder Knutschen beim Flaschendrehen, das war nicht drin. Ich habe das dann ziemlich radikal nachgeholt. (lacht)
Kannst du vom Filmemachen leben?
Es gibt Phasen, wo man davon leben kann, und Phasen, wo man nicht davon leben kann. Man muss hoffen, dass man einen Preis gewinnt. Das war halt Gott sei Dank letztens so. Sonst geht man so lang ins Minus, wie es geht. Oder ich gehe zu meinem Vater, damit er mir meine Schulden zahlt. Und dann hofft man darauf, dass in zwei, drei Monaten wieder eine Förderung oder so kommt.
Was ist deine Inspiration?
Meine Inspiration kommt meistens aus Beziehungen zwischen Menschen – ich glaube, das ist das Wichtigste. Oder aus einer Erfahrung von einer Beziehung, die ich zu einem Freund hatte, zu einem Liebhaber, zu meinem Vater, zu meiner Mutter. Und daraus kommen dann immer so lustige Erinnerungen – ich sage immer lustig, dabei meine ich eigentlich tragikomisch. Also so dieses Zwischending. Und dann denk ich, dass ich da was daraus machen kann.
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