Mit ihrem Langfilmdebüt »Breaking the Ice« nimmt uns Clara Stern mit aufs Eis und präsentiert eine Hauptfigur, die lernt, ihre Freiheit auszukosten. Wir haben die Regisseurin und Drehbuchautorin zum Interview gebeten.
In »Breaking the Ice« begibt sich die Regisseurin und Drehbuchautorin Clara Stern aufs Eis. Ihr Langfilmdebüt erzählt von Mira (Alina Schaller), deren Welt der Eishockey-Sport ist. Auf dem Spielfeld ist sie zu Hause. Aber auch der Hof der Familie muss gepflegt werden. Dann tritt Theresa (Judith Altenberger) in ihr Leben – und sie lernt eine für Sie neue Offenheit kennen sowie Regeln zu brechen. Clara Stern hat bereits mit diversen preisgekrönten Kurzfilmen auf sich aufmerksam gemacht. Im Gespräch mit The Gap erzählt sie von den Dreharbeiten auf dem Eis, von der Zusammenarbeit mit den Frauen des Eishockey-Teams Vienna Sabres, von Genderrollen und davon, warum sie Filme macht.
Mira, die Hauptfigur in »Breaking the Ice«, lebt in verschiedenen Welten: Sie ist Sportlerin, aber auch am Weingut ihrer Familie tätig. Zwei Sphären, denen eine gewisse Körperlichkeit zugrunde liegt. Inwiefern spielt dieser Aspekt in deinem Film eine Rolle?
Clara Stern: Meine Hauptfigur Mira zu schreiben, war für mich die logische Fortsetzung der Figuren meiner Kurzfilme. Wir begleiten sie in einem wichtigen Moment der Veränderung in ihrem Leben. Aber Mira, wie die meisten meiner Hauptfiguren, ist nicht gut darin, zu sagen, was sie braucht. Deswegen war für mich klar, dass ich eine visuelle Ebene benötige, wo sie sich nonverbal ausdrücken kann. Meine Wahl fiel auf Profisport, weil auch die Selbstdisziplin, die als Sportlerin nötig ist, zu Mira passt. Die andere körperliche Ebene ist die Arbeit am Hof. Auch hier funktioniert Mira wie ein Rädchen im Getriebe. Über vieles, was Routine ist, muss nicht gesprochen werden, was es auch schwer macht, es zu verändern. Körperlichkeit, also auch physische Abläufe zu beobachten, ist etwas spezifisch Filmisches für mich, etwas, das für mich den Reiz des Erzählens in diesem Medium ausmacht. Körperhaltungen, Gesten, Bewegung im Raum, aber auch das Verhältnis der Kamera zu den Figuren – das alles kann die Atmosphäre, den inneren Konflikt der Figuren, die Temperatur der Geschichte am besten erzählen.
»Breaking the Ice« ist dein Langfilmdebüt, der Film spielt in der Eishockey-Szene. Warum ist gerade diese Sportart für den Film von Bedeutung?
Ich war auf der Suche nach einem Teamsport, weil ich für meine Erzählung die Dynamik einer Gruppe wollte, um zu erzählen, wie es Mira mit dem Druck und den Erwartungen der Gesellschaft geht. Eishockey ist ein schneller, harter Sport und ich fand es bei der Recherche beeindruckend, Frauen* mit so viel Kraft, Teamwork, Unnachgiebigkeit und gleichzeitig Eleganz zu sehen. Außerdem ist Eishockey ein Sport, wo keine Haut gezeigt wird, die Frauen* können bei der Ausübung ihres Sports nur schwer von außen zu sexuellen Objekten gemacht werden. Ihr Sport steht im Mittelpunkt. Das Eis an sich, aber auch die Rüstung, in der die Spieler*innen stecken, sind für mich tolle Metaphern. Die Rüstung schützt, aber sie verdeckt auch, sie deckt zu. Eishockey ist auch ein Sport, wo die (finanzielle) Gleichberechtigung von Sport allgemein diskutiert werden kann. Die mangelnde finanzielle Unterstützung für Frauen*teams in Österreich ist momentan gerade auch für die Vienna Sabres sehr problematisch. Diesen Sport mit dem Film in den Mittelpunkt zu rücken, trägt hoffentlich zur Sichtbarkeit der Leistung der Sportler*innen bei, die mit dem Sport kein Geld verdienen und trotzdem alles geben.
Sportszenen zu drehen, ist vermutlich schwierig. Was gab es hier zu beachten?
