Apple entstaubt die Universitätsbildung. Seit 2009 streckt iTunes U seine Fühler nach den Universitäten aus und bietet freien Vorlesungszugang – online und weltweit.
Stundenlang auf steinharten Bänken zu sitzen, um bei Neonlicht und wahlweise Eiseskälte oder Affenhitze der dünnen Stimme eines Professors zu lauschen, der mit der Hörsaaltechnik kämpft, ist definitiv out. Wie verzweifelt dieses Bild nach etwas Glamourfaktor und Bequemlichkeit schreit, mag der eine oder andere bereits bemerkt haben. Apple hat darauf eine Antwort. 2009 launcht der multinationale Riesenkonzern den Service iTunes U. U steht für University. Der Dienst nimmt zwischen Universitäten und Studierenden auf der ganzen Welt eine Art Unterhändler-Rolle ein. Die Universitäten richten sich einen Account ein und können von da an ihre Vorlesungen Lernwilligen rund um den Globus zur Verfügung stellen. Per Podcast oder Video-Stream kann man so von jedem beliebigen Computer mit Internetzugang Harvard in sein Wohnzimmer holen. Hochschulen auf der ganzen Welt, darunter auch zwei österreichische, beteiligen sich begeistert an dem Projekt. Für die Universität ist das Einrichten eines Accounts weder kostenpflichtig noch muss eine andere Bindung mit Apple eingegangen werden.
»Lifelong learning« heißt das Stichwort, mit dem sich die teilnehmenden Universitäten gerne schmücken. »Lebenslanges Lernen ist ein wesentliches bildungspolitisches Ziel, dem sich auch die Universität Innsbruck verpflichtet fühlt«, erklärt auch der zuständige Professor Christian Flatz von der Uni Innsbruck. Die Uni Innsbruck nahm im Sommer 2009 als erste österreichische Hochschule den Betrieb von iTunesU auf. Kurz darauf folgte ihr die TU Graz. Von der Uni Wien hieß es, man hätte urheberrechtliche Bedenken. Vorlesungen sind auch an der Universität Wien öffentlich. Das heißt, jeder kann als Gasthörer daran teilnehmen, wenn er möchte. Dieses Konzept der Öffentlichkeit auf die ganze Welt auszuweiten, davor schreckt die Uni Wien aber noch zurück.
Das Balzen um die Aufmerksamkeit
Apple stellt sich damit einer Realität, die viele Unis noch nicht wahrhaben wollen. Der Durchschnittsstudent hat sich verändert. Während vor 20 Jahren noch die Hochschulen die größten Zentren zur Wissensvermittlung darstellten, so läuft ihnen heute das Internet oftmals den Rang ab. Die Universitäten sehen sich mit einer Generation konfrontiert, die in ihrer Medienkompetenz ihren Vorgängern überlegen ist. Der Student von heute hat einen iPod, ein Smartphone und einen Laptop. Er hat im Schnitt 300 Facebook-Freunde und twittert seine Befindlichkeit in die Welt hinaus. Er ist rund um die Uhr vernetzt.
Warum also diese Entwicklung nicht auch auf den Bildungserwerb anwenden? Die Aufmerksamkeit der heutigen Studierenden ist viel weiter gestreut als noch vor einigen Jahren. Um sie als Universität für das eigene Produkt – in diesem Fall Vorlesungen und Wissenschaft – zu begeistern und bei der Stange zu halten, muss man ihnen ein attraktives Angebot machen. iTunes U ist ein solches Angebot. Mit wenigen Mausklicks kann man über ein riesiges Spektrum an Themen verfügen. Viele Unis nutzen iTunes U einfach als Plattform ergänzend zu den Vorlesungen. Die Studierenden haben so den Vorteil, nicht mitschreiben zu müssen. Die Streams können auch über iPod oder iPhone gehört werden. Man kann also – wo immer man gerade ist – einen Vortrag hören. So konnte sich bereits eine riesige Menge User für iTunes U erwärmen. Das weltweite Vorlesungsverzeichnis von iTunes U enthält Streams aus fast allen erdenklichen Studienrichtungen.
