Den Kopf voll Blut, doch stets erhoben

Katharina Winklers Debüt erzählt die wahre Geschichte einer kurdischen Frau, die von ihrem Mann fast zu Tode geprügelt wird und dennoch im Herzen frei bleibt. Ein Heldinnenroman.

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Filiz‘ Geschichte beginnt, wie das Leben eben anfängt: in ahnungsloser Kindheit. Sie lebt mit ihrer Familie in einem kurdischen Dorf in der Türkei. Sie haben ein Haus dort, Vieh und ein bisschen Land. Schon früh lernt Filiz, was Ehre ist, spricht beinah zärtlich davon, wie sie wie eine schwarze Wolke über ihnen hängt und ihnen die Grenzen zeigt, die Sicherheit geben, während sie gleichzeitig alles Glück auffrisst. Die Frauen im Dorf tragen Blauschmuck an Armen und Beinen, im Gesicht und auch um den Hals. Manchmal ist er fast schwarz, manchmal hat er die Farbe des Himmels und wer keinen trägt, gehört nicht dazu. Ach ja, Blauschmuck ist nur etwas für Frauen.

Alle Schläge der Welt

Während Filiz Gewalt vom ersten Tag ihres Lebens als einen Teil der Familie, ein Gesetz im Dorf und somit in ihrer ganzen Welt erlebt, funkeln dazwischen einzelne Momente der Freude. Verbotenes Baden im Fluss, während der Wolf Vaters Schafe frisst, heimlich jauchzendes Rodeln mitten in der Nacht. Es sind Augenblicke, die den Frauen ganz alleine gehören und die ihnen mit allen Schlägen der Welt nicht genommen werden können. Nicht, dass die Männer im Dorf es nicht versuchen würden. Und schließlich findet Filiz auch einen Mann oder vielmehr erklärt dieser ihr eines Tages: »Du gehörst mir.« Yunus hält um ihre Hand an, der Vater sagt Nein. Also laufen sie gemeinsam weg und heiraten. Schon die Hochzeitsnacht ist wie ein Schlachtfest, auf dem johlende Männer ihr Blut auf dem Leintuch herumzeigen. Es dauert nicht lange und Filiz bekommt ihren eigenen Blauschmuck verpasst und wird zum ersten Mal schwanger, ein weiteres Erschwernis in der Vorhölle, zu der ihre Ehe schnell wird. Später gelangt sie mit ihren Kindern nach Österreich, wo Yunus Arbeit gefunden hat.

Die unzerstörbare Lebenskraft

In ihrem ersten Roman hat die Wienerin Katharina Winkler den Lesern freie Sicht in den Abgrund gewährt. Obwohl man meinen möchte, das Buch sei den Ereignissen des letzten Jahres, dem aktuellen Diskurses um Gewalt an Frauen entsprungen, trügt der Schein. Bereits vor zehn Jahren traf die junge Autorin auf die Frau, die in ihrem Roman Filiz heißt. Es sei schwierig gewesen, die »unzerstörbare Lebenskraft und den Lebensmut« der Hauptfigur in Worte zu gießen. »Sie geht durch die Hölle und tritt körperlich und seelisch verletzt, aber im Grunde ungebrochen wieder heraus«, sagt Winkler.

Es ist ein ungewöhnliches Buch, weil es durch unkitschige aber poetisch anmutende Bilder die Erfahrung der jungen Kurdin real und greifbar macht. Mit Sätzen wie »Yunus ist unser Wetter« erschließt die Autorin Ecken einer unerträglichen Situation, die man sonst nur erleben könnte, wenn man dabei gewesen wäre. Es sei ihr ein Anliegen gewesen, Filiz eine Stimme zu geben und Raum, sich zu artikulieren, sagt Winkler. Sie habe ihr eine Wertschätzung entgegenbringen wollen, die ihr in der Realität nicht zuteil geworden war. »Insofern war der Arbeitsprozess für mich auch eine Form von Korrektiv der Realität«, sagt sie.

