Abarten des Heranwachsens

Wenn das hässliche Entlein am Ende des Tages gar nicht Ballkönigin werden will, sondern sich dem Sezierbesteck hingibt – »Excision« verbindet Coming-Of-Age-Motive wie Pubertät und Erwachsenwerden mit subtilem Psychodrama und Körperhorror.

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Grellblaue Fliesen. Deformierte Körper. Ein dunkelroter Schwall bricht aus dem Mund heraus. Paulines Fantasien und Träume wirken kalt und steril. Blut ist das immer wiederkehrende Element, das Zentrum der Begierde. Die Vorstadt, in der sich das eigentliche Leben der Protagonistin abspielt, sprüht hingegen überwältigende Melancholie aus. Etwa wie jene Kleinstadt in Virginia, wo der junge Donnie zum ersten Mal auf die dunkle Hasenfratze Frank trifft, die ihm das Ende der Welt prophezeit. Wie »Donnie Darko« (2001) ist auch Richard Bates Jr.’s Schocker »Excision« (2012) ein Regiedebüt.

Und wieder ist es dieses spezielle Umfeld, das Phänomen der schlafenden Vorstadt, in der sich jene Ereignisse langsam wie Wellen aufbäumen können, bevor alles zusammenbricht. Nur die pedantisch gestutzten Hecken lassen auf Leben schließen, bieder und provinziell. Es sind Stille und Fremdartigkeit im eigenen Zuhause, die den Horror ausmachen. Bloß das unaufhörlich schnurspringende Mädchen in Paulines Straße. Ein toter Vogel auf dem Asphalt. Für Pauline ist die Stille Gelegenheit, um in sich hineinzuhören. Was sich vorerst nur in ihrem Kopf abspielt, geht schließlich auch ins Fleischliche über. Sie verfällt ihrer Obsession, der Chirurgie.

Blutreife

»Excision« bedient sich bekannter Motive aus dem Coming-of-Age-Genre. Schon seit dem Bildungsroman, der seinen Ursprung im Deutschland des 18. Jahrhunderts hat, können wir dabei die Entwicklung eines jungen Protagonisten, etwa Goethes Wilhelm Meister, zum Erwachsenen hin miterleben. »Excision« bedient sich dabei einer düsteren Atmosphäre, ähnlich wie »Donnie Darko«. Coming-of-Age-Motive mit Horrorelementen zu verbinden ist dabei keineswegs neu: »A Clockwork Orange« (1971) oder „Carrie“ (1979), jeweils auf Romanvorlagen basierend, haben schon bewiesen, dass diese Kreuzung auch für den Film bestens geeignet ist. Eine zeitgemäß aufpolierte Version von Carrie ist die gescheiterte Ballkönigin Lola aus »The Loved Ones« (2009), die ihrem Date mit Vergnügen ein Loch in die Schädeldecke bohrt, um dann kochendes Wasser durch die Öffnung zu gießen. Der grassierende Torture Porn-Einfluss ist hier sichtbarer als die Coming-of-Age-Ursprünge.

Ganz anders »Excision«, das vom Grundgerüst Sozialdrama ist. Eine Auseinandersetzung mit dem weiblichen Geschlecht stellt persönliche Entfaltung in den Mittelpunkt, auch der Weg zur sexuellen Reife ist ein wichtiger Bestandteil. Im Gegensatz zu Teenie-Komödien à la »American Pie« wird der Kampf mit den Hormonen fortan zugespitzt und ins Abnorme getrieben. Spätestens dann, wenn literweise Menstruationsblut oder Tiereingeweide Pauline in einen Blutrausch versetzen. Mit Identifikationsfiguren wird nach und nach bewusst gebrochen, bemerkenswerterweise bleibt eine etwas befremdliche Sympathie für die Protagonistin aber bis zuletzt bestehen.

Entfaltung statt Glamour

Pauline würde sich als klassisches hässliches Entlein (Anna Lynne McCord brilliert) eignen, das nach bekannten Formeln am Abend des Abschlussballs plötzlich als wunderschöne Ballprinzessin die Treppe hinuntersteigt. Dann wäre die Eingliederung in die Teenie-Elite geschafft. Doch woran Carrie wie Lola zerbrechen, spielt für sie erst gar keine Rolle. Zwar ist auch Pauline konfrontiert mit Schönheitsidealen und Benimmregeln – letztere werden von ihrer kontrollwütigen wie bibelfesten Mutter (Tracy Lords) forciert. Doch Pauline steht dem emanzipiert gegenüber, leidige Rollenbilder werden konsequent aufgebrochen. In »Excision« gibt es keine oberflächliche Verwandlung. Der Film legt gänzlich andere Parameter. Starke Ideale und Individualität stehen im Vordergrund, was dem Regiedebüt von Bates Jr. eine enorme Sogkraft verleiht. Für Pauline gibt es nur ihr Sezierbesteck und den entscheidenden Schnitt.

Das 3. /Slash Filmfestival findet von 20.–30. September im Wiener Filmcasino statt. »Excision« läuft am 24.9. um 20.30 Uhr.

Bild(er) © BXR Productions
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