Mit ihrem neuen Spielfilm zollt Anja Salomonowitz der Künstlerin Maria Lassnig Tribut. Eine Erzählung über Gefühle und Körperlichkeit, über Farben und künstlerischen Ausdruck, über Alterslosigkeit und Widerstände.
Zu Lebzeiten war Maria Lassnig die teuerste Malerin Österreichs, sie prägte in der Malerei den Begriff Body Awareness, war zugleich in mehreren Stilrichtungen unterwegs – immer mit Fokus auf sich selbst und ihre Gefühle. Sie war eine Person, die vernachlässigt aufwuchs und es in die große Welt hinaus schaffte, und sie war eine Frau in der männerdominierten Kunstwelt. Anja Salomonowitz war schnell begeistert von der aus Kärnten stammenden Malerin. Ihr Film »Mit einem Tiger schlafen« erzählt nun über deren Leben und Schaffen. In der Hauptrolle: Birgit Minichmayr – und natürlich die Bilder der 2014 verstorbenen Lassnig.
Wann bist du das erste Mal mit Maria Lassnig und ihrer Kunst in Berührung gekommen? Was hast du an ihrer Person und vor allem an ihrem künstlerischen Werk interessant gefunden?
Anja Salomonowitz: Ich kam über die Farben zu ihr. Die Farben ihrer Bilder sind sehr inspirierend. Diese hat sie oft selbst gemischt und sie erfand dabei quasi eigene Farben mit Namen wie Verwesungs-, Eifersuchts- oder Neidfarbe. Über die Farben drückte sie ihre Gefühle aus.
Wie kam es dazu, dass du einen Film über sie gedreht hast?
Zuerst wollte ich ein einen Film über die Logiken des Kunstmarktes drehen, vor allem unter der Prämisse, mir anzuschauen, wer überhaupt daran teilhaben kann, wer berühmt wird und welche Mechanismen da dahinterstecken. Ich wollte diese Logik hinterfragen. Aus dieser Idee wurde jedoch ein völlig anderer Film – und zwar »Dieser Film ist ein Geschenk«. Er ist wesentlich zärtlicher geworden als meine eigentliche Idee. Maria Lassnig ging mir auf jeden Fall nicht mehr aus dem Kopf, sie hat mich regelrecht gecatcht. Ich recherchierte über ihre Lebensgeschichte und sprach über Jahre mit unzähligen Menschen aus ihrem Umfeld, las viel und nahm Kontakt mit der Maria Lassnig Stiftung auf.
Wie ging es dann weiter?
Die Idee, dass Maria Lassnig von nur einer Person dargestellt wird, hatte ich von Beginn an. Bei mir ist es immer so, dass ich schnell nach der Form suche, wie ich ein Thema filmisch übersetze. Am Anfang wollte ich, dass ein Kind Maria Lassnig spielt, aber das habe ich in Gesprächen mit meinem Dramaturgen Roland Zag wieder verworfen, weil man schnell an Grenzen stößt, nicht nur bei Themen wie Sexualität, sondern auch bei bestimmten Gefühlen, die man thematisieren will. Geblieben ist, dass nur eine Person sie darstellen soll. Man sagt über Maria Lassnig, dass sie alterslos war. Zudem kann ich so zeigen, dass die Seele sich durchs Leben schlängelt, dass sie wiedererkennbar ist und sich an keinen Zeiten oder Orten orientiert. Erinnerungen und Gefühle sind ja nicht verankert, das ist ja nur eine Form, die man ist. Diese Form kann nach vorne oder nach hinten gehen. Es ist eine Übersetzung für diesen Gefühlsmoment, den Maria Lassnig auch in ihren Bildern transportieren wollte.
Hat man bei einem Biopic manchmal die Angst, der Person nicht gerecht zu werden?
Genau deshalb ist mein Film ja eigentlich kein Biopic, weil ich dieses »gerecht werden wollen« für einen unerfüllbaren Ansatz halte. Ein Biopic ist doch immer eine Interpretation. Stattdessen habe ich mit meiner filmischen Erzählweise ein inneres Porträt erschaffen, das keinerlei Anspruch auf irgendeine Vollständigkeit einer möglichen Lebensgeschichte vorgibt.
