Die Ausstellung »Antarktika« beschäftigt sich mit der Entfremdung des Menschen von seiner Umwelt und sich selbst

Sich beteiligt und unbeteiligt zugleich fühlen – so lässt sich Entfremdung beschreiben. »Antarktika. Eine Ausstellung über Entfremdung« versammelt insbesondere jüngere Positionen, die sich mit dem Phänomen auseinandersetzen. In einer Straßenbefragung gehen wir dem Thema auf der Ebene der Gültigkeit und Repräsentationsfähigkeit von Social-Media-Identitäten nach.

© Ian Wallace »At The Crosswalk VI« (Ausstellungsansicht), 2008, Courtesy Hauser & Wirth, Zürich, Foto: Jorit Aust

Überall Antarktis? Das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt kühlt zusehends ab, das konstatieren Soziologen seit über 100 Jahren. Die zunehmende Individualisierung bedingt eine Entfremdung von sozialen Bindungen, die sie umgebende Natur kennen StadtbewohnerInnen schon längst nicht mehr und zu ihrer Arbeit haben viele wegen der zunehmenden Technisierung auch nur noch wenig direkten Bezug. Sogar das Verhältnis des Menschen zu sich selbst ist in der modernen Welt von einem gleichzeitigen Beteiligt- und Unbeteiligtsein gekennzeichnet: Nötigen wir uns etwa im Dienste der kapitalistischen Selbstoptimierung dazu, auf Distanz zu unserem eigentlichen Ich zu gehen? Und wie viel von einer Person steckt tatsächlich in ihrem öffentlich ausgestellten Social-Media-Profil?

Raum für Selbstverwirklichung?

Im Rahmen von »Antarktika. Eine Ausstellung über Entfremdung« beleuchtet die Kunsthalle Wien das der Entfremdung zugrundeliegende Muster einer »Beziehung der Beziehungslosigkeit« (Rahel Jaeggi) und spürt dem Begriff sowie den daran geknüpften soziologischen Befunden in diversen zeitgenössischen Positionen nach. Auch die Frage nach jenen anderen Formen des Welt- und Selbstbezugs, die es braucht, um Raum für Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu schaffen, wird dabei natürlich gestellt.

© Buck Ellison »Untitled (Christmas Card #6)«, 2018, Privatsammlung, Courtesy der Künstler

Anlässlich der Ausstellung haben wir in einer Straßenbefragung Menschen nach dem Verhältnis ihrer Social-Media-Präsenz zu ihrem eigentlichen Ich interviewt – mit der Erkenntnis, dass die Befragten sehr bewusst mit der Diskrepanz zwischen diesen beiden Polen umzugehen wissen.

Max, 29, Student
Das Bild von mir auf Social Media ist die polierte und kuratierte Version meines Lebens. Ich spare dabei bewusst einen sehr wichtigen Teil aus. Ich würde das Gesicht meines Kindes zum Beispiel nie auf Social Media zeigen. Auf Facebook teile ich Artikel und Meinungen, die ich wichtig finde. Daraus kann man sicher auch meine politische Einstellung und Interessen ablesen. Dass man eine Person aber vollständig auf Social Media abbilden kann, glaube ich nicht. Menschen sind viel zu komplex und wir tendieren dazu, online unsere schöne und spannende Seite zu zeigen. Da bin ich keine Ausnahme.

Nadine, 27 Jahre, Key-Account-Managerin
Zwischen meinem digitalen und realen Ich besteht Diskrepanz: In der Realität rede ich viel und oft auch unüberlegt. Wenn mir dann jemand sagt: »Denk da nochmal drüber nach«, geht das voll in Ordnung. Wenn man mir dieses Feedback aber öffentlich über Social Media gibt, dann tangiert mich das schon – denn die Postings, die ich mache, sind überlegt.
Ich bin vorsichtig, welche Inhalte ich teile, vor allem, wenn es um Politik geht. Ich bin ein politisch sehr interessierter Mensch, zeige online aber nur einen Bruchteil von dem, was ich meinen Freunden erzähle. Einfach aus der Angst heraus, dass ich öffentlich angegriffen werden könnte. Die Diskussionsskultur im Web ist emotional aufgeladen und ungeschützt – und dem möchte ich mich nicht aussetzen.
Meine innerste, reale Person soll auf Social Media überhaupt nicht widergespiegelt werden – denn ich lege ja auch nicht mein Innerstes frei, wenn ich auf der Straße jemanden treffe und Hallo sage. Das ist also eine von mir gewünschte Entfremdung der Rollen. 

Kristina, 35, Beraterin
Auf Social Media zeige ich nur Teile von mir – und das sehr oberflächlich. Ich verhalte mich, wie wohl alle, im Hinblick darauf, wie das, was ich poste, bei den anderen ankommt. Das mache ich »offline« nicht in diesem Ausmaß. Ich mache nie unüberlegte Postings, sehr wohl aber unüberlegte mündliche Aussagen und Handlungen. Also ist Social Media sicher die Wirklichkeit mit Filter und ohne Spontanität – wohl genau das Gegenteil von dem, was es suggeriert. 

Clemens, 41, Journalist
Ich bin vor allem auf Twitter sehr aktiv, aber auch Facebook und Instagram nütze ich. Meine Online-Profile sind mehrheitlich öffentlich zugänglich. Das Bild, das ich in den sozialen Medien zeige, ist mit Sicherheit kein vollständiges und akkurates: Social Media ist Eigenmarketing und deswegen zeichne ich dort, wie jeder andere, ein vorwiegend positives Bild von mir.
In der Online-Welt steht mein berufliches Ich im Vordergrund und nicht mein privates. Ich zeige meine Arbeit, meine Meinung und das ein oder andere »coole« Bild aus dem Alltag. Tabu sind Fotos meiner Kinder.

»Antarktika. Eine Ausstellung über Entfremdung« ist noch bis 17. Februar 2019 in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier zu sehen.

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