Viel mehr als nur Steel Drums und runtergepitchte Vocals – Jamie xx sampelt auf seinem Debütalbum die gesamte Clubkultur einer Nation.
Über drei Jahre lang hat Jamie xx in Hotelzimmern und Tourbussen Ideen für eigene Songs gesammelt. Ursprünglich war ein Mixtape geplant, es hat sich aber zu seinem ersten Album verdichtet. Um den Kopf für das neue Album von The xx freizubekommen, wie er sagt. Nun könnte man natürlich darauf hinweisen, dass Jamie xx bereits beide Alben von The xx produziert hat, an Produktionen für popmusikalische Schwergewichte wie Drake und Alicia Keys beteiligt war oder ein ganzes Album von Soulpoet Gil Scott-Heron remixt hat, und es wäre wohl auch ein guter Zeitpunkt, um herauszustreichen, dass der 26-jährige Brite derzeit einer der gefragtesten und gleichzeitig zurückhaltendsten Protagonisten der Musikbranche ist. All das braucht es aber gar nicht wirklich, denn In Colour ist so viel mehr als nur eine Ansammlung von großartigen Tracks: Jamies Debütalbum ist eine persönliche Liebeserklärung an die elektronische Tanzmusik.
Subtile Hommage an die UK-Clubkultur
Im Mittelpunkt stehen überwiegend britisch geprägte Subgenres, ja Subkulturen: In Colour ist eine Hommage an Garage, Dubstep, Jungle, Grime und darüber hinaus alles, was in den 1990ern unter den Sammelbegriff Rave Menschen dazu veranlasste, ihre Wochenenden in Londons Kellern und Lagerhäusern durchzutanzen. Jamie legt auf seinem ersten Album seine Einflüsse offen, in Form von teils im Detail versteckten, teils unüberhörbaren Referenzen gleichermaßen wie durch prominent eingesetzte Samples, und verarbeitet so scheinbar mühelos die gesammelten Werke der UK-Clubkultur mit reduzierten, oft frickeligen Beats und subtilen Percussions als kleinstem gemeinsamen Nenner zu einem, ja echt, zeitlosen Meisterwerk.
Auch die eigene musikalische Vergangenheit ist davon nicht ausgenommen: Romy und Oliver Sim, die beiden anderen Bandmitglieder von The xx, leihen insgesamt drei Tracks ihre Stimme. Gewohnt dramatisch, gewohnt verträumt, und dennoch meilenweit von dem Sound entfernt, der The xx berühmt gemacht hat – auch bei den Kollaborationen mit den Bandkollegen steht ohne Zweifel fest, dass es sich hier um ein Solo-Album handelt. Selbst das Cover der Platte wurde von Jamie eigenhändig entworfen, wobei das bunte Farbspektrum nicht nur seine vorherigen Releases und die Diversität des Albums repräsentiert, es fungiert auch als starker Kontrast zum Image der stets in schwarz gekleideten Band mit den in sich gekehrten Songs.
Superlativ für alle Dancefloors
In Colour ist dennoch kein dem reinen Selbstzweck erlegenes Konzeptalbum: Auf der so stimmigen wie vielfältigen Platte bleibt sogar noch Platz für Hits wie die bereits veröffentlichte Single Loud Places oder die kaum in Worte zu fassende Melange aus Barbershop Quartet, Dancehall Vibes und Soul mit dem vielversprechenden Titel "I Know There’s Gonna Be (Good Times)" mit Young Thug und Popcaan – der wohl endgültige Beweis, dass der Begriff Genre in Jamies Wortschatz nicht vorhanden ist. Tatsächlich sind es dann aber doch die instrumentalen Produktionen wie Gosh, Hold Tight oder The Rest Is Noise in denen die musikalische Urgewalt Jamie xx völlig entfesselt in Erscheinung tritt: Rhythmus und Harmonien wechseln mühelos, epochale Melodien in Stadiongröße kontrapunktieren mechanisch-monotone Beats, ein Klavierepos artet in einen Rave aus. Tanzmusik hat mehr Potenzial radikal zu sein, sagt Jamie im Interview mit The Fader, und liefert nun den superlativen Beweis: in Albumlänge, in colour.
In Colour" von Jamie xx erscheint am 29. Mai via Young Turks.