Apple-Mitbegründer Steve Wozniak und Technologie-Philosoph Ray Kurzweil zeichneten gestern im Parlament unfreiwillig ein ambivalentes Bild über eine zunehmend technologisierte Zukunft. Ein Anlass darüber nachzudenken, warum Technologie kritisch betrachtet werden muss.
Gefüllt war er, der Budgetsaal des Parlaments – hauptsächlich von einer schier unendlichen Zahl von männlichen Anzugträgern und Geeks. Aber immerhin – man hatte ja Besuch aus Amerika: Steve Wozniak, der Erbauer der ersten beiden Apple-Computer und Ray Kurzweil, Autor des Buches "The Singularity is Near" waren zu Gast. Ein seltener Anlass für die Besucher während der Podiumsdiskussion ihr Mittelschul-Englisch auszupacken und den hohen Gästen vorzuführen.
Eröffnet wurde besagter Vortrag mit einer Begrüßung vom Präsidenten der Industriellenvereinigung, die man genauso gut hätte verschlafen können. Denn sie bewies, dass man Standard-Reden wohl für jeden Anlass adaptieren kann. Diesmal: Die Informations- und Kommunikationstechnologien als wichtigster Wirtschaftsfaktor im ach so rohstoffarmen Österreich. Aha.
Ein sympathischer Kurzvortrag von Steve Wozniak ließ einen diese Episode aber schnell vergessen. In einer Welt in der die Nerds die Überhand gewonnen haben, ist der Erfinder des Apple I und Apple II ja ein Star (er war ja auch kürzlich erst in Big Bang Theory zu sehen). Viel hatte er zum Thema „Mensch und Machine – Wann kommt die Verschmelzung?“ (so der Titel der Veranstaltung) nicht zu sagen – viel lieber wäre es ihm, Anekdoten über die Gründung von Apple zu erzählen, wie er nach dem Vortrag meinte. Nur auf die unterschiedlichen Funktionsweisen von Computern (seriell) und dem menschlichen Gehirn (Gleichzeitigkeit verschiedenster Vorgänge in unterschiedlichen Bereichen) nahm er kurz Bezug.
Die Rede von Ray Kurzweil war hingegen der Kern der Veranstaltung. Aufgebaut im klassischen amerikanischen Vortragsstil baute er anfangs viele persönlichen Anmerkungen über seine Familie und seine Kindheit ein um dann immer weiter in das Thema hinein zu führen. Mit sehr anschaulichen Beispielen und spacigen Diagrammen zog er das Publikum in seine Theorie von der bevorstehenden Verschmelzung von Mensch und Technologie. (Was wieder einmal zu der tragischen Erkenntnis führt, dass im österreichischen Bildungssystem die Vermittlung von Rhetorik eine untergeordnete Rolle spielt, was uns zu einem ziemlich leichtgläubigen Publikum werden lässt.)
Kurzweils Thesen selbst drehen sich hauptsächlich um das exponentielle Wachstum von allem, was mit Informationstechnoligie (IT) zu tun hat. Die These vom ewigen Verdoppeln hat laut Kurzweil seit 1890 bestand (also dem ersten Einsatz von Rechenmaschinen für die amerikanische Volkszählung), hat fünf Paradigmen durchgestanden und ist demnach auch wesentlich älter als das bekannte Moore’s Law aus dem Jahr 1965 (der Speicherplatz von Chips verdoppelt sich alle 24 Monate).
Was für unsere persönliche, menschliche Zukunft aber einscheidend ist, ist Kurzweils These, dass die Medizin sich gerade zu einer IT entwickelt, was riesige Sprünge in den nächsten Jahren impiziert. Ein fast schon alter Hut der dystopischen Weltanschauung ist ja das Re-Design der menschlichen Gene (der Film Gattaca ist hier zu empfehlen). Kurzweils Beispiel: wozu brauchen wir überhaupt das Gen, das Zellen befiehlt Fett zu speichern, das könnte man ja genausogut ausschalten. Immerhin sei er sich ganz sicher, dass er morgen wieder zu Essen haben werde. Dass er damit natürlich große Teile des Publikums auf seine Seite zieht, ist bei der generellen Fettarschigkeit, die ihr Unwesen treibt, klar. Aber dennoch muss man sich fragen: Hat er sie noch alle? Die menschliche Evolution hat Millionen von Jahre gedauert, in denen sich einige Eigenschaften als vorteilhaft erwiesen haben, andere sind hingegen ausgestorben. Ist es da also eine gute Idee in einer kurzen Phase des Wohlstands, der außerdem nur einen Teil der Weltbevölkerung betrifft, solche Schritte zu setzen, die massiv ins Menschsein eingreifen und sich auf alle weiteren Generationen übertragen? Hier scheint der Zufall, der uns weiterleben ließ, die attraktivere Lösung zu sein.
