Cherry Cherry Lady

Dekonstruierter Pop, der keiner sein will: Cherry Sunkist schwemmt mit systematisch verkehrt-vertrackten Songs den Konsensfluss runter. Saurer Kirschgeschmack inklusive.

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Vor etwa einem Jahr überraschte Cherry Sunkist auf ihrer »Glass EP« mit schneidenden Gitarren, die sich praktisch nicht mehr von Synthesizerklängen unterscheiden ließen, mit Melodien, die zersetzt wurden von ihrer eigenwilligen, oft verzweifelt klingenden Stimme. Nun schießt sie ihr zweites Album »Projections Screens« nach, überfrachtet die Songs mit einem Haufen an Referenzen, bildhafter Sprache und Denkanstößen über Sein, Schein und allen Schattierungen davon.

Klar ist, dass man hier ohne geeigneten Verweisradius innerhalb feministischer Theorie, Reminiszenzen an Künstlerinnen und Filmemacher, wie etwa (nach eigenen Angaben) Dietmar Brehm oder den audiovisuellen Highlights von Planningtorock, nicht auskommt. Denn vergleicht man Cherry Sunkists Video zu »Glass« mit Plattencover und Tracks von Planningtorocks Debüt, ist eine Nähe in Sound- und Imagen kaum von der Hand zu weisen. Aber auch wenn Einflussnahmen aus dem näheren Umfeld bestehen, weiß da jemand sehr genau, wie der Vermarktungshase läuft: Selbstdarstellung und Inszenierung machen Cherry Sunkist zu einem der interessantesten musikalischen Acts Österreichs, der noch dazu mit unverwechselbarem Sound daherkommt – im DIY-Verfahren produziert, erarbeitet im Heimstudio mit Hang zum Zufallsexperiment, besitzen die Songs starken Wiedererkennungswert.

Take my body away from me now

Nicht nur als Musikerin, sondern auch als Filmemacherin konfrontiert sie sich stetig mit essentiellen Fragen zu Imagekonstruktionen, Körperlichkeit und vorgefertigten Lebensentwürfen. Inwieweit beugt man sich generell gesellschaftlich diktierten Normen, Wertvorstellungen und Systemen? Inwieweit projiziert man diese auf die Wahrnehmung anderer Personen, aber auch auf die eigene weibliche Identität? »Es geht darum, dass man immer das in einer Person sehen will und kann, was man selbst konstruiert bzw. wie man sich für andere konstruiert/inszeniert. […] Personen können Projektionsfläche im übertragenen Sinne sein«, so Cherry Sunkist über ihre neue Platte »Projection Screens«. Der Titel also Konzept. Die Gegenüberstellung von Realität und Inszenierung schlagen sich nicht nur in ihren Texten, sondern auch im Songwriting nieder.

Vielschichtige, sich überlagernde Sounds, bis zur Unkenntlichkeit verändert oder verlangsamt, sind mit Vocals überzeichnet, die zwischen diffusen Dissonanzen verschwimmen, oder auch ganz klar über den Songs thronen – hoch oben stehen, sich wenig in die Songs integrieren, den Text in den Vordergrund treten lassen.

»I’m not here to entertain you«, singt sie bei »Weeping Over My Ideals« und dieser Satz kann stellvertretend für die ganze Platte gesehen werden. Auch wenn sich poppig anmutende Melodien und Atmosphären anschleichen – hier verlinkt sie etwa zarte Streicherarrangements mit an Dub geschulten Beats – werden diese immer wieder ad absurdum geführt, aufgebrochen und die entstandenen Leerstellen mit Noisedrones, verwaschenen Gitarren und nicht zuletzt dem Experiment gefüllt. Harmonien und Dissonanzen, liebliche Elemente und destruierte Sounds werden gegenübergestellt, bilden einen Pool an schöpferischer Kraft aus dem die wunderbar verkehrten Songs rauspurzeln.

»Projection Screens« von Cherry Sunkist erscheint im Mai auf Comfortzone. Die Platte wird am 26.05. im Rhiz bei freiem Eintritt präsentiert.

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