Hoit, do is a Spoit

Vor dem Sommer war die Aufregung groß, zuerst Nina Kraviz, dann Grimes, dann quasi eine ganze De:bug-Ausgabe zum Thema – wie groß aber ist das Ungleichgewicht hinter den heimischen Reglern elektronischer Musik?

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Jungs haben einen Penis, Mädchen eine Vagina. Das ist allgemein bekannt. Ebenso, dass sich dadurch natürliche, aber auch sozial erzeugte Unterschiede ergeben, die in den verschiedenen Bereichen zu einem Gefälle führen. Davon bleiben auch die elektronische Musikszene sowie das DJing nicht verschont. So singt eine quasi emanzipierte Madonna »Hey Mister DJ, put a record on!« und ist aber damit nahe an der Realität, dass nach wie vor die männlichen DJs die Turntables dominieren – international wie auch in Österreich. Das liegt jedoch nicht unbedingt daran, dass weniger fähige Frauen im Bereich der elektronischen Musik umtriebig sind. Ganz im Gegenteil.

Wir sind viele – und wir sind Frauen

Fragt man in die Runde weiblicher DJs in Österreich wird schnell klar, dass das Selbstverständnis in der Szene so unterschiedlich ausfällt wie es Mixes gibt. Einigen DJs ist es wichtig, dass sie weiblich sind, die meisten verzichten aber darauf sich DJane oder als Female DJ zu bezeichnen und wählen einen neutralen Namen wie Christina Nemec aka DJ Chra, Petra Kisslinger aka p.K.one oder Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo. Die Musik soll sprechen. Andererseits sind gerade diese drei DJs bekannt für ihre bewusste Arbeit Frauen an den Reglern zu fördern und ihnen Raum zu geben – in Form von Plattformen wie Ladyshave und Female:Pressure, mit dazugehörigem Festival oder Labels mit feministischem und queerem Fokus wie Comfortzone. Auch Vina Yun, Mitbegründerin der Quote Vienna, macht – auch als Autorin – regelmäßig auf das Geschlechtergefälle rund um den Dancefloor aufmerksam.

Andere setzen leisere Akzente. Wie etwa Clara Prettenhofer aka Clara Moto oder das Kollektiv Etepetete, die darauf achten von Kolleginnen remixt zu werden, mit ihnen zu kollaborieren, oder aber auch in Interviews offen über ihre Erfahrungen als Frau in der Szene sprechen. Und dann gibt es auch die, wie Fauna und Marlene Engel vom Label Moun10, die Fragen dazu ablehnen und lediglich zu ihrer Arbeit Interviews geben möchten. Trotz der gewachsenen Zahl weiblicher DJs ist das Ungleichgewicht immer noch dramatisch. »Mädels können das genauso gut wie Jungs, sie trauen sich nur nicht«, so Annette O. vom Kollektiv Kommune 22. Die Antworten gleichen denen von vor 15 Jahren, als Female:Pressure gegründet wurde. Der Umgang mit Technik würde bei Frauen nicht so gefördert werden. Es fehlt nach wie vor an Vermittlungsprogrammen und Fortbildungen, auch wenn es langsam mehr Workshops gibt, so Chra.

Yes, we can

Weibliche DJs sind im Vormarsch, auch wenn der Weg lang und mühsam ist. Wegbereiterinnen wie Electric Indigo und Chra berichten von »vermutlich gut gemeinten, aber eigentlich beleidigenden« Bemerkungen aus dem Publikum, wie toll sie als Frauen nicht mixen oder Bass spielen könnten. »Dabei ist es ja auch nicht toll, wenn ich als Frau einen Liter Milch kaufen gehe«, entgegnet Electric Indigo. Aber es hat sich seit den 90ern dank der Pionierinnenarbeit einiges getan.

Für Frauen ist es anfangs sogar einfacher, weil man ein neues und seltenes Frauengesicht ist, meint Clara Moto. Wenn man sich jedoch professionell etablieren möchte, wird es schwieriger. Zumindest wäre es mittlerweile kein Nachteil, eine Frau zu sein, so p.K.one. Einige Veranstalter wollen weibliche DJs buchen, es gibt mehr feministische Festivals. Der mediale Aufschrei kann also durchaus helfen, dass sich etwas ändert, langsam, immer wieder, selbst wenn die Argumente über die Jahre dieselben geblieben sind. Allerdings gibt es eine Kehrseite, erzählt Ravissa: »Die Auftragslage ist gut, wenn es mal wieder in ist, Frauen aufs Line-up zu schreiben. Solche Anfragen sind dann aber oft schlecht bezahlt.«

She’s Got The Look

Ein hübsches Gesicht allein reicht ohnehin nicht, gerade im Profibereich, zu dieser Frage herrscht Konsens. Natürlich gibt es auch Veranstaltungen, die Frauen vor allem wegen der Optik buchen und es ist auch so, dass die Attraktivität einer talentierten DJ besprochen wird, viel wichtiger ist aber Können. Das Image muss sowohl bei Männern als auch bei Frauen gleich stark gepflegt werden, meinen Electric Indigo wie auch DJ Ravissa. Kritik an Frauen wie Nina Kraviz, die ihr gutes Aussehen nutzen, stößt auf Unverständnis. Auch Etepetete setzen Mode bewusst und gerne ein, wollen aber einer Sexualisierung des Images entgegenwirken. Insgesamt sind die Meinungen dazu relativ locker. Für manche ist es absolut in Ordnung als Frau gebucht zu werden, andere beschreiben ihr Image überhaupt mit „Sex sells“.

