„Das Au ist ein experimenteller Raum“

Zwischen Ottakringer Straße und Yppenplatz hält sich tapfer ein Lokal, das weder zur einen noch zur anderen Adresse richtig passen will und sich doch immer wieder einmischt: Das Au feiert heuer seinen fünften Geburtstag. Begründer Michael Podgorac und sein Kollege Jan Bruckschwaiger erzählen The Gap von Schutt und Schweiß, Burnout und Behörden, Freunden und Faschos.

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© Graffito: LUNAR | Foto: zigutamve

Hinter dem Yppenplatz ist nur noch Ottacrime. Oder etwa nicht? Ein verwinkeltes, außen bunt bemaltes Lokal in der hintersten Ecke der Ottakringer Brunnengasse begeht heuer seinen fünften Geburtstag: Das Au wurde im September 2012 gegründet. Es versteht sich seither nicht nur als Konzertbühne oder Beisl. Es bildet vielmehr einen subkulturellen Gegenpol zum nahe gelegenen Yppenplatz. Dadurch ist es, obwohl verschiedenste Menschen aus Ex-Jugoslawien hier vorbeischauen, auch kein typisches Balkanmeilen-Lokal. Und doch ist dieser Einfluss hier sichtbar und zu hören: Mit vergilbten Seiten aus Alan-Ford-Comics in serbokroatischer Ausgabe wurde eine Klotür tapeziert; vor dem Club sitzen zwei dicke Kroaten, der eine mit Gewichtheber-Schnauzbart, der andere mit einem abstehenden Haarkranz, Marke Stromschlag. Ein Ur-Wiener mit Halbglatze freut sich über das Biokistl, das er einmal wöchentlich im Au abholt. Ein elegant gekleideter Brite grüßt die Gäste und Lokalbetreiber.

Wir haben im August den Gründer des Au Michael Podgorac und seinen Mitstreiter Jan Burckschwaiger getroffen und mit ihnen über die kurze, aber engagierte Geschichte des Au gesprochen. Oder ist es die Au?

Im Au herrscht bewusst kein Konsumzwang. Wovon lebt euer Club? Wie viel Liebe, Schweiß und Blut stecken in diesen Mauern?

Michael: Also von meiner Seite, ich hab alles hier rein gegeben, den letzten Funken Atomkraft.

Jan: Total ausgebrannt.

Michael (Schmunzelt.): Genau, ich bin ausgebrannt, chronisch müde und fix und fertig und erschöpft.

Jan: Nach der Geburtstagsfeier machen wir zu.

Michael: Na, wirklich, ohne Spaß. Nur so ist das möglich. Aber natürlich war da nicht nur ich. Mehrere Leute haben da mitgemacht von Anfang an. Das waren wirklich unglaublich viele unbezahlte Stunden. Ich habe den Schlüssel damals im April bekommen, aufgesperrt haben wir im September. Fünf Monate haben wir da nur Baustelle gehabt. Und jeden Tag sind drei, vier, fünf, manchmal zehn Leute da gewesen, die stundenlang was gemacht haben.

Es gibt immer noch ein paar Säcke mit Schutt hinten. Vor uns war ein Gastarbeiter-Verein hier drinnen. Da haben wir erstmal alle Räume bis auf die nackte Mauer abgeklopft, oder im ersten Raum, allein hier waren drei Schichten Fliesen drin. Die oberste sah aus wie da am Eingang. Also, wir fangen an und dann sehen wir die zweite Schicht und denken uns nur „Scheiße!“. Sieben Tage lang haben wir nichts anderes gemacht, als Fliesen mit dem Meißel abzuklopfen, für alle Schichten haben wir ganze vier Wochen gebraucht.

Im ersten Raum gab es auch eine riesige Bar, und Spiegel und Podeste. Allein da haben wir zwei Monate lang aufgeräumt.

„Biotop und Wasserpflanzen“ – Vorher-Nachher-Blick in den Innenhof. © Foto: AU auf Facebook

Podeste und Spiegel – das klingt eher nach Swingerclub als Gastarbeiter-Lokal.

Michael: Ja, weißt eh, davor war halt zwanzig Jahre lang normaler Lokalbetrieb, die Besitzer haben oft gewechselt und jeder hat einfach neuen Rigips, neue Fliesen, neue Spiegel drauf gegeben überall. Der Vorraum war überhaupt kein Raum, sondern nur ein Durchgang zwischen Bar und Podesten und Spiegeln. Nach fünf Monaten begann dann die echte Arbeit.

Jan: Ich glaube, ein wichtiges Stichwort ist auch Aspirationsfeld, also dass unglaublich viele Leute, die Kunst machen, Musik machen, im Bekannten-, Freundeskreis involviert sind, eigene Veranstaltungen hosten und Ideen einbringen – das ist auch ein Aspekt, von dem das Ganze lebt. Wenn du sagst, Luft und Liebe, dann sind das vor allem die Seiten-Interessen von Menschen und anderen Projekten, die diesen Raum benutzen und mit uns zusammenarbeiten.

