Birth Of A Salesman

Dass der Krämer und der Künstler zwei ganz unterschiedliche Naturen seien, ist ein alter und zeitloser Gedanke. Dabei ist ein Brückenschlag heute notwendiger denn je. Und viele probieren ihn auch. Departure unterstützt das mit einem Fördercall.

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Gute Idee – aber wie unter die Leute bringen? Daran scheitern erst einmal viel zu viele Kreative. Die richtigen Fans finden, die richtigen Partner, rechtzeitig an Marketing und Vertrieb denken wird meistens dann zum Problem, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Das soll nun noch längst nicht heißen, dass eine lausige Idee damit noch erfolgreich werden kann, aber diese Maßnahmen greifen ineinander.

»New Sales« heißt der diesjährige Fördercall von departure und widmet sich eben diesem Problem. Im Zuge einer Kooperation mit der Wiener Kreativagentur departure haben wir zahlreiche Interviews mit Kreativen verschiedenster Branchen geführt. Einige ihrer besten Erfahrungen und Lehren stellen wir hier im Überblick vor.

Best practice

Der Designer Benedikt Kirsch entwickelte sein Spielzeugmöbel Tukluk vor drei Jahren mit Hilfe einer departure-Förderung und bemüht sich heuer darum, neben Shops in europäischen Großstädten auch in Japan und den USA Vertriebspartner zu finden. »Mit einer guten Erfindung ganz schnell reich zu werden« erschien dem Designer noch als Student »verlockend und plausibel«. Er musste aber eher ganz schnell einsehen, dass das eine blöde Illusion war, wie er sagt. Seit nunmehr drei Jahren ist er mehr als Krämer statt als Künstler auf Messen, in Kindergärten und Geschäften unterwegs, wo er seine »Erfindung« präsentiert. Anfassen, befühlen, ausprobieren, bevor man kauft – das funktioniert für ihn noch überwiegend über recht klassische Wege wie Messen oder bei Vertriebspartnern. Auszeichnungen, Preise und Förderungen können eine Starthilfe sein.

Im Modedesign sind Showrooms immer noch unentbehrlich – auch wenn das Online-Modell für den digitalen Laufsteg immer beliebter wird. Pop-up-Stores werden als temporäre Testmärkte benutzt, der eigene Onlineshop und große Plattformen im Netz zum dauerhaften Absatzmarkt.

DNA im Web 2.0

Was macht eine Idee aus, wie unterscheidet sie sich von anderen Ideen, die es bereits gibt und weshalb ist sie für eine Zielgruppe interessant? »Es geht nicht nur ums einmalige Behaupten seiner Essenz, sondern auch darum, diese weiterzuentwickeln«, weiß die Designerin Eva Blut. Die eigene DNA ist zentral – ob im direkten Vertrieb, für klassische Werbung oder Aktionen unterhalb der gewohnten Aufmerksamkeitsschwelle. Mit diesen »unauffälligeren« Marketing-Strategien, z.B. über Social Media oder durch Fan-Aktionen, soll eine direktere Gesprächsbasis zur Zielgruppe aufgebaut werden. Web 2.0 macht es dabei möglich und umso wichtiger, von Anfang an ans Marketing zu denken.

„Das Vertrauen in Infos über Facebook oder Foren ist einfach größer. Bei einer bezahlten Anzeige weiß man, es ist einfach nur Werbung. Im Internet kommen aber User zu Wort, die ihre Erfahrungen weitergeben.« Matthias Fiegl, Geschäftsführer und Mitgründer der Lomography Society, hat mit seinen beiden Geschäftspartnern – damals alle drei noch Studenten – und einer kleinen Fan-Community mit großem Spaß an billigen Ost-Kameras ein weltweit erfolgreiches Unternehmen aufgebaut. Es zählt heute über eine Million Mitglieder – liebevoll Lomographen genannt – und hat 2012 weltweit 500.000 Kameras verkauft. Lomo hat eine eigene und sehr eigenständige DNA: das Lomo-Manifest hat die Philosophie begründet, eine Lomo-Wall war gleichzeitig visuell sehr einprägsam und eine Aktion für die Community, Foto-Wettbewerbe und Ausstellungen kamen hinzu. Interaktivität spielt eine große Rolle und neue Marketing-Tools schnell für sich brauchbar machen: seit 1996 hat Lomo seine eigene Homepage sowie einen Webshop.