Gender – (k)ein Thema?!

Und trotzdem zeigt eine im März diesen Jahres veröffentlichte Presseausendung von Female:Pressure, dass es nach wie vor ein enormes Ungleichgewicht in den Line-ups der Festivals und Clubs gibt. Deutlich mehr als in anderen Bereichen der Gesellschaft. Woran das liegt? Überangebot und Konkurrenz allein? Wenn es denn um Können statt Aussehen geht, wenn nach Talent und Nachfrage gebucht wird, woran liegt es, dass es meist bloß die scheinbare »Quotenfrau« ins Line-up schafft?

Veranstalter, manchmal auch Freunde, sind zwar oft engagiert und bemüht, müssen aber dennoch oft genug auf talentierte und namhafte weibliche DJs aufmerksam gemacht werden. Von Bookern kommen häufig nur Verlegenheitsantworten, wenn diese auf die wenigen Frauen im Line-up angesprochen werden. Als wäre da ein blinder Fleck, einer, der gleich die Hälfte der Menschheit betrifft. So zeigt sich, dass – auch wenn es meist nicht mutwillig passiert – die nach wie vor männerdominierte Booker- und Produzentenbranche oft nicht über den Tellerrand blickt, meist mit Kollegen und nicht mit Kolleginnen befreundet ist, die wiederum eher männliche Musiker im Freundeskreis haben. Mittelfristig muss es vor allem in den Köpfen und den Eingeweiden der Clubmacher selbst ankommen, dass ein mit Männern gespicktes Line-up schlicht peinlich ist. Und bei den Labels, die anfangs oft für Kumpels gedacht sind. Auch im Journalismus sind die Dancefloors fast nur von Männern besetzt. Sie alle müssen sich, ja, emanzipieren.

Hinzu kommt, dass männliche Kollegen einerseits überrascht sind, dass Frauennetzwerke in der DJ-Szene überhaupt noch notwendig sind, erzählt etwa p.K.one. Andererseits werden diese Netzwerke von männlichen Peers oft nicht ernst genommen, ja manchmal sogar ausgelacht, meint Rosa Reitsamer, Soziologin an der Universität für Musik und darstellende Kunst. Die Szene »… ist von einem neoliberalen Habitus durchdrungen, der einen Blick auf strukturelle Ungleichheiten verhindert.«

Alles dreht sich, alles bewegt sich

Das Geschlechtergefälle ist ein Thema, das sowohl Männer als auch Frauen betrifft. Dennoch wird Männern selten die Frage gestellt, wie es eigentlich ist gerade als Mann hinterm DJ-Pult zu stehen. Emanzipieren muss sich eine Frau gegenüber einem Mann und selten umgekehrt. Ein wichtiger Punkt ist auch, so Dr. Rosa Reitsamer, dass sich in diesen Szenen die »rhetorische Modernisierung des Geschlechterverhältnisses« abzeichnet, sowohl junge Männer als auch junge Frauen würden glauben, dass sie bereits gleichberechtigt sind und feministische Politik nicht länger benötigen würden. Das ist neu, nicht unbedingt besser, als vor 15 Jahren. Andere Instrumente sind bekannt, nicht immer unumstritten, wie die Quote, Frauenevents.

Was bleibt also zu tun? Weitermachen, aufmerksam machen, mit allen Mitteln, durch Workshops, Vorträge, Netzwerke – vor allem aber mit Musik. Denn, wie Clara Moto meint, ist sie primär Musikerin und nicht Frau. Auch wenn man in Österreich noch weit von einer irgendwie akzeptablen Schieflage entfernt ist, geschweige denn von einer Gleichstellung, sollte es irgendwann einmal weniger darum gehen, ob Mann oder Frau hinter Turntables und Laptop stehen, sondern vor allem um die Musik. Und die hat bekanntlich weder Penis noch Vagina.

Das »Perspectives Festival – Female Perspectives on Electronic Music and Digital Arts presented by Female:Pressure“« findet von 12. bis 13. September im Berliner About:Blank statt. Am Programm stehen Live-Performances, Workshops und Diskussionen.

Das Waves Vienna Festival findet von 3. bis 10. Oktober in diversen Locations in Wien statt und zeigt mit Charli XCX, CSS, Au Revoir Simone, Kate Boy oder Frida Hyvönen viele weibliche Vorbilder an den Reglern.

Die Einzel-Interviews mit Clara Moto, DJ Ravissa, Rosa Reitsamer, p.K.one und Annette O. stehen auf www.thegap.at/clubkultur

Bild(er) © Chra/ Christina Nemec: MicZac, Electric Indigo: Lupi Spuma, p.K.one/ Petra Kisslinger: Martin Johann Krennbauer, Clara Moto: Mads Perch, Etepetete: Gersin Livia Paya, Fauna: Marlene Engel, Kommune 22: Maren Michaelis, DJ Ravissa: Mona Lusa
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