Passt dieser klassische Club-Begriff überhaupt zu euch?

Michael: Ich würde sagen, wir sind überhaupt kein klassischer Club, eben durch diese Manifestationen, die hier täglich passieren. Im Vergleich zu anderen Clubs kreieren wir hier ständig etwas, was überhaupt nicht innerhalb dieser Räume bleibt, sondern sich in der ganzen Stadt äußert, verbreitet.

In unserer Philosophie sind wir, und das sieht man an diesen Manifestationen und Kreationen, oft gegen Kapitalismus. Das ist überhaupt nicht typisch für Clubs heutzutage. Diese klassischen Underground-Clubs sind das ja nur am Anfang, mit der Zeit merkt man – das Flex und das Fluc sind da gute Beispiele –, also eigentlich alle Underground-Clubs in Wien sind mit der Zeit irgendwie immer weniger underground und mehr kommerziell geworden. Das kann man verstehen, aber wir halten immer noch durch. Wir sind eben untypisch in dem Sinne, dass wir keinen Konsumzwang haben, keinen Eintritt nehmen, dass wir keinen Backstage- und VIP-Bereich haben, keine Miete verlangen.

Jan: Und dass man eigentlich alles mit dem Raum machen kann. Wir sind kein ausschließlicher Konzert-Club, kein Club nur für Tanzveranstaltungen, nein. Wir sind ein Club mit einem offenen Raum für alles, was möglich ist.

Straight Mickey and the Boys just finished their concert….

Posted by AU on Donnerstag, 24. November 2016

 

Michael: Das Au ist ein experimenteller Raum. Das ist die beste Bezeichnung, glaube ich. Hier ist jeder willkommen und gleichberechtigt. Gerade weil wir diesen Aspirationen Raum geben, aber auch diese Clubstruktur haben, mit Veranstaltungen, die anderswo ebenso stattfinden, helfen wir mit, diese utopischen Gesellschaft mit aufzubauen.

Wieso war es vor fünf Jahren nötig, das Au in dieser Form aufzuziehen?

Jan: Nötig ist so ein komischer Begriff. Ob’s nötig gewesen wär‘?

Michael: Na ja, es war so: vorm Au habe ich mit meinem eigenen Verein, den ich vor zwölf Jahren gegründet habe, ständig eigene Veranstaltungen in Wien gemacht, Kultur-Manifestationen. Das Problem war immer, eine Location zu finden und Miete zu zahlen. Jede Location hat, obwohl wir ein gemeinnütziger Verein sind und keinen Profit davon hatten, mindestens 300 Euro Miete von uns verlangt. Das hat mich immer genervt und es war nicht nur das: Man muss Künstler, Tontechniker, Security bezahlen, selbst an der Kassa stehen und entweder Spenden oder Eintritt verlangen. Abgesehen davon muss man sich noch um das gesamte Marketing, Promotion, Übernachtungen und Hosting kümmern.

Jan: Allein geht das gar nicht, zu zweit ist es auch schon schwer.

Michael: Genau. Nach ein paar Jahren haben wir angefangen darüber zu reden, wie super es wäre, wenn wir unsere eigene Location hätten. Da zahlen wir zwar auch Miete, haben den Raum dann aber jeden Tag und man kann entweder etwas spontanes oder etwas regelmäßiges machen. Dann habe ich über einen Freund erfahren, dass dieses Lokal hier seit Monaten zu ist und es war optimal. Die ganze Infrastruktur war schon da, Lüftung, WC, quasi alles, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Und das hat irgendwie gut geklappt.

Ich erinnere mich, wir waren am Anfang so ein Ex-YU-Community-Lokal. (Lacht.) Da gab es dann auch verschiedene Theorien, was „Au“ überhaupt bedeutet. Sogar österreichische Ustasche waren wir für manche, also eben A-U Austrijske Ustaše.

Die Hausverwaltung wollte aber keinen Mietvertrag mit einem Verein abschließen, also konnte das Au kein Vereinslokal sein. Der Vermieter dachte, er müsste sich dann mit Vereinsanwälten treffen, statt einer konkret haftbaren Einzelperson. Das zweite Problem war, dass man in einem Vereinslokal keine Bar betreiben darf. Warum? Ein gemeinnütziger Verein darf nur 90.000 Euro im Jahr Geldverkehr haben. Alles darüber ist steuerpflichtig. Dabei haben wir schon Fixkosten von so 32.000 Euro im Jahr, 2.200 Euro kostet die Miete im Monat. Wenn man dann alle anderen Kosten dazu zählt, sind wir automatisch über 90.000 Euro jährlich.

