assbiting toiletpaper #7

ssbiting toiletpaper abroad, Teil 3: Mehr Kultur in Ise und ein unsichtbarer Fuji. Davor aber zarte Erinnerungen an Osaka und Widerkehr des klassischen Kulturverständniskonflikts.

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Der Läufer

Bevor diese Reise-per-Proxy für Dich, den geneigten Leser oder die geneigte Leserin, weitergehen kann, möchte ich einige Kilometer umkehren und nochmal in Osaka verweilen. Das ultimative Bild, mit dem man Osaka vielleicht umschreiben kann ist eine Werbung. Von einer japanischen Firma namens Glico, genauer gesagt Ezaki Glico. An der Ebisubashi in Osaka ist diese Werbung unübersehbar. Sie ist mittlerweile schon über 74 Jahre alt. Darauf: ein überdimensionaler Leichtathlet, ein Läufer. Und die Werbung sagt uns, dass dieser Läufer 300 Meter in Bestzeit gelaufen ist. Und dabei hat er genau so viele Kalorien verbraucht, wie ein Glico-Caramel hat. Ursprünglich wohl einfach gute Werbung. Aber dieses gigantische, statuenhafte Bildnis inmitten des geschäftigsten Teiles der Stadt ist jetzt etwas anderes. Aus der ursprünglichen Intention wurde im Lauf der Zeit ein Art Meta-Intention geboren. Daraus wiederum entstand etwas, dass wir im deutschen Sprachgebrauch „Sinnbild“ nennen. Ein treffenderes Wort kann es wohl nicht geben. Ein Bild, mit Sinn – ein definierbarer Zweck, eine umreissbare Bedeutung, sowohl im spezifischen, wie auch im globalen Zusammenhang.

Sinnbildlich glorreich

Der Läufer eilt also nicht mehr nur für Glico über die Ziellinie, sein sportlicher Eifer dient einer ganzen Stadt als Verkörperung eines Lebensgefühls. In Osaka heisst das Erfolg, Zielstrebigkeit, unternehmerischer Geist und industrieller Tatendrang. Zumindest war es so in den 1980ern, als Osaka noch eine der wichtigsten industriellen Zentren Japans war. Die Stadt ist noch nicht von der Bildfläche verschwunden, das nicht, aber sie hat bei weitem nicht mehr den Stellenwert, den sie in vergangenen Jahrzehnten einnehmen durfte. Ist das die Ansicht eines Aussenseiters, der flüchtig durch eine lebendige Stadt eilte, wenig Zeit dort verbrachte? Unser Austausch mit den dort ansässigen Menschen war kurz, wenn auch freundlich und unterhaltsam. Auf jeden Fall eher oberflächlich, trotz einer gemeinsamen Vorliebe für angeschwärzten Humor. [1]

Dem Bild eine Welt

Selbstverständlich ist das nur der Eindruck eines Uneingeweihten. Aber dieses haushohe Läuferbild, nun, es steht da mitten in der Stadt. Ohne Erklärung, aber für jederman sichtbar, egal ob verweilend oder passierend. Osaka hat, ob mit Vorsatz oder nicht, eine Ikone gewählt, mit der sie sich der Welt gegenüber präsentiert. Take it or leave it. Trotzdem ist der flüchtige Eindruck natürlich unvollständig. Hinter dem Gezeigten existiert ein Universum an Individuellem, Speziellem, Besonderem, Entdeckbarem und Signifikantem. Nur dort, in jener Welt, wird Osaka für den Einzelnen bedeutsam. Zuvor ist sie, wie sie sich zeigt. Wir haben sie ein kleines bisschen erleben dürfen. Und wir mögen Osaka. Aber genug von latent melancholischen Gehirnmäandern, hin zu japanischem Kulturwahn.