Besonders gerne stellen die Hochschulen die Vorträge prominenter Gastredner ins Netz. Auf iTunes U finden sich also auch Vorlesungen von Larry King, Ronald Reagan und vielen anderen Celebrities. Man kann die Geschichte von Oprah Winfreys erstem Fernsehjob hören. Watergate-Aufdecker Bob Woodward erzählt über sein Interview mit George W. Bush und Michael Douglas gesteht den Studenten, dass seine Studienwahl hauptsächlich damit zusammenhing, dass die University of California in St. Barbara und somit am Meer gelegen ist. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil es so einfach ist, einen Vortrag schnell online zu stellen, hat sich hie und da aber ein gewisser Schlendrian eingeschlichen. Die Plattform enthält auch viele qualitativ fragwürdige Aufnahmen. Oft lässt die Tonqualität zu wünschen übrig und auch viele inhaltlich schwache Vorträge haben es auf iTunes U geschafft.
Die Popularisierung von Wissen
Auch außeruniversitäre Institutionen entdecken iTunes U nach und nach für sich. Unter der Karteikarte »Beyond Campus« finden sich bereits einige renommierte Museen. Darunter auch die Wiener Kunsthalle. Seit zwei Jahren ist sie auf der Plattform vertreten. Ihr Angebot enthält verschiedenste Streams zu Ausstellungen und Künstlern, aber auch Pressekonferenzen und künftig auch Ausstellungskataloge. Viele der Materialien wurden aus Dokumentationsgründen aufbewahrt. Mit dem Launch von iTunes U hat die Kunsthalle das meiste davon aufgearbeitet und frei zugänglich gemacht. Das Ziel sei, so Pressesprecherin Claudia Bauer, aus dem Elfenbeinturm, in dem Kunst und Museen lange Zeit waren, herauszukommen. Auch zu Recherchezwecken nutzt die Kunsthalle iTunesU. Zwar sind noch nicht viele Museen und Galerien auf iTunes U vertreten, doch haben schon einige ihren Weg dahin gefunden.
Klar – ohne die Universitäten und Museen funktioniert iTunesU auch für Apple nicht. Es ist also keineswegs so, dass der Vortragende durch die Maschine ersetzt wird. Was Apple mit iTunesU erreicht, ist eine Popularisierung von Bildung. iTunesU bietet Inhalte auf sehr hohem Niveau. Der Service wird zunehmend als Recherchequelle genutzt. Im letzten Jahr erreichte iTunesU die unglaubliche Zahl von 300 Millionen Downloads. Die Nachfrage ist also da. Das Ziel, das Apple damit verfolgt, ist wohl, sich mit der wertvollen Konsumentengruppe Student gutzustellen. Wenn man diese einmal in den iTunes Store gelockt hat, wird sich vielleicht auch der eine oder andere nach Filmen und Musik umsehen. Dieser Meinung ist auch Sigrid Maurer von der ÖH der Uni Wien. Sie kritisiert die Notwendigkeit der Software iTunes für den Zugang zu den Inhalten und fordert freien Zugang zu wissenschaftlichen Materialien, ohne dabei auf die Software eines kapitalistischen Riesenkonzerns angewiesen zu sein. Außerdem, so Maurer, gäbe es andere Plattformen, die kostenlose Vorlesungsstreams zur Verfügung stellen. Beispiele dafür sind das Massachusetts Institute of Technology oder Academic Earth. Letzteres ist allerdings nicht für alle Hochschulen gedacht, sondern nur für die Elite-Unis.
Ist iTunes U nun ein Werk des Teufels? Christian Stiegler, Medienwissenschaftler an der Universität Wien und FM4-Redakteur, sagt dazu Folgendes: »Grundsätzlich ist jede Maßnahme, die Bildung über die Mauern der Universitäten hinausträgt, zu begrüßen. Das ist ein moderner, medienbedingter Zugang, vor dem sich auch österreichische Universitäten nicht verschließen können und sollten.« Die Vorreiterrolle von Apple findet er nicht problematisch, denn wenn finanzielle Schwergewichte wie Apple Interesse an den unterfinanzierten Unis zeigen, dann kann das der Anfang einer Zusammenarbeit sein, die für beide Seiten profitabel ist.
Natürlich bekommt man auf iTunesU keinen Studienabschluss und es ist kein Ersatz für ein Studium. Das Konzept des Onlinestudiums reduziert den Wissenserwerb auf das Hören der Vorträge. Somit fehlt die soziale Komponente des Studiums. Man lernt keine Menschen kennen, es ist nicht möglich, eine Diskussion mit den anderen Hörern zu starten und man kann keine Fragen stellen. All diese Dinge bleiben nach wie vor denen vorbehalten, die sich in den Hörsaal setzen.
iTunes U – Geniale Idee oder ein Werk des Teufels?
