Blick über den Tellerrand

Mit Sudabeh Mortezai hat sich die Viennale nicht nur eine spannende Vertreterin des österreichischen Gegenwartskinos eingeladen, sondern mit ihrem Spielfilmdebüt „Macondo“ auch einen wichtigen Beitrag zum Weltkino im Programm.

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Geht mich nichts an, gibt’s nicht – zumindest nicht für Sudabeh Mortezai. Schon mit ihrem ersten Dokumentarfilm „Children of the Prophet“, in welchem sie Menschen in Teheran während des shiitischen Trauerfestes Moharram (Gedenkfest des Märtyrertods von Imam Hossein – Enkel des Propheten Muhammad, Anm.) begleitet, zeigt sie eine Welt, die der westlichen Welt zumeist nur aus Zeitungen bekannt ist. Auch ihr zweiter Dokumentarfilm „Im Bazar der Geschlechter“ greift das hierzulande weniger bekannte Thema der Lustehe – eine Ehe auf Zeit – auf und schafft so eine Grätsche zwischen Geschichtlichkeit und Aktualität.

Mit ihrem ersten Spielfilm „Macondo“, in welchem die Geschichte des 11-jährigen Tschetschenen Ramasan, der in der Asylantragsschleife in Österreich darauf wartet mit seiner Familie ein neues Leben beginnen zu können und sich zugleich mit seinem Ursprung auseinandersetzen muss, erzählt wird, knüpft Sudabeh Mortezai erneut an die Themen an, die oft Randerscheinungen sind, alle Menschen jedoch angehen sollten.

Im Interview verrät sie nicht nur etwas zur Arbeit an „Macondo“, sondern auch, wie es nach der Schule weiterging und was Heimat für sie bedeutet.

Sie haben iranische Wurzeln, sind in Deutschland geboren, haben in Wien und Amerika studiert. Wie weit beeinflusst das Ihre Arbeit?

Dieses Aufwachsen und Jonglieren zwischen den Kulturen bestimmt natürlich meine Identität und beeinflusst meinen Blick auf die Welt und meine Arbeit. Wegen meiner eigenen Migrationsgeschichte ist „Macondo“ auch ein sehr persönlicher Film, zu dem ich einen starken emotionalen Bezug habe.

Ich war 12 als ich mit meiner Familie nach Wien kam und sich meine Welt komplett veränderte. Es ist ohnehin ein sehr sensibles Alter, wo es stark um Fragen der Identität geht. Als ich die Geschichte von „Macondo“ entwickelte, konnte ich also aus meinem persönlichen emotionalen Fundus und meinen Erfahrungen schöpfen: Wie es ist, eigentlich zu früh erwachsen zu werden, dadurch, dass man Dinge gesehen und erlebt hat, die ein Kind in diesem Alter normalerweise nicht kennt oder hoffentlich nicht kennen sollte: Krieg, Entwurzelung, Rassismus und sich in dieser ohnehin schwierigen Phase in eine neue Gesellschaft einfügen zu müssen. Zugleich machen diese Erfahrungen einen auch sehr stark. Es ist nicht nur eine Bürde sondern auch eine Chance.

Ich wollte aber auch keinen autobiografischen Film machen. Das ist mir dann wieder zu nah. Eine gewisse Distanz brauche ich. Ich würde sagen, mein persönlicher Bezug war die Triebfeder, mich mit „Macondo“ zu befassen, aber ich wollte auch Neues entdecken. Filmemachen ist für mich ja auch eine Reise zu inneren oder äußeren Orten, die ich noch nicht kenne und entdecken kann. Vielleicht ist es deswegen auch die Geschichte eines Burschen und eine Vater-Sohn Beziehung.

Sie haben in Wien Thewi (Theater-Film-Medienwissenschaft, Anm.) studiert so wie viele andere. Warum gerade diese unter den unzähligen Möglichkeiten?

Am liebsten wäre ich nach der Schulzeit, die ich als sehr repressiv empfunden habe, erstmals einfach nur auf Reisen gegangen um die Welt zu sehen, wie viele junge Leute meiner Generation, aber das war lange keine Option für mich. Ich hatte damals noch nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Die Welt stand mir als Iranerin noch nicht offen. Es war sehr schwer, für die meisten Länder ein Visum zu bekommen.

Ich hatte auch nicht den Mut, mich an der Filmakademie zu bewerben. Das erschien mir aus der damaligen Perspektive eine unüberwindbare Hürde. Rückblickend hatte mich vor allem meine eigene Unsicherheit davon abgehalten. Ich inskribierte Theaterwissenschaft und habe das Studium letztlich sehr genossen und auch erfolgreich abgeschlossen. Obwohl ich mir damit viel Zeit gelassen habe, denn mit dem österreichischen Pass einige Jahre später kam auch die Freiheit zu reisen, die ich natürlich endlich genutzt hab.

Wie war es dann im Vergleich zu Wien an der UCLA zu studieren?

Das war viele Jahre später. Nach dem Studium in Wien arbeitete ich einige Jahre bei der Viennale und später als Leiterin vom Filmcasino. Doch der Wunsch endlich eigene kreative Arbeit zu machen, war irgendwann mal zu stark. Das Filmstudium am UCLA war im Gegensatz zur theoretischen Thewi sehr pragmatisch. Ich finde neben Handwerk habe ich dort vor allem auch Selbstbewusstsein gelernt.

Der große Unterschied zwischen Wien und Los Angeles ist die Mentalität. Als Migrantenkind in Wien hört man immer nur das Wort "Nein", solange bis man auch selber glaubt, es nie schaffen zu können und keine Chancen zu haben. In den USA gibt es halt wirklich diese "Yes we can"-Mentalität. Bei aller Zweischneidigkeit, die das hat – denn man hört natürlich immer nur von den Erfolgsgeschichten und nie von der viel größeren Anzahl der Menschen, die am amerikanischen Traum zerbrechen. Ich weiß, es klingt wie ein Klischee, aber mir hat es enorm geholfen, diese Atmosphäre, in der alles möglich scheint und man die eigene Identität definieren kann.

Weiter zur eigenen Produktionsfirma, über den Namen "Macondo" und den Spiegel weltweiter Kriege.

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