»Die romantische Beziehung ist am Ende« – Beatrice Frasl im Gespräch über ihr Buch »Entromantisiert euch!«

Warum heterosexuelle Beziehungen vor allem Frauen schaden und wieso es andere Formen der Verbundenheit braucht, damit befasst sich Beatrice Frasl in ihrem neuen Buch.

© Adobe Stock

Die Autorin, Kolumnistin und Podcasterin (»Große Töchter – Der feministische Podcast für Österreich«) rechnet bereits vor der Veröffentlichung von »Entromantisiert euch!« damit, dass ihr neues Werk nicht allen gefallen wird. Schließlich ist es kaum üblich, dass jemand das Konzept der romantischen Liebe einer umfassenden Kritik unterzieht. In den Buchhandlungen sehen wir stattdessen meist Beziehungsratgeber. Dort und anderswo sind es vor allem Frauen, die sich in romantischen Beziehungen zu Männern befinden sollen, die dabei ihre Bedürfnisse negieren und jene ihres Partners priorisieren, die unbezahlte Arbeit leisten und die von Jugend an lernen, unter einem männlichen Blick zu existieren. Im Interview mit The Gap erzählt Beatrice Frasl, warum das Konzept der Liebesehe ein eher neues Phänomen ist, wie sowohl Kapitalismus als auch Patriarchat von der romantischen Liebe profitieren und warum wir Alternativen zur klassischen Kleinfamilie brauchen.

Beatrice Frasl hinterfragt, ob unsere Gesellschaft um die romantische Zweierbeziehung organisiert sein muss. (Bild: Michael Wuermer)

Für dein neues Buch hast du dich intensiv mit der Geschichte der romantischen Liebe beschäftigt. Welche Erkenntnisse hast du über sie gewonnen?

Beatrice Frasl: Nicht die Gefühle für eine andere Person sind konstruiert, aber definitiv das Modell der romantischen Liebe, wie wir es kennen, sowie deren zentraler Stellenwert in unserer Gesellschaft. So ist etwa die Liebesehe ein relativ neues Phänomen. Der Adel heiratete lange, um sein Reich zu erweitern und Frieden zu sichern. Andere Schichten, um Besitztümer zu erhalten. Die Menschen wären damals nie auf die Idee gekommen, aus Liebe eine Ehe einzugehen. Im Zuge der Industrialisierung kam es dann zu einer Trennung zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre: Während Frauen zu Hause arbeiten mussten, waren Männer in der Öffentlichkeit präsent. Dabei wurde das Konzept der romantischen Liebe wichtiger. Aus einer feministischen Perspektive ist es interessant, wie sehr das Narrativ der romantischen Liebe dazu dient, Frauen in eine Rolle zu drängen, eine Rolle, die privat und dienend ist; voll von Aufgaben, die »aus Liebe« gemacht werden – und daher nicht bezahlt werden müssen. Das ist eine patriarchale Strategie.

Was haben der Kapitalismus und das Patriarchat davon, dass sehr viele Menschen romantische Beziehungen eingehen oder zumindest eingehen wollen?

Der Kapitalismus hat extrem viel davon. Unzählige Geschäftszweige verdienen daran, dass Menschen romantische Beziehungen anstreben. Das prominenteste Beispiel ist natürlich der Valentinstag, zu dessen Anlass es zahlreiche Geschenke zu kaufen gibt – Blumen, Herzpralinen, Candle-Light-Dinners oder Wellness-Wochenenden. Auch Dating-Coaches, Paartherapien, Scheidungsanwält*innen und die Schönheitsindustrie verdienen am Konzept der romantischen Liebe. Besonders Dating-Apps verzeichneten in den letzten Jahren einen enormen Zuwachs, aber nun brechen sie langsam ein. Und das Patriarchat profitiert ebenso von der romantischen Liebe: Frauen wird von Beginn ihres Lebens an beigebracht, männliche Bedürfnisse zu erfüllen, die romantische Liebe gilt für ihr gelungenes Leben als notwendig, obwohl Studien ein anderes Bild zeigen.

Warum wird das Single-Sein so problematisiert – vor allem bei Frauen?

Ich finde die Bezeichnung »Single« schwierig. Studien zeigen immer wieder, dass gerade Frauen ohne romantische Beziehung keineswegs alleine sind – sie haben viel mehr Freund*innenschaften, engagieren sich eher, sind besser in Communitys eingebunden. Wir sollten diese Vorstellung, dass jemand entweder in einer romantischen Beziehung oder »alleine« ist, hinterfragen. Gerade Frauen in romantischen Beziehungen sind oft alleine, aber über diese Form der Einsamkeit spricht niemand. In unserer Gesellschaft herrscht die Vorstellung, dass weibliche Singles niemanden abbekommen haben, dass sie gescheiterte Existenzen sind. Das ist bei männlichen Singles weniger der Fall. Sie gelten als Freigeister, dürfen Bachelors sein. Das zeigt, wie sehr Frauen noch immer in Bezug auf Männer betrachtet werden. Und wie sie kritisiert werden, wenn sie Männern nicht zur Verfügung stehen.

In welcher Hinsicht sind Darstellungen romantischer Liebe in Medien und Popkultur problematisch?