3 Statements dazu:
Claudia Bauer – Leiterin der Presse- und Marketingabteilung der Kunsthalle Wien
Die Kunsthalle Wien hat viele ihrer Materialien auch in der MediaZone auf ihrer Homepage, aber mit iTunesU vergrößert sich natürlich auch unsere Reichweite enorm. Wir haben im Laufe der Zeit eine Menge Interviews mit Künstlern, Aufzeichnungen von Vorträgen und Pressekonferenzen und Kataloge, von denen viele rasch vergriffen sind, produziert. Es wäre schade, wenn all das nach einer Ausstellung verschwindet.
Darum haben wir nach einer Plattform gesucht, um diese Materialien offen zugänglich zu machen. Für uns sind Studenten nicht die alleinige Zielgruppe. Zwar gab es immer schon eine gewisse Nachfrage betreffend unsere Materialien von studentischer Seite, aber wir machen das nicht, weil es »Open University« heißt und so jungstudentisch ist, sondern, um wissenschaftlich wertvolle Kunst-Dokumentation einem interessierten Publikum frei zugänglich zu machen – ob Schülern, Kuratoren, Kunsthistorikern oder Pensionisten. Und das selbstverständlich kostenlos!
Die Kehrseite der Medaille ist, dass hinter dem Service ein Riesenkonzern wie Apple steht, was nicht immer ganz unkritisch zu betrachten ist. Andererseits wüsste ich auch kein Medium, mit dem man diesen Zweck besser erfüllen könnte. Außerdem muss man mit Apple keine Verpflichtungen eingehen.
Christian Stiegler – Medien- und Literaturwissenschaftler, Assistent an der Universität Wien, Redakteur bei FM4
Grundsätzlich ist jede Maßnahme, die Bildung über die Mauern der Universitäten hinausträgt, zu begrüßen. Vorlesungen sind ja auch öffentliche Veranstaltungen, die theoretisch jeder Interessierte besuchen könnte. Daher macht es durchaus Sinn, Lehrinhalte auch als Download anzubieten, insbesondere, da mündliche Vorträge so auch als Dokumente für die Nachwelt erhalten bleiben. Und natürlich können spannende Lehrinhalte auf diese Weise auch das außeruniversitäre Publikum für Bildung begeistern. Das ist ein moderner, medienbedingter Zugang, vor dem sich auch österreichische Universitäten nicht verschließen können und sollten.
Dass Apple hier eine Vorreiterrolle einnimmt, ist weniger problematisch. Im Gegenteil: Besonders in Österreich wäre es angesichts der finanziellen Probleme an den Universitäten zu begrüßen, wenn mehr Unternehmen Interesse an Bildung und Forschung hätten und sie auch aktiv unterstützen. Beide Seiten könnten davon profitieren und es muss daraus nicht zwingend ein Abhängigkeitsverhältnis entstehen.
Sigrid Maurer – Vorsitzende der ÖH Uni Wien
Die Idee ist alt und kommt nicht von Apple. Ähnliche Angebote gibt es schon lange zum Beispiel vom MIT. Es ist grundsätzlich zu unterstützen, dass Lehrinhalte offen für alle frei zugänglich zur Verfügung gestellt werden. iTunes U ist nur ein Dienstleister. Positiv an offenen Inhalten ist, dass sie auch der breiten Bevölkerung zur Verfügung stehen und nicht nur dem eingeschworenen Kreis der Hochschulangehörigen.
Die Universitäten stehen dabei vor allem vor einem Problem des Urheberschutzes – es ist nicht erlaubt, Lehrveranstaltungen einfach mitzufilmen und online zu stellen.
Dass ein Riese wie Apple seine Finger hier im Spiel hat, ist problematisch. Es ist klar, dass dies nicht aus einem plötzlich erwachten Verantwortungsbewusstsein der Menschheit gegenüber entstanden ist, sondern eine Marketingstrategie ist, die noch mehr Menschen an den Dienst iTunes binden soll. Apple ist bekannt für seine extrem restriktive Firmen- und Urheberrechtspolitik. Wissenschaftliche Inhalte müssen für alle frei zugänglich gemacht werden, ohne dass man dafür auf die Software eines gigantischen Konzerns angewiesen ist. Wir wollen eine Plattform, die offen ist für alle und die von keinem kapitalistischen Großkonzern kontrolliert wird.