Im ständigen Dialog

Die schnelle Adaption neuer Marketing-Tools und die Beobachtung der Branche sowie der eigenen Zielgruppe sind gute Voraussetzungen, um auf Veränderungen in der Branche zu reagieren. Mit »Beobachtung« sind aber lange nicht mehr nervige E-Mail-Umfragen gemeint. Millionen von Feeds, Posts und Klicks im Web geben Auskunft darüber, was die eigene Zielgruppe gerade tut und interessiert. Für Matthias Fiegl heißt Marktforschung: »Auf die Wünsche und Ideen unserer Community hören und sich davon inspirieren lassen.«

Umso mehr Interaktivität die Idee oder das Produkt selbst bietet, desto wichtiger ist es auch, direkt zu den Kunden und Usern zu kommunizieren und sie mit einzubeziehen. Während Produktdesigner zwar auf Facebook präsent sind – z.B. Fotos der neuen Kollektion oder der letzten Messe posten –, bietet sich in anderen Branchen die Chance, aus Klicks und Likes tatsächlich durch Kooperationen Bares zu machen.

So beispielsweise bei dem Wiener Start-up Whatchado, dessen User nicht selbst Kunden sind, aber in der Masse solche anziehen und damit authentische Kommunikation zum Erfolgsrezept des Unternehmens werde lässt. Auch im Musikbusiness ist es heute unerlässlich, wenigstens eine regionale Fan-Base und ein paar Tausend Likes mitzubringen, wenn man an die Türe eines Labels klopft. Das alte Modell ist überholt, in dem Leute mit Geld die Kunst oder das Handwerk von anderen vorfinanziert haben.

Keine Katze im Sack

Schnelles Feedback im Web ermöglicht es, potenzielle Käufer, User oder Fans sowie zukünftige Kooperationspartner bereits bei der Entwicklung des Produkts mit einzubeziehen. Crowdfunding ist nicht nur ein – zugegeben nicht einfaches – Mittel, selbständig an Budget für hohe Produktionskosten zu gelangen, sondern funktioniert auch als temporärer Testmarkt, Aufmerksamkeitsmaschine und um neue Zielgruppen anzusprechen. Der Hype um Crowdfunding, Freemium-Angebote und die zunehmende Beliebtheit von Streaming Services zeigen auch, dass sich Käufer – in Anbetracht der Vielzahl an Produkten und Services – gut informieren und eventuell sogar mitentscheiden möchten. »Die Katze im Sack kauft keiner mehr«, meint Thomas Spitzer von Siluh Records.

Große Verlage und Labels müssen sich umstellen. Junge Kreative – ob Start-ups, Designer oder Musiker – sehen häufig in den vielfältigen Möglichkeiten des Direktvertriebs und Marketings im sozialen Netz eine große Chance, sich selbst und also die DNA ihrer Idee direkt und aufrichtig an Kunden oder Fans zu bringen. Die Modedesignerin Eva Blut will ihre Käufer zukünftig auch über Apps und Reiseplattformen erreichen. Und ein Unternehmen, das analoge Kameras verkauft, bringt eine Foto-App heraus. Auch über scheinbare Umwege trifft man auf seine Zielgruppe, denn die ist mindestens so flexibel und gut informiert, wie die Branche selbst.

Zu den Vollversionen der Interviews mit Eva Blut, Lomo, Whatchado, Sofa Surfers, Siluh Records, Das Möbel, Tukluk und Broken Rules.

Videos davon gibt es unter vimeo.com/departureat

Einige Infos zum focus Call »New Sales« im Kasten links bzw. alle Infos unter www.departure.at

Bild(er) © Lomography International Society, Matthias Fiegl, Benedikt Kirsch, Eva Blut, Dominik Vsetecka, Thomas Spitzer, departure
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