In vielen Romcoms wird anhand großer, vermeintlich romantischer Gesten – etwa Stalking, ungewolltem Auftauchen am Arbeitsplatz und bloßstellenden Situationen – versucht, Frauen zu kontrollieren. Das sind Erzählungen, mit denen wir aufwachsen und durch die wir lernen, was Liebe ist. Alleine die Vorstellung davon, dass romantische Liebe eine Person überkommt, dass man sich gegen diese großen Gefühle nicht wehren kann, ist kritisch zu sehen. Jane Monckton Smith recherchierte zu Männern, die ihre Partnerin getötet haben. Diese sagten vor Gericht, sie hätten es aus Liebe getan. Viele bekamen deshalb eine geringere Strafe. Männer überschreiten Grenzen, Frauen halten toxisches Verhalten aus – beides wird mit Liebe begründet.

Inwiefern haben Frauen den männlichen Blick auf sich selbst internalisiert? Und welche Maßnahmen gibt es dagegen?

Männer werden dazu sozialisiert, sie selbst zu werden, Hobbys und Träumen nachzugehen. Frauen wiederum sollen Männern gefallen. Sie sollen gefällig sein, die Arbeit im Haushalt leisten und die Liebe finden. Dieses Narrativ haben wir alle internalisiert. Aus der feministischen Filmwissenschaft wissen wir, welche Macht Blickstrukturen haben und in welchem Ausmaß Frauen diejenigen sind, die auf der einen Seite als Objekte betrachtet werden sowie auf der anderen Seite den objektifizierenden Blick internalisieren, sich also selbst als Objekt betrachten. Es hilft, sich dessen bewusst zu werden. Im Laufe des Lebens merken viele Frauen, wie sehr sie bestimmten Blicken ausgesetzt sind beziehungsweise waren. Es hilft, älter zu werden – das kann befreiend sein. Immerhin haben junge Frauen heutzutage, denke ich, ein diverseres Frauenbild. Ich würde jeder jungen Frau raten, sich nicht in romantischen Beziehungen zu verlieren und auch andere Beziehungen zu priorisieren – etwa Freund*innenschaften und die Beziehung zu sich selbst.

Warum nehmen uns romantische Beziehungen so oft die Möglichkeit, mehr mit anderen Menschen in Verbindung zu treten?

Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere gesamte Gesellschaft um romantische Beziehungen organisiert ist. Selbst wenn man keine romantische Beziehung hat beziehungsweise seine romantische Beziehung weniger fokussiert, ist man Strukturen ausgesetzt, die diese Form des Zusammenseins favorisieren. Romantische Beziehungen sind durch die Ehe und durch eingetragene Partner*innenschaften rechtlich abgesichert. Man denke an Hochzeitseinladungen, Familiengründung und die Anschaffung eines Eigenheims – all das machen wir mit Partner*innen. Mit wem kaufe ich einen Hund, mit wem feiere ich Weihnachten, mit wem mache ich Urlaub? Auch darauf lautet die Antwort der Gesellschaft: mit der Person, mit der man in einer romantischen Beziehung ist. Noch gibt es wenige Modelle dafür, wie wir anderen Formen von Beziehungen mehr Raum geben können.

Welche Prognosen kannst du hinsichtlich des aktuell wieder vermehrt konservativen Frauenbilds stellen? Beeinflusst dieses auch romantische Beziehungen?

Dazu lässt sich vieles noch nicht einschätzen. Ich konnte bei der Recherche zu meinem Buch vor allem einen Trend erkennen: Die politischen Einstellungen von jungen Männern und Frauen gehen weiter auseinander; Männer werden konservativer und Frauen progressiver. Daher wird es für die Geschlechter schwieriger, romantische Beziehungen zu führen. Vor allem Frauen haben immer weniger Lust darauf und diskutieren das unter Hashtags wie #heteropessimismus und #boysober. In den Medien liest man vermehrt auch über ältere Singlefrauen. Trends wie Tradwives scheinen darauf eine Gegenreaktion zu sein, aber ich bin mir nicht sicher, inwiefern dieses konservative Frauenbild im Alltag tatsächlich zurückkommen wird. Es gibt aktuell viele Bewegungen, die zeigen: Die romantische Beziehung ist am Ende.

Wie kann Einsamkeit besser bekämpft werden?

Bisher haben wir unterschätzt, wie groß dieses Problem ist. Stets hieß es, dass wir auf gesunde Ernährung und Sport achten müssen, aber Einsamkeit schadet uns viel mehr. Erst bei der Recherche zu meinem Buch »Patriarchale Belastungsstörung« stellte ich fest, wie problematisch Einsamkeit ist. Damals stieß ich auf viele Ratschläge, die romantische Beziehungen als Mittel gegen Einsamkeit propagierten. Das war der Anstoß für mich, »Entromantisiert euch!« zu schreiben. Wir brauchen Freund*innenschaften und Community. Es ist ein Problem, dass viele Menschen sozial so schlecht eingebunden sind. Social Media und Dating-Apps tragen zur Einsamkeit bei. Sie imitieren Verbindungen, sind aber eher Beziehungsattrappen. Wir sollten neue Modelle schaffen, wie Menschen gemeinsam durchs Leben gehen können. Wir leben nicht mehr in Sippen und die romantische Beziehung sowie die Kleinfamilie konnten nur bedingt gegen Einsamkeit und Vereinzelung helfen. Gerade sind wir in einer Phase des Umbruchs: Es braucht neue gesetzliche Rahmenbedingungen und kreative Gedanken dazu, was Familie, Beziehungen jeglicher Art und Gemeinschaft bedeuten könnten.

Beatrice Frasl »Entromantisiert euch!«

»Entromantisiert euch!« von Beatrice Frasl erscheint am 24. April im Haymon Verlag.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...