Ich habe mit wirklich vielen Menschen über sie gesprochen. Hans Werner Poschauko, ihr letzter Assistent, erzählte mir zahlreiche witzige Geschichten über sie, Maria Lassnig war nämlich extrem humorvoll. Sie erlebte ja auch viele Enttäuschungen, da konnte sie ihren Humor gut gebrauchen. Sie war eine sehr komplexe Persönlichkeit, die keine Kompromisse eingehen wollte und konnte, die für manche vielleicht schwierig war, aber ein großes Herz hatte – und das spürt man.
Auch Zeitgenoss*innen wie Elfie Semotan treten im Film auf.
Im Film ist Elfie Semotan bei einem Fotoshooting mit Maria Lassnig zu sehen, das sie mir selbst bei meiner Recherche geschildert hatte. Sie fotografierte Lassnig dabei in einem Helmut-Lang-Kleid, das wir extra nachschneidern ließen. Die Szene, in der sie nun selbst im Film spielt, stammt aus ihren Erzählungen. Außerdem meinte sie, dass sie stets dachte, dass Maria Lassnig sie als Konkurrenz sah, weil Maria Lassnig Fotografie als Konkurrenz zur Malerei betrachtete.
Mit welchen Weggefährt*innen von Maria Lassnig hattest du noch bei der Entwicklung des Films zu tun?
Unter anderem habe ich eben Hans Werner Poschauko getroffen. Er ist ein sehr liebevoller Mensch, arbeitet nun in der Maria Lassnig Stiftung und hat Lassnig ganz lange und eng begleitet. Teilweise sind diese Szenen auch im Film und er meinte bei der Sichtung, dass er sich in die jeweilige Zeit zurückversetzen konnte. Das bedeutet mir sehr viel.
Die Galeristin Andrea Teschke wiederum hat mir in New York mehrere lustige Anekdoten erzählt: Als Maria Lassnig einmal nach New York kam und Teschke sie abholte, beschwerte sie sich darüber, warum sie denn im Flugzeug in der ersten Reihe habe sitzen müssen – denn schließlich sterbe man in der ersten Reihe bei einem Unfall doch als Erste. Zum Abschluss ihrer Reise wollte Lassnig Teschke dann zum Essen einladen und ging mit ihr in einen Burgerladen mit Burgern für einen Dollar. Teschke erzählte ihr, dass sie kein Fleisch esse, worauf Lassnig nur meinte, sie könne ja Pommes bestellen. Sie war also etwas knausrig. Aber zugleich machte sie ihr Mut, sich in der männerdominierten Kunstwelt zu behaupten.
Birgit Minichmayr steht im Film als Maria Lassnig natürlich im Fokus. Wusstest du schnell, dass du sie für die Rolle haben wolltest?
Nachdem ich aus New York zurückgekommen war, wo ich eben unter anderem Andrea Teschke getroffen hatte, ging ich in die Albertina, wo Birgit Minichmayr aus Lassnigs Tagebüchern las. Ich hörte ihr zu und dachte: »Die ist es doch!« Ich fragte sie noch an diesem Abend – und sie sagte gleich zu; vor allem, weil ihr die Idee gefiel, Lassnig in unterschiedlichen Altersstufen darzustellen. Wir beide mochten diese Idee sehr, denn sie gab uns die Freiheit für eine Interpretation der Figur Maria Lassnig. Mein Ziel war eben kein »normales« Biopic, wir wollten uns von den gängigen Vorstellungen befreien. Wir wollten in diese Gefühlswelt hineinkippen.
Du hast sowohl mit Lai*innen als auch mit professionellen Darsteller*innen gedreht. Warum?
Meine wahnsinnig tolle Casterin Lisa Oláh hat meine Entscheidung, mehrere Rollen mit »echten« Menschen zu besetzen, respektiert und gewürdigt. Die Laiendarsteller*innen, spielen sich teilweise selbst. Sie repräsentieren quasi diese »echte Welt«. Die Leute wurden allerdings schon gecastet, damit wir uns anschauen konnten, inwiefern sie schauspielerisches Talent mitbringen. Maria Lassnig lebte sehr zurückgezogen und war in sich gekehrt. Ich denke, sie nahm daher die Welt ganz anders wahr, auch weil sie hochsensibel war – in Bezug auf Geräusche, Gefühle und ihren Körper. Dieser Abstand zwischen ihr und der Welt vergrößert sich nun im Film, wenn eine großartige Darstellerin wie Birgit Minichmayr auf Laiendarsteller*innen trifft – wobei man das ja hoffentlich nur in Nuancen wahrnimmt, die eben etwas verrücken.
