Wer zählen kann, weiß: Frauen sind noch immer in nahezu allen Lebensbereichen unterrepräsentiert, die etwas mit Macht oder Anerkennung zu tun haben. Obwohl mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung weiblich ist, findet man sie in Vorstandsetagen, den oberen Gehaltsklassen oder unter den Nominierten hiesiger Musik-Awardverleihungen auch 2016 nur selten.
Die Amadeus Austrian Music Awards, die vom lokalen Ableger des Dachverbands der Majorlabels veranstaltet werden, rufen derzeit wieder Musikfans auf, für ihre Lieblinge abzustimmen. Bevor die Votingphase startet, legt eine Fachjury alljährlich unter Berücksichtigung von Verkaufszahlen fünf Nominierte pro Kategorie fest. Wer in dieser Jury sitzt, ist bei einem Label, Medium oder Veranstalter tätig. Im Jahr 2015 handelte es sich dabei zu mehr als drei Vierteln um Männer, während 26 Frauen knapp 23% der Jury bildeten – kein besonders ausgeglichenes Verhältnis.
Quoten und Sichtbarkeit
Gibt es im Auswahlprozess Quoten einzuhalten? Natürlich nicht. Dieselbe Industrie, aus deren Reihen kürzlich lautstark Radioquoten gefordert wurden, als es um das patriotisch-wirtschaftliche Anliegen österreichischer Musik ging, vergisst darauf, dieses Mittel auch zur Förderung einer aliquoten Abbildung der Bevölkerungsverhältnisse einzusetzen.
Im letzten Jahr hat man sich aber immerhin bemüht, zumindest auf der Bühne die Präsenz von Frauen zu stärken, auch wenn es sich dabei neben der Moderatorin Arabella Kiesbauer und der sprachlosen Award-Überreicherin fast nur um Laudatorinnen handelte. Hätte man sich allein auf die Gewinnerinnen verlassen, hätten 2015 nur zwei Frauen die Bühne betreten (wohlgemerkt jeweils als Teil eines Teams). Dabei wies Amadeus-Moderator Manuel Rubey sogar auf eine ähnliche Schieflage im Live-Sektor hin, als er eine Grafik von The Gap aufgriff, in der alle rein männlichen Acts aus einem Festival-Lineup wegretuschiert wurden und dieses plötzlich sehr leer aussah. Und trotzdem stehen die Amadeus Awards selbst auch heuer nicht besser da.
Statistiken und Strategien
Eine gute Freundin von mir beschäftigt sich in ihrer Masterarbeit gerade mit Frauen in der österreichischen Popmusikszene. Neben qualitativen Interviews mit Protagonistinnen und Protagonisten der heimischen Musiklandschaft geht es ihr auch um eine quantitative Analyse der Gender-Verhältnisse. Dafür hat sie Statistiken von Musikschulen, Musikhochschulen und des SR-Archivs, Amadeus-Nominierungen und FM4-Jahrescharts erhoben und verglichen. Und obwohl die Ergebnisse zu erwarten sind – konkrete Zahlen zu sehen, ist noch einmal next level ernüchternd. Darum stellt sie in ihren Interviews auch die Frage, mit welchen Mitteln eine stärkere Gleichstellung zu erreichen wäre. Vorhang auf für die Quotendiskussion.
Es herrscht ja eigentlich Einigkeit darüber, dass Quoten keine Ideallösung sind, um den Frauenanteil in den entscheidenden Ebenen anzuheben. Zurecht wird oft eingeworfen, dass in einem viel früheren Stadium angesetzt werden muss, um später nicht vor einem Qualitätsproblem zu stehen. Mädchen gehören ermutigt, Bands zu gründen und musikalisch tätig zu werden, Projekte wie das jährlich stattfindende Girls Rock Camp sollten größere mediale und finanzielle Unterstützung erfahren. Das sind natürlich wichtige Aspekte, aber eben nur Teile einer größer anzulegenden Strategie für mehr Diversität. Wie so oft geht es in der Musikbranche selten ganz neutral um messbares Können: Die für die Amadeus Awards mitausschlaggebenden Aspekte Verkaufserfolg und Aufmerksamkeit haben auch viel mit Netzwerken zu tun. Ein enger Horizont derjenigen, die Entscheidungen verantworten, trägt dazu bei, dass die männlich/weiß/hetero-dominierte Echokammer verstärkt wird. Den abgedroschenen, allgegenwärtigen Rechtfertigungsversuch „Wir hätten eh gerne mehr Frauen dabei gehabt, aber leider keine gefunden“ widerlegt beispielsweise im Bereich elektronische Musik und Visual Arts die Plattform Female Pressure.
