Mit einer Online-Kampagne und einer großen Ausstellung will der Architekturtheoretiker und Kurator Oliver Elser auf die Qualität »brutalistischer« Bauten hinweisen. Ein Pionierarbeit, bei der mit Widerstand zu rechnen ist.
Auch die Architekturgeschichte hat ihre Bösewichte. Zumindest sagt die Legende, dass der britisch-ungarische Architekt Ernö Goldfinger als Vorbild für den gleichnamigen Schurken in Ian Flemings James-Bond-Roman gedient haben soll. Fleming hatte dagegen protestiert, dass viktorianische Backsteinhäuser in der Londoner Willow Road abgerissen wurden, um Platz für Goldfingers Wohnbauten aus Beton zu schaffen. Mit der Namensgebung rächte sich der Autor für die Niederlage im gestalterischen Kulturkampf, es kam sogar zu einem gerichtlichen Nachspiel, das mit einem Vergleich endete. So weit, so böse.
Die Episode ist nun mehr als 50 Jahre her, die Aversion und Aggression gegenüber Goldfinger und manch anderem Architekten seiner Generation ist geblieben: Denn er war ein Vertreter des »Brutalismus«, der in den 50er und 60er Jahren aufkam und der die Visionen der Architektonischen Moderne – etwa eines Le Corbusier – aufnahm und weiterführte. Der Begriff selbst wurde um 1950 vom schwedischen Architekten Hans Asplund geprägt und ist insofern etwas irreführend, weil er sich auf das französische »béton brut« (»Sichtbeton«) bezieht. Die naheliegenden Assoziationen von wegen brutal und rücksichtslos waren nicht intendiert. Gemeint sind Bauten, die ihr Material »roh« zeigen, in den meisten Fällen ist dies Beton, es kann aber auch Backstein oder Metall sein.
Brutalismus so verbreitet wie die klassische Moderne
Angesichts der Tatsache, dass etwa Sichtbeton in jüngster Zeit in der Architektur extrem beliebt ist, verwundert es, dass die wissenschaftliche Aufarbeitung des Brutalismus noch am Anfang steht. Die Lücke will nun Oliver Elser, Architekturhistoriker und -theoretiker sowie Kurator am Architekturmuseum in Frankfurt, schließen. »Der Brutalismus hat sich so schnell und stark durchgesetzt wie zuvor nur die Architektur der klassischen Moderne – und dies über die politischen Grenzen hinweg«, so Elser. Neben der puren Verwendung von Materialien sind für Elser zwei weitere Merkmale entscheidend, um von Brutalismus zu sprechen: »Die Konstruktion des Gebäudes ist sichtbar, und außerdem gibt es eine Art Image. Das Gebäude bleibt sozusagen auf der Netzhaut haften.« Gemeint sind also nicht anonyme Plattenbauten aus Fertigteilen, sondern skulpturale Gebäude, die im Lauf der Bewegung immer kapriziösere Formen angenommen haben. Elser hat bislang rund 400 brutalistische Bauten weltweit für eine Online-Datenbank recherchiert – und in den kommenden Monaten noch allerhand vor. Zuallererst will er auf die Dringlichkeit einer Würdigung von qualitätsvollen brutalistischen Bauten hinweisen. Denn viele der einstigen Avantgardeprojekte sind vom Abriss bedroht. Großer Widerstand regt sich dagegen in der Regel nicht, allein schon deshalb, weil die Gebäude aus der Nachkriegszeit oft gigantische Dimensionen haben. »Plötzlich wurden Großsiedlungen gebaut, die jeglichen Maßstab gesprengt haben.« Mit diesen »Monsterbauten« wurde auch das Material »Beton« abgelehnt, nicht zuletzt weil es die günstigste Baumethode war. »Wer ist schon gerne von einer Architektur umgeben, von der es heißt, sie sei billig?«, so Elser.