Dann habe ich einfach diese Konzession gemacht, den Gastro-Gewerbeschein. Jetzt hafte ich quasi für alles, hundertprozentig. Ich hab am Anfang immer Spaß gemacht: Normalerweise werden solche Vereine gegründet, um Geld zu waschen. Ich bin das Gegenteil: Ich bin der Utopistische-Ideen-Wäscher. Aber es macht mir Spaß.

Jan: Der Vereinswäscher.

utopie © hannes.a.schwetz auf flickr (CC BY-SA 2.0).

Welchen Herausforderungen habt ihr euch in den vergangenen Jahren noch stellen müssen?

Michael: Ich habe immer wieder Probleme mit der Bürokratie und Gesetzen gehabt. Es gibt über 38 Befunde, Genehmigungen und Bewilligungen und keine Ahnung, wie das alles heißt, was wir für das Au brauchen. Es ist einfach irre. Jedes Jahr musst du alles updaten, manche von den Bewilligungen gelten ein Jahr, manche zwei Jahre, manche vier Jahre. Und immer kommen irgendwelche Tochterfirmen der Stadt Wien, die ein Zertifikat dafür haben, checken das ab, kommen, machen nichts, stempeln das ab, kassieren eine Menge Geld. Das macht alles einfach dreimal so schwer. In den ersten zwei, drei Jahren habe ich persönlich nichts von dem geschafft, was ich auf meiner To-Do-List hatte, sondern nur Gesetze befolgt, bin ins Magistrat 38, Magistrat 22, 28, 26 gerannt.

Nach fünf Jahren habe ich mich dran gewöhnt, es hat sich eingespielt. Ich weiß jetzt, okay, im Sommer habe ich diese Fluchtweg-Befunde zu aktualisieren und im September die Therme, Lüftung, Heizung, bla, bla, bla. Aber vor zwei, drei Jahren war ich wirklich kurz vor dem Burnout. Es waren eben auch viele Kontrollen und die machen eben Druck.

Ich meine, ich verstehe es schon, manche Gesetze machen wirklich Sinn und sind gut. Man muss natürlich ein Auge darauf haben, wie viele Besucher da sind. Sagen wir, du hast eine Zulassung für Hausnummer 140 Leute und dann kommen 150. Da gibt’s dann keine Luft mehr. Da machen dann auch ein Notausgang, Fluchtwege keinen Sinn mehr.

 

Sara Vizy: Fragments of Illusion. Ausstellung im AU am 14.2.2014. © Foto: zigutamve

Dann reden wir über etwas schönes. Wie oft wechselt die Kunst im Vorraum?

Michael: Die Galerie war eines jener Projekte, die wir von Anfang an umsetzen wollten. Damals, als ich das Konzept für das Au zu schreiben begonnen habe, war auch die Idee, einen Artist-in-Residence da zu haben jeden Monat. Es gibt hinten beim Garten noch einen Lagerraum, wo man drin wohnen und ein Atelier haben kann. Die Idee war, dort einen Künstler aus dem Ausland einzuladen, der einen Monat lang was kreiert und vor Ort ausstellt. Das hat dann aber aus finanziellen Gründen leider nicht geklappt.

Du hättest also jetzt nicht extra noch eine Hoteliers-Genehmigung gebraucht, um die Künstler in dem Lagerraum unterzubringen?

Michael: Wer weiß, das vielleicht auch. Eigentlich war eben das Finanzielle im Vordergrund. Ich habe heute noch Schulden von den ganzen Investitionen am Anfang.

Aber der Raum hat sich als Galerie ganz gut etabliert. Für mich ist das sogar das Beste am Au, dass wir wirklich regelmäßig seit fünf Jahren alle zwei Wochen wechselnde Ausstellungen haben. So sind schon ein paar hundert Ausstellungen zusammengekommen. Und eigentlich gibt es keine Konditionen, wir verlangen auch keine Provision, wenn ein Bild verkauft wird. Für die Aussteller ist das angenehm, wir haben jeden Abend Publikum, das wird gesehen.

Wanderausstellung: “Branko Andric: Kunst im Zwischenraum”, August 2013. © Foto: zigutamve

Jan: Wir können halt im Gegenzug auch keine Versicherungskosten übernehmen.

Michael: Ja, aber dafür machen wir wieder gute Werbung, wir haben diese Monatsflyer, verschicken Newsletter und machen Facebook-Events. Und wegen der  Versicherung: Es ist nur drei Mal in fünf Jahren passiert, dass Werke gestohlen wurden.

Das gibt auch einen gewissen Fame für den Künstler, oder?

Jan: Ja, genau, wenn ein Bild nach zwanzig Jahren wieder auftaucht.

Michael: Beim allerersten Diebstahl hat sich der Künstler sogar gefreut, meinte: „Ja, super, das ist wahrscheinlich ein Fan.“

Von den privaten Leiden und Freuden kommen wir zurück zum Politischen: Michael und Jan sagen uns, wofür das Au steht, warum sie das mo.ë als Nachbarn vermissen, aber umso mehr die Anwohner einbinden.

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