Abgesehen von Qualifikationen und der Unterstützung durch Netzwerke müssen Frauen überhaupt erst einmal auf die Idee kommen, dass Erfolg für sie erreichbar ist. Und dazu braucht es nichts dringender als Vorbilder. Dass Quoten dabei keine ideale Lösung sind, schließt nicht aus, dass sie dennoch ein adäquates Mittel sein können. Wenn eine angemessen zügige Gleichstellung nicht allein durch Bottom-Up-Initiativen (wie die Förderung vom Kindesalter an) erreicht wird, dann können diese durch Top-Down-Maßnahmen (wie Quotenregelungen) ergänzt werden. Wo mehr Frauen sind, gibt es nämlich nicht nur mehr Vorbilder. Eine Quote – und das ist womöglich der Grund, warum sie manch faule Haut nervt – thematisiert auch einen Handlungsbedarf, der sonst vielleicht ein blinder Fleck geblieben wäre.
Es funktioniert
Ich war zum Beispiel bei den letzten beiden Förderrunden des Programms NASOM – New Austrian Sound Of Music Teil der Jury für den Bereich Pop/Elektronik. Die NASOM-Vergabe wird alle zwei Jahre vom Außenministerium in Kooperation mit dem Musikinformationszentrum Mica durchgeführt und ermöglicht Musikschaffenden unterschiedlicher Genres Toursupport außerhalb der Landesgrenzen. Die Jurymitglieder werden dazu angeregt, mindestens einen der jeweils fünf verfügbaren Plätze an einen weiblichen Act zu vergeben – was einer niedrig angesetzten Quotenregelung von 20% entspricht. Das Ergebnis für 2016/17 war besonders erfreulich, da mit Farewell Dear Ghost, Fräulein Hona, HVOB, Kids N Cats und Mynth fünf Pop-Projekte ausgewählt wurden, deren Gender-Balance insgesamt sogar nahezu ausgeglichen war. Das hat sicher mit der starken Präsenz von qualitativ hochwertigen, heterogenen Bands zu tun, aber auch ein wenig mit der Sensibilisierung auf einen Aspekt, auf den wir vielleicht sonst nicht so stark geachtet hätten.
Die Conchita-Kontroverse
Die einzige Kategorie der Amadeus Awards, deren Frauenanteil hoch ist, heißt „Künstlerin des Jahres“. Bekommen hat diese Auszeichnung 2015 Conchita Wurst – jene bärtige Kunstfigur, die den Eurovisions-Songcontest nach Wien geholt und Österreich das Image eines weltoffenen Landes beschert hat. Dass Conchita Künstlerin des Jahres wurde, hat allerdings für Kontroversen gesorgt – und zwar nicht nur bei der Andreas-Gabalier-Fraktion, die sich aufgrund der verwirrenden Manderl/Weiberl-Situation ihrer eigenen fragilen Heterosexualität nicht mehr sicher sein konnte.
Auch für manche, denen Diversität ein Anliegen ist, war dieser Award nicht ausschließlich ein Grund zur Freude. Und hier wird es kompliziert. Das hat mit der allgegenwärtigen, aber oft willkürlichen Aufteilung in explizit weibliche und männliche Kategorien in Bestenlisten und bei Awardverleihungen zu tun – eine Praxis, die aufgrund der binären Trennung und des daraus resultierenden Fokus auf biologisches Geschlecht immer stärker infrage gestellt wird. Die Problematik wird dann besonders deutlich, wenn so wie letztes Jahr in der einen Kategorie, in der per definitionem eine Frau gewinnen hätte müssen, ein queerer Mann in Drag ausgezeichnet wird. (Dass manche Konservative und Rechte sich auf den biologischen Aspekt verbeißen, macht diesen nicht weniger wahr – vorausgesetzt, die Drag-Figur wird nicht mit einer Transgender-Person verwechselt.) Die Künstlerin des Jahres für Conchita war ein wichtiges Zeichen für Genderfluidität. Wenn in den anderen Kategorien mehr Frauen zum Zug gekommen wären, hätte es allerdings ein stimmigeres Gesamtbild ergeben. Dass hier Handlungsbedarf besteht, ist klar. Bitte keine Ausreden mehr.
Bis einschließlich 25. Februar kann unter http://voting.amadeusawards.at/voting/ noch für die Amadeus Awards 2016 abgestimmt werden. Wer genau hinschaut, kann unter den 80 Wahlmöglichkeiten (ohne FM4-Award) auch ein paar entdecken, die Frauen beinhalten.
Wer die Grafiken größer haben möchte, für Social Media und andere Spässe, hier bitte.
Astrid Exner ist Mitbegründerin des Musikblogs Walzerkönig. Sie twittert als @walzerkoenige auch zu den Themen Musikindustrie, Internet und Feminismus.