Ich fand es aber auch einfach nur richtig, die Menschen, die ich mir beim Drehbuch schreiben vorgestellt habe, sich selbst spielen zu lassen. Diese Welt mit einzubeziehen.
Wie kam es dazu, dass der junge Musiker Oskar Haag als Arnulf Rainer gecastet wurde?
Oskar Haag wurde von Lisa Oláh vorgeschlagen, davor hatte er bereits kleinere Rollen. Ich finde, er hat das sehr gut gemacht. Als wir die Szene probten, in der er als Arnulf Rainer das Publikum beschimpft, meinte ich zu ihm, dass er mal mit eigenen Worten schimpfen soll, woraufhin er loslegte mit: »Frau Professor, sie geben uns immer so viel Latein-Hausübung, das ärgert uns alle!« In dem Moment ist mir wieder klargeworden, dass er 16 Jahre alt ist und noch in die Schule geht.
Wie bist du beim Schreiben des Drehbuchs vorgegangen?
Am Drehbuch habe ich über fünf Jahre lang geschrieben und ich habe mich dabei intensiv mit Lassnigs Tagebüchern befasst. Die sind so innerlich, so großartig. Natürlich habe ich mich immer gefragt, wie man an sie herangehen, wie man von ihr erzählen kann, schlussendlich fand ich meine eigene erzählerische Form. Wobei an manchen Stellen dokumentarische Einflüsse bestehen geblieben sind. Das Drehbuch hatte extrem viele Formen und es gab viele Wendungen. Ich achtete darauf, im Gefühl zu bleiben, aber die Details sollten dennoch stimmen. Die Szenen habe ich aus Erzählungen heraus erfunden.
Der Film behandelt mehrere Themen, unter anderem die Gefühlswelt der Malerin, ihre Bemühungen, in einer männerdominierten Arbeitswelt zu bestehen, ihr Aufwachsen und die Beziehung zu ihrer Mutter.
Die männlich dominierte Kunstwelt begleitete sie ihr ganzes Leben lang. Im Film gibt es ja die Szene mit der Ausstellung der »Hundsgruppe«, wo der ein Besucher zu ihr sagt: »Du bist doch die Freundin vom Rainer, gell?« Das habe ich natürlich erfunden, es soll zeigen, wie sie als sein Anhängsel wahrgenommen wurde. In der Galerie nächst St. Stephan des Kurators Otto Mauer hingen Bilder von ihren Zeitgenossen, da erkannte sie, wie Männerbünde um sie herum sie ausschließen. Später bekam sie auch eine Ausstellung dort – für die Einladungskarte malte sie sich einen falschen Bart auf und schrieb »Mario Lassnig« darunter. Das war mitunter ihre Art, dieser Männerdominanz zu begegnen. Sie musste immer in der männerdominierten Kunstwelt bestehen, später nutzte sie diese Männerdominanz auch. Sie fokussierte sich auf junge, aufstrebende Kuratoren, die ihr halfen, ihre Kunst zu präsentieren und groß zu machen, wie etwa Peter Pakesch oder Hans Ulrich Obrist.
Was hast du von ihrem Aufwachsen mitgenommen?
Sie war ein uneheliches Kind, das gab es in Kärnten damals sehr oft. Ihre Mutter sagte zu ihr – das steht so in ihrem Tagebuch –, dass ihr Vater sie verlassen habe, weil sie so ein hässliches Baby gewesen sei. Ihre Mutter gab ihr quasi die Schuld daran. Später heiratete die Mutter einen Bäckermeister und Lassnig kam zu ihrer Großmutter, einer Bäuerin, die weder schreiben noch lesen konnte. Dort verbrachte sie ihre ersten sechs Jahre, sie war also ein Bauernkind. Ihre Geschichte ist die Geschichte einer Selbstermächtigung, einer Emanzipation in der Kunst. Es ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte, in der es aber auch Umwege, Horrorszenarien und Abgründe gab, letztendlich hat sie es allerdings geschafft.
Ich möchte gerne noch über das Thema der Körperlichkeit im Film sprechen, weil es auch in Maria Lessings Werken stark zum Tragen kommt. Wie wolltest du das im Film transportieren?