Ise-liert

In Ise gibt es einen der drei heiligsten Shintoschreine Japans, den „Ise Grand Shrine“, der alle 20 Jahre komplett neu gebaut wird. Oder eigentlich nicht wirklich zu sehen, sondern nur zu erahnen, weil man als touristischer Gast nur ausserhalb der schützenden Zäune, im waldähnlichen Garten, herumflanieren darf. Und von dort kann man gerade mal einen Holzgiebel oder ein Strohdach erspähen, mehr nicht. Ise ist überhaupt ein wenig eigenbrötlerisch. Die Menschen dort sind zwar freundlich, unser ryokan war hübsch und hatte Geschichte, aber irgendwie ist Ise ein abgeschottetes Kaff. Vorteile eines Kaffs: Ruhe, tolle Sonnenuntergänge, die zuvor benannten freundlichen Menschen und tollen ryokans. Konkreter Nachteil: immense Schwierigkeiten sich am kleinen Bahnhof Tickets für die Fahrt zum Fuji-san zu besorgen, wenn man des Japanischen nicht mächtig ist. Noch mehr als in anderen Städten, in denen wir waren. Hinzu kommt, dass man sich dort gelegentlich wie ein Marsmännchen vorkommt. Zum Beispiel im nahegelegenen Futami, wo man die „Wedded Rocks“ besichtigen kann. Unter den nicht wenigen Touristen, schienen wir die einzigen zu sein, die sichtlich keine Japaner waren. [2] In Ise selbst sind wir eigentlich ausschliesslich Japanern begegnet. Allesamt sehr freundlich und höflich. [3]

Der scheue Fuji

Gar nicht besonders freundlich hat sich Fuji-san uns gegenüber verhalten. Er hat sich nämlich die meiste Zeit in dicke Nebel- und Wolkenschwaden gehüllt. Wenn er sich mal gezeigt hat, dann gerade mal eben für ein paar Minuten. Gemeinheit. Andererseits konnten wir ihn auch gut verstehen, hatte er doch gerade eine volle Hauptsaison hinter sich und wohl überhaupt keinen Bock mehr sich neugierigen Gaffern noch weiter zur Schau stellen zu müssen. Armer, überarbeiteter Fuji-san. Stattdessen haben wir unsere Zeit dann an zwei der fünf umliegenden Seen verbracht. Die weltbeste Reisepartnerin der Welt konnte dort starke Ähnlichkeiten mit nord-us-amerikanischen [4] Gegenden feststellen, die ich zumindest vom Eindruck her bestätigen kann. Die herzhaft geschmacklose Architektur der die Seen umgebenden Hotels und Restaurants bereitete uns allerdings etwas Kopfzerbrechen: Waren diese Imitate europäischer Designabscheulichkeiten für japanische Gäste gedacht, die gerne die Illusion eines Urlaubs ausserhalb Japans pflegen, oder aber sollten sie ausländische Gäste anlocken, die auch in Japan nicht auf gewohnte Hässlichkeiten verzichten wollten? Die Antwort darauf konnten wir noch nicht ergründen.

Dem Ende entgegen

Unsere Japantour näherte sich dem Ende. Noch ein kurzer Stop in Nikko, der Apotheose Japans (für mich und im Rahmen dieser Reise zumindest) und noch ein paar Tage Tokyo, dann ging es schon wieder nach Hause. Zu lesen im nächsten und zugleich letzten Teil von assbiting toiletpaper abroad.

Krosser Zander

Nuri „werwolf“ Nurbachsch

[1] Der japanische Humor ist mir ja nur peripher durch Mangas und Animes bekannt. Direkten Kontakt mit, zum Beispiel, japanischer Kleinkunst oder Satire hatte ich noch nicht. Zumindest nicht wissentlich. Im Fernsehen konnten wir zwar mal etwas ansehen, was wohl das japanische Equivalent zu Stadlkomödientheater war, mit vielen Kallauern und Slapstick, aber wir können nur hoffen, dass das nicht die beliebteste Spielart des Humors in Japan ist.

[2] Wir sind nur einer anderen Person begegnet, die wir äusserlich gleich als ausländischen Touristen erkennen konnten. Er passierte uns auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Das war allerdings schon Event genug, dass wir ein freundliches Nicken und Lächeln austauschen mussten.

[3] Äusserst positiv in Erinnerung geblieben: unsere ryokan Wirtin, mit ihren Killerbodybuidlerwaden, eiserner 70ies-Locken-Frisur und beschämend freundlichen Natur; und eine entzückende, alte Imbissbetreiberin, die uns unsere köstlichen Speisen zubereitete, während sie sich eine japanische soap opera ansah.

[4] Der Eigentümer unseres ryokans beim Fuji war einer jener Japaner, die man auch in einem Film, wie Karate Kid vermuten würde. Anscheinend recht viel Zeit in den USA verbracht, sehr westlich orientiert, aber darum bemüht japanische Kultur fortzuführen. Angenehmer Zeitgenosse, wenn auch etwas eigen.

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