Eine neue Compilation schildert die Situation im Arabischen Frühling aus der Sicht arabischer, weiblicher Musikerinnen, einer gefährdeten Art.
Ein paar Monate später wurde ein Song der syrischen Künstlerin Rasha Rizk aufgenommen: sie konnte nicht nach Tunis reisen und musste in ihrem politischen Asyl in Kairo ihren Beitrag produzieren.
Support bekamen die jungen Damen von großen Namen: Der Brooklyner Rapper/Producer und Hipsterliebkind Oddisee – selbst mit sudanesischen Wurzeln – und Olof Dreijer von The Knife, die ja 2013 nach siebenjähriger Pause ein Sensationscomeback gaben und Jahresbestenlisten noch und nöcher füllten, schlossen sich den Aufnahmen an und produzierten große Teile der zehn Songs. Sehr vielversprechend. Vielversprechend sind auch die 3 Bs, die für die Vinyl-Version Remixe anfertigten: Brenk, Blackjoy und Blundetto.
Visuell umrahmt wird der Sampler von einem Artwork, das nicht zufällig von Marjane Satrapis weltweit erfolgreichen und oft rezipierten Comic „Persepolis“ inspiriert ist, schildert die Graphic Novel doch die Geschichte einer jungen Perserin, die in einem freien, westlich orientiertem Land geboren wurde, die Islamische Revolution 1979 miterlebte und von Repressionen und Antifeminismus gebeutelt nach Wien kommt. Als sie wieder in die Heimat zurückkehrt, muss sie erfahren, dass sich die iranischen Frauen zwar westlich kleiden, die gesellschaftlichen Normen eines starken islamisch dominierten Landes aber übernommen haben und die sexuelle Freizügigkeit der Protagonistin während ihrer Wien-Jahre stark kritisieren und stigmatisieren. Auch die persönliche Freiheit der am Sampler beteiligten Frauen, ist stark vom jeweils herrschenden System abhängig, rechtliche Freiheiten werden schnell von gesellschaftlichen Gepflogenheiten unterdrückt.
M.I.A.?
Musikalisch oszilliert „Sawtuha“ zwischen – im Westen als stereotypisch angesehenen – arabischen Klängen, meist versetzt mit recht klassischen Hip-Hop-Beats und Afrobeat, in Ermangelung an anderen Referenzen, erinnert das größtenteils an M.I.A., ein Song „Don’t Loose Your Way“ von Nada feat. Nawel Ben Kraiem atmet auch das Flair von Mieze Medusa & Tenderboy. Vom Titel sollte man sich nicht beirren lassen, neun Songs sind auf arabisch – der Mutter- und Amtssprache in allen genannten Ländern -, ein Lied ist in französischer Sprache gehalten („Figurine“ von Nawel Ben Kraiem). Musikalisch sticht auch der einzige von der Künstlerin (Houwaide) selbst produzierte Track „Jannaa“ heraus – ein langsames, instrumentales Klavierstück.
Insgesamt sollte man „Sawtuha“ nicht nur an der musikalischen Qualität messen. Es ist viel mehr als eine Platte. Es ist ein Projekt, das sowohl den beteiligten Frauen als auch allen weiblichen und männlichen Musikern der arabischen Welt zeigt, dass es möglich ist, gemeinsam etwas zu aufbauen zu können und auch dem Westen zu zeigen, was man kann und wie man als Musikerin die Situation im eigenen Land einschätzt. Ungefiltert, ohne durch die Zensurstellen der westlichen Medien. „Sawtuha“ ist ein Album gegen die Unterdrückung, gegen die Ungleichheit der Geschlechter, gegen den Abbau von Demokratie. „Sawtuha“ ist ein Statement.
Die Compilation „Sawtuha“ erschien am 17. Januar 2014 via Jakarta Records.