Eishockey ist sehr schnell. Ein Mitgrund, warum ich es ausgewählt habe, aber auch eine große Herausforderung. Dem Kameramann Johannes Hoss und mir war von vornherein klar, dass wir mit der Kamera mitten im Geschehen sein wollen. Das Publikum soll dabei sein, wenn wichtige Momente in Miras Leben passieren. Das bedeutete nicht, vom sicheren Publikumsbereich aus zu drehen, sondern Wege zu finden, visuell Teil des Teams zu werden. Alle bekannten filmischen Vorbilder an Hockeyfilmen kommen aus den USA oder Kanada, da sind ganz andere Budgets im Spiel als bei einem österreichischen Film. Das bedeutete, dass wir uns Techniken überlegen mussten, mit denen wir innerhalb unseres finanziellen Rahmens unsere Vision umsetzen konnten.
Es wurden verschiedene Arten von Eisschlitten gebaut, auf denen Johannes sitzen konnte, wenn er nicht selbst auf Eislaufschuhen stand. Für Szenen mit hohem Tempo hatten wir einen eigenen Kamera-Operator, einen ehemaligen Hockeyspieler, der sich mit der Kamera frei mitten unter den Spieler*innen bewegen und vor allem mithalten konnte. Gemeinsam mit den Eishockey-Supervisor*innen des Films wurde das Drehbuch in Spielzüge »übersetzt«, die dann mit den Hockeyspielerinnen, den zwei Doubles – alles Profis – und den beiden Schauspielerinnen, Alina Schaller und Judith Altenberger, einstudiert wurden. Sie bereiteten sich monatelang körperlich für die Rolle vor, auf ihrem Programm standen Eishockey-Training, Krafttraining, Ausdauer. Die beiden haben mit großem Einsatz täglich für den Film trainiert.
Die Drehtage am Eis waren für alle, selbst für die Profispieler*innen, eine körperliche Herausforderung: die Kondition, die Kälte, die Akustik der Halle. Aber vielleicht gerade deswegen haben sie auch dazu beigetragen, die gesamte Filmcrew eng aneinander zu schweißen.
Die Vorbereitungen für den Dreh erfolgten noch vor Ausbruch der Pandemie. Welche Herausforderungen ergaben sich im Laufe der Zeit?
Während der Vorbereitungen war durch Covid vor allem das Eishockey-Training gefährdet, es war schwierig, für Alina Schaller und Judith Altenberger, unsere zwei Schauspielerinnen, Möglichkeiten zu finden, am Eis zu trainieren. Wir galten weder als Spitzensport noch als Theaterproben – und die Optionen, wo man am Eis in Wien trainieren kann, sind sowieso schon limitiert. Mit dem Verstreichen der wertvollen Vorbereitungszeit hat sich das zu einem hohen Stressfaktor ausgeweitet: Ohne Training wären die Szenen am Eis nicht so möglich gewesen, wie sie im Drehbuch vorgesehen waren.
Persönlich hatte ich den größten Stress dadurch, dass ich selbst neun Wochen vor Drehbeginn relativ schwer an Corona erkrankt bin. Bei Drehbeginn war ich noch mäßig fit, würde ich sagen. Natürlich war auch während des Drehs mit so vielen Mitwirkenden ständig die Angst da, jemand könnte erkranken, vor allem um Hauptdarstellerin Alina Schaller, die in jeder Szene des Films vorkommt, hatte ich große Sorge. Aber der Dreh verlief ohne Erkrankungen oder Verschiebungen, das ist auch der Disziplin des Teams zu verdanken.
Im Film sind auch Sportlerinnen der Vienna Sabres zu sehen. Wie kam es dazu?
Für mich muss ein Film über Profisport im Profisport eingebettet sein. Die Vienna Sabres haben mich bei meinen Recherchen für den Film bereits beim Schreiben des Drehbuchs unterstützt. Auch unsere beiden Eishockey-Supervisor*innen Christian und Sandra Klepp, sind beide aus dem Sabres-Umfeld. Aber alleine mit Sportlerinnen der Sabres hätten wir nicht alle Rollen besetzen können, zum Casting waren Eishockey-Spieler*innen aus ganz Österreich eingeladen, ungefähr die Hälfte der Spieler*innen des Films sind aus dem österreichischen Nationalteam.
Das Spannende am Dreh war, dass am Eis alle gleichzeitig sowohl Profis als auch Laiinnen waren. Die Eishockey-Spielerinnen waren die Profis im Sport und die Schauspielerinnen waren die Profis im Schauspiel. Damit sind sie sich sehr ebenbürtig gegenübergestanden, und das hat zu einem großen Spaß an der jeweiligen Herausforderung geführt, so war mein Eindruck. Mein persönlicher Anspruch ist, dafür zu sorgen, dass sich alle am Set wohlfühlen, trotz des hohen Zeitdrucks, unter dem wir stehen. Was dazu beigetragen hat, war, dass die Eishockey-Spieler*innen grundsätzlich immer in Situationen waren, die sie aus ihrem Alltag kennen, auch wenn die Szenen natürlich an die Handlung angepasst sind. Für mich war klar, dass die Profi-Hockeyspieler*innen bei den Dialogen viel Freiheit haben sollten, wenn es um Formulierungen ging, und mir war immer wichtig, dass alle – egal ob Schauspielerinnen oder Hockeyspielerinnen – in ihrem Heimatdialekt sprechen.
