Die Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« bringt zeitgenössische Arbeiten von Federico Fellini bis Deborah Sengl unter das Chapiteau der Kunsthalle Wien.
Vor der Zeit von Film, Fernsehen und Internet war der Zirkus ein Türöffner zur großen weiten und exotischen Welt. Daher strömte das Publikum auch in die mitgeführten Kuriositäten-Shows menschlicher und tierischer Absonderlichkeiten. Wie ein Abend im Theater auf Geist und Gemüt, so wirkte ein Tag im Zirkus auf die Sinne. In seiner Geschichte hat der Zirkus zahlreiche Wandlungen erfahren: sowohl in seiner äußeren Gestalt – vom festen Zirkusbau über dir Wandermenagerie zum flexiblen Chapiteau bis hin zur Theaterbühne – als auch in der Form seiner Darbietung: vom Pferdetheater über monumentale Pantomime zum Cirque Nouveau. Der Zauber, den die verträumte Welt des Zirkus auf das Publikum ausübt, weht bis ins Heute herüber, auch wenn er manchmal schon leicht modrig riecht. Das Publikum ist anspruchsvoller geworden, es will Sensationelles, in einem viel schnelleren Tempo, auf Youtube-Level. Der Zirkus selbst ist nicht mehr die moderne Form von Massenunterhaltung, die er im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert einmal war. Dennoch gibt es Anzeichen, dass er auch im neuen Jahrtausend in den unterschiedlichsten Sphären kulturell unverändert fest verankert ist, etwa im Film, in der Literatur oder der Bildenden Kunst.
Manegen, Masken, Mutanten
Ein echter Zirkus wird für die Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« in der Kunsthalle nicht nachgebaut, dafür aber ein Zelt aus Glühbirnen. Fasziniert von diesem Mikrokosmos, seinem Satz an Figuren, Schauplätzen und performativen Routinen, haben sich viele Künstler dem Thema gewidmet, so etwa Federico Fellini mit Filmen wie »La Strada« und »I Clowns«. Die fantastischen Kostüme, die Anmut der Artisten und die außergewöhnlichen Attraktionen haben nicht nur Vorlagen für Literatur und Film geliefert, sondern auch für Fotokünstlerinnen wie Rhona Bitner, die zwischen 1994 und 2001 eine Fotoserie von akrobatischen Szenen angefertigt hat.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts zählten auch Absonderlichkeiten wie Kleinwuchs oder besondere Biegsamkeit zum festen Bestandteil des Zirkusprogramms. Die Fotografin Diane Arbus und die Künstlerin Ulrike Ottinger skizzierten in ihren Arbeiten diese Welt der Abnormalitäten. Neben Akrobaten, Jongleuren, Messerwerfern, Feuerschluckern und Dompteuren gehört auch die Figur des Clowns zur Zirkustradition. Seine Opposition zur Perfektion der Artisten und die Vielschichtigkeit der Figuren zwischen Gut und Böse inspiriert Filmkünstler seit langem. Charlie Chaplins Figur des Tramp aus dem Film »The Circus« ist das grandiose Beispiel einer solchen Verkörperung. Zu den aktuelleren Beispielen zählen Arbeiten von Cindy Sherman oder Paul McCarthy.
Neugier, Sensationslust und ein Hauch von Gefahr und Abenteuer locken immer noch die Besucher an. Dabei ist der Zirkus viel mehr als nur ein Ort des Schauens und Staunens, er ist eine Projektionsfläche von Träumen und Sehnsüchten, eine exotische Parallelwelt, um der Realität zu entfliehen … wenn sich im Internet gerade nichts tut.
Die Ausstellung »Parallelwelt Zirkus« ist bis 2. September in der Kunsthalle Wien zu sehen. kunsthallewien.at
Erwin Uhrman macht sich hier Gedanken über Freaks, Außenseiter und menschliche Roboter in der Kunst.
Jonas Vogt macht sich hier Gedanken über Clowns und warum sie niemand mag.
Ein Interview mit dem teilnehmenden Künstler Clifton Childree gibt es hier.