Nach einer Frage aus dem Publikum über die Gefahren von Technologie, verwies Kurzweil auf die Relinguishing Movement („Let’s just not do it!“), nur um gleich gegen sie zu argumentieren. Drei Gründe sprächen dagegen die Technologieentwicklung zu stoppen: Erstens: Es gibt Leid auf der Welt, das seiner Meinung nach nur durch Technologie gelindert werden kann. Zweitens: Ein Verbot der Technologie könnte nur durch eine totalitäre, unfreie Regierung durchgesetzt werden. Und drittens: Es würde trotz eines Verbots Technologieforschung im Untergrund geben, und dann käme sie erst recht in die falschen Hände.
Wenn man wie Kurzweil behauptet, dass der Mensch immer der Herr über die Maschinen bleiben wird, sollte vielleicht folgende Überlegung in Betracht gezogen werden: Der Mensch ist der Große Anpasser – es liegt in unserer Natur uns der jeweiligen Lebenssituation zu fügen. Und genau das ist es was auch mit der Technologie passiert. Wir sind es, die uns anpassen, nicht die Maschinen. Wir sind diejenigen, die die Kompromisse machen.
Auch Kurzweils Kommentare zum Thema Arbeit waren zweischneidig. Jobs am unteren Ende der Leiter würden wegfallen, während am oberen Ende welche dazukämen. Was wird aus den Jobs, wenn Menschen dreihundert Jahre (nach einer Prognose von Kurzweil ist die Medizin in 25 Jahren so weit, dass Menschen dieses Alter erreichen können) alt werden? In einer Mischung aus Zynismus und ernst gemeintem Optimismus, erklärte er, dass Menschen in Zukunft nur noch das arbeiten würden, was sie wollen. Manche Dinge klingen einfach zu gut um wahr zu sein. In diesem Fall ist das augenscheinliche Problem, dass seine Ausführungen auf der Technologie und ihrer unhinterfragten Nutzung basieren. Prometheus brachte uns das Feuer und wir sind vielleicht gerade dabei uns damit zu verbrennen. Mit der Technologie ist es also wie mit der Religion oder dem Kommunismus: Ganz nett, solange sie keine Macht hat.
Steve Wozniak überraschte bei der anschließenden Publikumsdiskussion mit seiner kritischen Einstellung gegenüber der Polizei. Er kritisierte, dass man in vielen Staaten der USA die Polizei nicht filmen darf – vonseiten der Autorität ist Überwachung allerdings Gang und Gebe. Wozniak blickte trotzdem mit einem naiv optimistischen Blick in die Zukunft: Er argumentierte, dass große Teile der Technologie (zum Beispiel auch der Vorläufer des Internet) für das Miltär entwickelt wurden. Heute ginge es aber um consumer products – die leistungsfähigsten Chips würden mittlerweile für Videospiele entwickelt. Die Technologie würde also demokratischer werden.
Diese ursprünglichen Ideen der Internetpioniere über Freiheit und direkte Demokratie sind zwar verlockend, aber im Moment ist der Trend ein anderer. Freiheiten werden vom User für Bequemlichkeit und scheinbare Ordnung aufgegeben. Der Dezentralismus, der das Internet noch vor wenigen Jahren geprägt hat, hat mit Google und Facebook einen Rückschlag erlebt. Dieser wilde Fluss wurde kanalisiert und die Ufer dieses kontrollierten Kanals drohen nun auszutrocknen.
Leider fiel gestern die Publikumsdiskussion extrem kurz aus. Die kritischen Köpfe in den hinteren Reihen kamen kaum zu Wort. Und ein großer Teil der Kritik verliert sich eben in der Gegenwart großer Namen. Sehr, sehr schade, dass ein so unausgewogenes Podium zusammen gestellt wurde. Das Schöne an Veranstaltungen im Parlament ist aber immerhin, dass es danach Unmengen an Bier und Wein gibt – es war ja auch schon nach Mittag.