Was »Blauschmuck« so groß macht, ist die von Winkler beschriebene Unbesiegtheit ihrer Figur. Der Roman ist wie eine weitere Ausführung des Henley-Gedichts »Invictus«, in dem von der »unbezwinglichen Seele« die Rede ist und das den Satz: »My head is bloody, but unbowed« enthält. Damit füttert das Buch einen Diskurs mit Tiefe, der sich bis jetzt nur an der Oberfläche abgespielt hat und in dem die Opfer von häuslicher Gewalt die Schwachen waren. Filiz ist jedoch aus dem gleichen Stoff gemacht, den man sich sonst für Heldinnen der griechischen Mythologie aufbewahrt hat. Als ihr Mann ihr mitteilt, er wolle eine andere heiraten und sie als Zweitfrau behalten, sagt sie »Nein«, obwohl das Wort ihr ganzes Leben lang nicht ihr gehört hatte und sie weiß, dass er sie dafür totschlagen könnte.

Winkler wünscht sich differenzierten Diskurs über Gewalt und Geschlechterverhältnisse

Winklers Roman gibt Anstoß für eine Menge neuer Gedanken zum Thema Gewalt gegen Frauen. Das System Blauschmuck und wer ihn wem umhängt, kommt für Filiz aus der Tiefe ihrer Welt, aus einem geradezu intimen Rahmen. Auch wenn es schwer nachzufühlen ist, so sind die Schläge, das Blut, die Grausamkeit in der Geschichte nicht mit der Abwesenheit von Liebe gleichzusetzen. Das Buch zeigt, dass eine Kultur der Gewalt gegen Frauen nicht nur für die Frauen schlecht ist, sondern für alle. Zwar hält sich das Mitleid für Yunus nach der Lektüre des Buches in Grenzen, doch gibt es immer wieder Passagen, die verraten, dass auch er trotz dominanter Position mit dieser Gewalt zu kämpfen hat, dass auch seine Person von Kräften geformt wurde, die der Weltgesellschaft tief in den Knochen sitzen. »Das Buch widmet sich archaischen, allgemein gültigen Mustern. Es spricht grundsätzlich gegen Gewalt, weil es ihr Scheitern zeigt. Es verdeutlicht, dass Gewalt, die durch verzweifeltes Besitzenwollen motiviert ist, niemals im Stande ist, Nähe zu erzeugen«, sagt Katharina Winkler. Sie würde sich freuen, wenn ihr Roman ein Impuls für einen differenzierten Diskurs über Gewalt und Geschlechterverhältnis würde. Zwischen den »oberflächlichen« tagespolitischen Diskursen und ihrem Roman sehe sie aber keinen Konnex.

Ein überraschend wunderschönes Buch

Tatsächlich hilft die Lektüre aber vielleicht sogar mit eben diesem, denn die von Seite zu Seite wachsenden Solidaritätsgefühle für Filiz haben einen weiteren beeindruckenden Effekt als jenen, die Ablehnung von Gewalt noch zu verstärken. Filiz wird einem beinahe ein wenig zur Schwester und ist in gewisser Hinsicht eine Verschmelzung aller Mädchen und Frauen, denen jemals Ähnliches angetan wurde. Durch ihre Augen sieht man, wie gering der Wert einer Gesellschaft ist, die nicht vermag, zumindest die körperliche Unversehrtheit ihrer Mitglieder so weit zu garantieren, dass sie vor Gewalt in den eigenen vier Wänden geschützt sind. Für die aktuelle Debatte um die durch Flüchtlingsströme nach Europa importierten Frauenbilder ist das insofern relevant, als es die Lächerlichkeit des Gräbenziehens zwischen dem Eigenen und dem vermeintlich Fremden aufzeigt. »Blauschmuck« wirft einen Blick auf die Komplexität des Themas, der es jedem Leser und jeder Leserin verwehrt, gewalttätige Verhaltensmuster auf eine rein an Herkunft geknüpfte Kultur zu reduzieren.

Es ist also absolut kein fröhliches Buch, allerdings ist es überraschenderweise ein wunderschönes, denn es trägt die Seele beider Frauen, jene Filiz’ und die Katharina Winklers in sich und man möchte danke sagen, dass man durch sie sehen durfte, was man sich sonst nicht einmal vorstellen will. Bücher wie dieses sind wichtig, weil sie etwas mit einem machen und einem etwas beibringen. »Blauschmuck« stärkt das Gerechtigkeitsgefühl und vielleicht sogar die Solidarität zwischen Mensch und Mensch, ungeachtet von Herkunft und sich von einander unterscheidenden Lebensrealitäten und -geschichten. Gleichzeitig reißt es einem das Herz für eine kleine Ewigkeit lang entzwei.

»Blauschmuck« von Katharina Winkler ist im Februar bei Suhrkamp erschienen.

Bild(er) © 1: CC BY-SA 3.0, 2: Suhrkamp
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