Genderrollen sind in deinen Filmen immer wieder bedeutend, etwa in deinem preisgekrönten Kurzfilm »Mathias«. Oder eben jetzt in »Breaking the Ice«, ein Film, der auch queere Figuren zeigt. Warum ist dir das wichtig?
Das Hinterfragen von Genderrollen ist für mich einer der sehr persönlichen Teile des Films. Ich hatte lange das Gefühl, nirgends reinzupassen, habe mir schwergetan, mich mit meinem Gender wohlzufühlen, weil ich oft den Eindruck hatte, wie ich bin, wie ich mich verhalten möchte, passe nicht zu dem, was von mir erwartet wird. Dadurch hatte ich das Gefühl, mein »Wert« stimme nicht. Das hat bei mir zu viel Selbstzweifel geführt, Selbsthass, auch gegen den eigenen Körper. Es war für mich ein langer Prozess zu verstehen, dass nicht ich das Problem bin, sondern die engen Schubladen, die unsere Gesellschaft vorgibt. Genderbinarität schränkt ein, kategorisiert, es gibt ein scheinbares Richtig und Falsch. In »Breaking the Ice« geht die Hauptfigur Mira die Suche nach ihrer Genderidentität nicht theoretisch reflektierend an, sondern intuitiv, spielerisch. Mir war es wichtig, dass es nicht um eine Entscheidung, ein Festlegen geht, sondern darum, aus Bekanntem auszubrechen, um freie Versuche, die manchmal auch sehr klischeehaft wirken können, um erste Schritte und den Mut, den es dafür braucht. Weil der Film hoffentlich auch anderen dadurch Mut macht.
Du hast Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert sowie danach zwei Studien an der Filmakademie absolviert (bei Götz Spielmann, Wolfgang Murnberger und Michael Haneke). Worauf konnte dich das Studium vorbereiten, worauf nicht?
Das Diplomstudium an der Universität Wien hat vor allem meine Liebe zum darstellenden Erzählen und schließlich zum Film geweckt, hat mich die Mechanismen, mit denen erzählt wird, kennenlernen, analysieren, hinterfragen lassen. Das Studium an der Filmakademie wiederum ist sehr praktisch geprägt. Ich habe mir dort die Freiheit genommen auszuprobieren. Ich konnte austesten, wie ich erzählen will, wie ich arbeiten will, mit wem ich arbeiten möchte. Aber natürlich ist ein Langfilm eine ganz andere Skala, eine andere Anzahl an Mitarbeitenden, Drehtagen, ein so viel mehr an Verantwortung. Das war alles sehr fordernd, aber ich habe mich fest verankert gefühlt, weil die Produktionsfirma, die NGF Geyrhalter Film, mir immer gezeigt hat, dass sie mir vertraut und dass wir diesen Weg gemeinsam gehen. Mit ihr und mit meinem gesamten Team hatte ich das Glück, ich selbst sein zu können. Wenn ich etwas nicht wusste, dann habe ich das offen gesagt, dann habe ich auf die Erfahrungen und Ideen meines Teams vertrauen können. Dieses Gemeinsame, das ich in der Vorbereitung, beim Dreh und in der Postproduktion gespürt habe, ist der Grund, warum ich Filme mache.
In einem Interview meintest du einmal: »Ich hoffe, mit meinen Filmen Perspektiven zu zeigen, die gerne übersehen werden.« Welche Perspektiven sind das? Was willst du noch filmisch umsetzen?
Was Filme meiner Meinung nach am besten können, ist, Empathie erfahrbar zu machen. »Mitfühlen«, wie es so schön heißt. Unsere Emotionen sind unsere gemeinsamen menschlichen Nenner. Aber was sie auslöst, warum wir fühlen, reagieren, wie wir reagieren, hat viele Gründe auf menschlicher, sozialer, (gesellschafts-)politischer Ebene. Ich glaube fest daran, dass es uns als Menschen bereichert, die Leben von anderen mitzuerleben, Erfahrungen zu teilen. Weil uns das zu Menschen macht. Weil es meiner Meinung nach auch unsere Verantwortung ist, uns selbst in Relation zu den Lebensrealitäten und zum Erleben anderer zu setzen. Und zwar zu einer Vielzahl an Perspektiven und vor allem zu jenen, die nicht der Mehrheitssicht entsprechen, weil es uns dazu bringt, unsere Privilegien und unsere Machtstrukturen zu hinterfragen. Welche Perspektiven das für meine zukünftigen Projekte sind? Ideen habe ich einige.
»Breaking the Ice« ist seit 25. November 2022 in den österreichischen Kinos zu sehen.