Lassnig malte ihre Gefühle aus sich heraus. Mir wurde erzählt, dass sie täglich in ihr Atelier ging und mehrere Stunden in ihrem Sessel Platz nahm und in sich hineinspürte. Auf vielen Bildern hat sie etwa keine Haare und sie meinte, dass sie eben ihre Haarwurzeln nicht spüre, daher male sie diese nie. Oder ihre Wangen waren rot, weil ihr heiß war oder auf einem anderen Bild fehlt ihr ein Arm, weil sie diesen in diesem Moment nicht spüren konnte. Dieser innerliche, kreative Moment, das hat mich interessiert. Sie gab sich diesem Bewusstseinsstrom hin und suchte nach Ideen. Man begibt sich in solchen Momenten in eine Sphäre, wo man nachher nicht mehr weiß, woher die Idee nun eigentlich kam. Sie malte ihre Bilder dann aus dem Moment heraus – und das relativ schnell. Birgit meinte zu mir, dass sie sich jedes Mal ein konkretes Bild vorgestellt habe, wenn wir den Stuhl gedreht haben.
Neben dem Thema der Körperlichkeit fand ich auch den Aspekt der Farben im Film bedeutend.
In unserem Konzept wollten wir den Hintergrund weiß halten, entweder ein reines Weiß wie in einer Galerie oder ein schmutziges wie in ihrem Atelier. Man sollte das Gefühl haben, dass die Basis weiß ist und dank der Ausstattung, den Kostümen sowie den Bildern die Farben wieder zurückgebracht werden. Tanja Hausner war für das Kostüm zuständig und alles ist Maria Lassnigs Kleidung nachempfunden. Sie war wirklich so angezogen, sie legte viel Wert auf ihre Kleidung. Natürlich haben uns auch ihre Bilder inspiriert. So malte sie etwa während ihres Aufenthalts in New York viel mit Türkis, weil die Farbe sie an den Wörthersee erinnerte, daher gestalteten wir die Szene in New York auch in Türkis.
Auch Maria Lassnigs Bilder selbst haben eine bedeutende Rolle im Film. Sie werden zwischen den Szenen gezeigt. Wie erfolgte hier die Auswahl?
Nach Gefühl. (lacht) Schließlich wollte ich sowohl bekannte Bilder von ihr inkludieren als auch solche, die ihren Werdegang symbolisieren. Maria Lassnig ist zwar für ihre Body-Awareness-Bilder bekannt, aber sie probierte sich in vielen Stilen aus. Ihr Hauptaugenmerk war dabei stets ihr Inneres.
Dein nächster Film behandelt die ukrainische Aktivistin Inna Schewtschenko. Kannst du uns dazu schon etwas verraten?
Ich mache einen politischen Dokumentarfilm über sie. Inna Schewtschenko ist eine der prominenten Gründerinnen der aktivistischen Performancegruppe Femen, deren Mitglieder ihre Körper einsetzen, um gegen Missstände zu protestieren. Anfangs protestierten sie mit Schildern, doch die Journalist*innen beschnitten die Fotos so, dass nur mehr die Gesichter und Körper zu sehen waren, nicht ihre Slogans. Daher beschloss die Gruppe, ihre Botschaften einfach auf ihren Oberkörpern zu präsentieren, damit sie nicht weggeschnitten werden können. Damit hatten sie sehr schnell sehr viel Erfolg. Brüste werden in den Medien gerne gezeigt, aber so waren gleichzeitig immerhin ihre Anliegen – wie »Fuck Putin« – zu sehen. Ich begann 2018 zu drehen und wollte anfangs einen Film über Innas Geschichte und Taktik machen, aber der Film ist nun viel persönlicher und weitreichender geworden. Sie wurde gefoltert, war schwanger, bekam ein Kind, der Krieg gegen die Ukraine begann, sie wurde oft enttäuscht. Der Film ist bunt, emotional, berührend und erzählt auch viel über Aktivismus. Ich kann noch nicht sagen, wann er erscheinen wird. Meine Cutterin aus Barcelona wird demnächst zu arbeiten beginnen. Sie meint, sie brauche acht Wochen dafür. Ich glaube, sie irrt sich.
Der Film »Mit einem Tiger schlafen« von Anja Salomonowitz ist seit 12. April 2024 in den österreichischen Kinos zu sehen.