Auf einen Tschick mit dem Tod – Vincent van Gogh »Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette«

In der kalten Jahreszeit findet man sich häufig mit der eigenen Insignifikanz konfrontiert. Latent dunkel, latent kalt und nach den goldenen Herbsttagen von Nieselregen und Sturmböen durchzogen, bietet uns der Winterbeginn genug Anlass zu trübem Gemüt. Vincent van Gogh war ein Spezialist für solche Geisteszustände – aber sein Gemälde »Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette« ist weit mehr als ein schlichtes Memento mori.

© Vincent van Gogh »Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette«, 1886, Van Goth Museum, Amsterdam

Mit derselben, beinahe plumpen und doch verschmitzten Attitüde wie ein Schuljunge, der dem Skelett im Biologieraum ein Papierhütchen aufsetzt, drückt van Gogh seinem »Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette« den titelgebenden Glimmstängel in die Hand. Ein Ins-Auge-Blicken – der eigenen Sterblichkeit, aber auch dem eigenen Konsum. Van Gogh war begeisterter Raucher. Trotz aller Begeisterung bleibt mit dem Zigarettenqualm jedoch immer ein Mief des Vorwurfs an sich selbst im Raum hängen, genauso hartnäckig und vergilbend wie der Rauch selbst. Man ist sich der Gefahren ja bewusst. Mehr oder weniger. Bestimmt muss man die brennende Zigarette hierfür nicht erst in der Hand des personifizierten Todes sehen, um sich der Dummheit der ganzen Sache klar zu werden. Van Gogh malt sie ihm aber trotzdem in die knöchernen Finger, oder genau deshalb.

Es ist trotzig, das zu tun, verwegen – und sehr bezeichnend für den Lebensabschnitt, in dem van Gogh dieses Bild schuf. Genauso wie ich und sehr viele andere Studierende jetzt befand er selbst sich vor 140 Jahren, also 1885/86, im Wintersemester. Wenn man für die Zukunft lernt, und das womöglich unter großem Stress, wie wohlfeil wohltuend ist da eine Zigarette, wie aufsässig egal sind einem da die Folgen. Die Welt steht einem offen. Und hat man die Weisheit schon nicht mit der Muttermilch aufgesogen, dann mit der Zigarette nach der Vorlesung.

Aber van Gogh trotzt nicht dem Tod allein. Nein, vielmehr trotzt er auch dem Curriculum seiner Universität. (An dieser Stelle kann man sich fragen, wofür es wohl mehr Mut brauchte.) An der Königlichen Akademie der Schönen Künste Antwerpen war es zu dieser Zeit noch Usus, Anatomie an Skeletten zu lernen, anstatt an lebenden Modellen. Das fand er wohl recht langweilig. Mit »Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette« zeigte er nicht nur, dass er Anatomie schon ziemlich gut beherrschte, er signalisierte auch, dass ihm das Ganze zu dumm war. Lieber auf einen Tschick mit dem Tod als einen Moment länger in dieser Vorlesung. Man sollte sich vielleicht nicht vollends ein Beispiel daran nehmen. Aber bei der ganzen kalten Trübe der kommenden Tage tut ein bisschen pubertäre Aufmüpfigkeit und die Forderung nach mehr Wissen wohl ganz gut.         

Normalerweise befindet sich »Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette« im Van Gogh Museum in Amsterdam. Aktuell kann man das Bild aber, neben anderen mehr oder weniger unheimlichen Gemälden, in der Albertina Wien sehen. Die Ausstellung »Gothic Modern« ist dort noch bis 11. Jänner eine bereichernde Beschäftigung für besonders ungemütliche Wintertage.

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